Vernichtungslager

Vernichtungslager

V. waren von den Nationalsozialisten offiziell als „Sonderlager“ bezeichnete Lager, die ab Ende 1941 im besetzten Polen und Weißrussland zur Durchführung der Vernichtungspolitik an den Juden eingerichtet wurden. Im Gegensatz zu anderen Lagern gab es in diesen (mit Ausnahme der gemischten Lager, die sowohl Konzentrationslager- als auch V. waren) keine Selektion der Arbeitsfähigen. Jede dorthin deportierte Person wurde unabhängig von Alter und Geschlecht ermordet. Wegen der arbeitsteiligen Routine bei der Ermordung der Opfer werden diese Lager auch „Todesfabriken“ genannt. Reine V. waren Chełmno (Kulmhof), Bełżec, Trascjanec, Sobibór und Treblinka, gemischte Typen, in denen Selektionen durchgeführt wurden, waren Auschwitz-Birkenau und Majdanek.

Der systematische Massenmord an Juden begann mit der deutschen Invasion in der Sowjetunion am 22.6.1941. In der ersten Phase erschossen Einsatzgruppen Tausende von Juden. Diese Art des Tötens wurde aber als zu „ineffektiv“ betrachtet, zudem machte die große Zahl der dafür erforderlichen Personen eine Geheimhaltung schwierig. Deshalb wurde von höheren SS-Offizieren die Technik des Vergasens vorgeschlagen, die schon bei der massenhaften Ermordung behinderter Menschen („Euthanasie“) erstmals in Heilanstalten im besetzten Polen 1939/40 in Form von Gaswagen eingesetzt wurde und als „moderne und effiziente Methode“ galt. Kurz darauf wurde mit dem Bau von Gaskammern begonnen. Dabei handelte es sich um als Bade-, Dusch- oder Inhalationsanlagen getarnte hermetisch abschließbare Räume, in die Auspuffgase oder Zyklon B eingeleitet wurden. Solche Gaswagen bzw. Gaskammern waren ab 1943/44 auch in mehreren Konzentrationslagern „in Betrieb“, u. a. in Mauthausen, Ravensbrück, Risiera di San Sabba, Sachsenhausen und Stutthof.

Die Durchführung des auf diese Art technisierten Massenmordes unterlag strengster Geheimhaltung. Bei der Standortwahl der V. war v. a. die Anbindung an das Eisenbahnnetz von Bedeutung. Den Bau der Lager nahmen meist jüdische Zwangsarbeiter vor. Die Deportation der Juden in die V. begann nach der Wannsee-Konferenz im Frühjahr 1942 und dauerte bis November 1944, dann wurde sie auf Befehl Heinrich Himmlers eingestellt. Die Wachmannschaften der V. kamen aus den Reihen der SS, der Polizei oder der „fremdvölkischen“ Schutzmannschaften. Darunter waren auch ukrainische, sog. volksdeutsche und baltische SS-Angehörige, die im Lager Trawniki östlich von Lublin (Polen) systematisch auf ihren mörderischen Dienst vorbereitet worden waren. Insgesamt absolvierten 4–5000 ›Trawniki‹ die mehrmonatige Ausbildung. In den reinen V.n reichte meist ein Bestand von 90–120 ›Trawniki‹ zur „störungsfreien Abwicklung des Mordens“ aus. Die Vernichtungsvorgänge waren arbeitsteilig organisiert und wurden laufend „verbessert“. Die Bearbeitung der abgenommenen Habseligkeiten, das Absuchen der Leichen nach Wertgegenständen und das Verbrennen der sterblichen Überreste in Krematorien war jüdischen Sonderkommandos überlassen. Die Zahl der in den V. ermordeten Juden, Roma und Sinti, Polen und sowjetischen Kriegsgefangenen wird auf elf Millionen geschätzt. Gegen Kriegsende wurden die noch lebenden Häftlinge der V. in Todesmärschen in westliche Konzentrationslager überführt. Diese „Evakuierung“ kostete nochmals 250.000 Menschen das Leben.

Benz W. (Hg.) 2002: Lexikon des Holocaust. München. Kogon E., Langbein H., Rückerl A. (Hg.) 1986: Nationalsozialistische Massentötung durch Giftgas. Frankfurt a. M. Rückerl A. 1977: Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse: Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno. München. Weinmann M. (Hg.) 1990: Das nationalsozialistische Lagersystem. Frankfurt a. M.

(Georg Wurzer)


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