Oleg

Oleg (russ., altnord. Helgi, ukrain. Oleh), * ? †912/913 od. 922 ?; Fürst von Novgorod (879–912), Fürst von Kiew (882–912).

O. ist der erste Herrscher der Rus, dessen Wirken zumindest punktuell historisch belegbar ist. Seine Herkunft und seine Beziehung zum legendären Rjurik bleiben unklar. Der „Erzählung von den vergangenen Jahren“ (altkirchenslaw. Pověstʹ vrěmennych lět, auch: Nestorchronik) zufolge war er ein Verwandter von Rjurik, der vor seinem Tod (879) O. die Regentschaft für seinen minderjährigen Sohn Igorʹ übertrug. Rein rechnerisch kann dieser Igorʹ aber kaum mit dem späteren Fürsten (912–945/46) identisch sein. Vermutlich handelt es sich daher um die nachträgliche Konstruktion einer Familienbeziehung durch die Chronisten. Laut Nestorchronik baute O. zielstrebig seine Herrschaft aus. Zunächst zog er nach Smolensk und setzte dort einen Gefolgsmann ein. Anschließend wandte er sich Kiew zu, wo die Waräger Askolʹd und Dir eine von Rjurik unabhängige Herrschaft begründet hatten. O. tötete 882 die vermeintlichen Usurpatoren und vereinigte die beiden warägischen Herrschaftszentren Novgorod und Kiew. Aufgrund der günstigeren Anbindung an Byzanz machte O. Kiew zu seiner Hauptresidenz. In den folgenden Jahren dehnte er seine bis dahin bestehende Tributherrschaft über die Stämme der ›Slovĕne‹, „Kriwitschen“, Merja und „Poljanen“ weiter auf die „Drewljanen“, „Severjanen“ und „Radimitschen“ aus. 907 zog er mit einem gewaltigen Heer gegen Byzanz. Ob und inwieweit es dabei zu Kämpfen kam, ist umstritten. Ergebnis dieser Unternehmung war der Abschluss des ersten russisch-byzantinischen Handelsvertrages im Jahr 911. Er stellte die schon bestehenden Handelsbeziehungen auf eine Rechtsgrundlage und garantierte den Fernhändlern der Rus weitreichende Privilegien. O. wird in dem Vertrag, dessen Text in der Nestorchronik überliefert ist, erstmals als „Großfürst“ (altkirchenslaw. velikij knjazʹ Ruskij) bezeichnet. Obwohl O. als eigentlicher Gründer des Kiewer Reiches gelten kann, stufte Boris Rybakov O.s Regierungszeit als „unbedeutende Episode“ ein. Kaiserin Katharina II. verfasste hingegen über ihren Vorgänger ein Drama und Alexander Puschkin dichtete das Poem „Lied vom weisen Oleg“ (russ. Pesn’ o veščem Olege), das Nikolaj Rimski-Korsakow 1899 vertonte.

Tschižewskij D. (Hg.) 1969: Die Nestor-Chronik. Wiesbaden, 22–41 (= Slavistische Studienbücher VI). Rüss H. 1981: Das Reich von Kiev. Hellmann M. (Hg.): Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. I.1. Stuttgart, 286–289. Rybakov B. A. 1966: Kievskaja Rusʹ. Istorija SSSR s drevnejšich vremen do velikoj okrjabrskoj socialističeskoj revoljucii.Moskva I, 476–572.

(Wolfram von Scheliha)


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