Goten (Krim)
Krimgoten
Im Verlauf von sich beschleunigenden Ethnogeneseprozessen innerhalb und zwischen germanischen und nichtgermanischen Stämmen kam es im Verlauf des 3. und 4. Jh. zur Ausformung und Ausdehnung von häufig eher kurzlebigen herulischen und später gotischen Großverbänden zwischen unterer Donau und Dnjepr unter Einschluss von Teilen der Halbinsel Krim. Der Bedarf von Produkten und Gütern aus der römischen Welt und das Interesse bzw. die Zielvorstellung der Barbaren jenseits der Grenzen sich in das Römische Reich zum eigenen materiellen Nutzen und aus prestigebezogenen Motivationen heraus einzufügen und daran teilhaben zu können führte zu einem im 3. Jh. zunehmenden militärischen Druck auf die Grenzgebiete des Imperiums und damit auch auf die von Rom direkt beherrschten südlichen Teile der Halbinsel Krim. Die Quellenbasis zur Geschichte der Krimgoten bzw. ostgermanische Idiome sprechenden Gruppen sind verstreute Hinweise in Chroniken, Annalen, Heiligenviten und Inschriften beginnend mit dem 4. Jh. Eine kleinräumige spezifische gotische Stammesbildung in Teilen der Halbinsel Krim und in der Region Kubanʹ fand ungefähr zeitgleich mit den anderen gotischen Stammesbildungen statt.
Krimgoten werden in den Chroniken von Prokopius von Cäsarea und anderen byzantinischen Geschichtsschreibern im späteren 6. Jh. erwähnt. Wie andere Ethnien im nördlichen Kaukasus kam es wohl nicht zur Herausbildung einer monarchischen Spitze. Stattdessen werden mehrere krimgotische Teilgruppen erwähnt die jeweilig einem Stammesführer unterstanden. Die ökonomische Verzahnung und politische Abhängigkeit der krimgotischen Siedlungsgebiete mit dem byzantinischen Reich, sowie den Reichen der Steppe wie Chasaren, Petschenegen, Alanen, Kumanen und der Goldenen Horde ist trotz der dürftigen Quellenlage belegbar. Im Frühmittelalter noch gelegentlich erwähnte Goten im Kubanʹ gingen wohl in tscherkessischen und anderen Stammesverbänden auf.
Nach 1240 geriet die Krim nördlich der Gebirglandschaften unter direkte Herrschaft der Goldenen Horde, Reste der Goten müssen sich eher im südlichen Teil der Halbinsel aufgehalten haben. Das Fürstentum Mangub (russ.), das zwischen etwa 1362 und 1475 existierte gehörte, soweit durch die schriftlichen Quellen fassbar, zum byzantinischen Kulturkreis. Seine Herrscher gingen Heiratsverbindungen mit trapezuntinischen Kaisern und moldauischen Woiwoden ein. Eine direkte osmanische Intervention löschte diese kleinräumige Herrschaft zusammen mit den genuesischen Kolonien entlang der Südküste 1475 aus. Aus dem 16. Jh. gibt es einen Bericht über die Weiterexistenz der Goten durch den niederländischen Diplomaten an der Hohen Pforte Busbecq, der auch einige sprachliche Überreste des krimgotischen notierte. Busbeq erwähnt auch Akkulturationsphänomene von von ihm angetroffenen Krimgoten an ihre griechische und tatarische Umgebung.
Bereits im Frühmittelalter muss sich das Christentum in seiner byzantinischen Form auch bei der Mehrzahl der Krimgoten durchgesetzt haben. Das im Frühmittelalter wie etwa auf dem Konzil von Nizäa 787 mehrfach erwähnte Bistum Gothien bestand als orthodoxe Diözese – mit sicher seit dem Hochmittelalter griechischsprachiger Liturgie – bis in die Jahre der russischen Annexion 1779. Sein letzter Amtsinhaber verstarb 1786 in dem von Katharina II. gegründeten Mariupol in dem die von Russland deportierten alteingesessenen Christen der Krim angesiedelt wurden. Unter diesen Deportieren (Armenier, Griechen, u. a. befanden sich – möglicherweise - die letzten gotischsprachigen und rudimentär gotischsprachigen Personen. Letzte Angaben über die Existenz von gotischsprachigen Menschen im südlichen Krimgebirge stammen aus dem späten 18. Jahrhundert. Wie in anderen Fällen gerade auch im benachbarten Kaukasus akkulturalisierte sich die der Zahl nach immer eher kleine krimgotischsprachige Gruppe die - noch dazu ohne in den Quellen deutlicher fassbare geistige muttersprachliche Elite existierend - im Verlauf einer langen Zeitspanne an ihr griechisch- oder tatarischsprachiges Umfeld. Die spätere im Zeitalter der Romantik und der aufkommenden nationalen Strömungen intensivierte Suche nach Überresten der Krimgoten brachte keine Resultate. Während der deutschen Besatzungszeit (1941-44) wurden aus der Welt der völkischen Wissenschaften neuerlich Versuche unternommen angenommene „Reste“ der Krimtataren aufzuspüren. Mit Berufung auf die Existenz der Krimgoten wurden Pläne zur Errichtung eines Gotengaues auf der gesamten Krim oder doch in ihrem allergrößten Teil entworfen und Ansiedlungsprojekte etwa für umgesiedelte Südtiroler u. a. deutsche Gruppen ansatzweise eingeleitet. Esoterische und rechtsextremistische Sekten verschiedener Colouer entwickeln bis heute für ihre Machenschaften Mythen um die Krimgoten.
Eine moderne Geschichte der Krimgoten existiert bislang nicht – Standardwerk ist weiter die Studie von Alexander A. Vasiliev aus dem Jahre 1936.
Kunz N. 2005: Die Krim unter deutscher Herrschaft 1941–1944. Germanisierungsutopie und Besatzungsrealität. Darmstadt. Vasiliev A. A. 1936: The Goths in Crimea. Cambridge Massachusets.