Csángó

Csángó (ungar., Pl. Csángók, rumän. Ceangău, dt. auch Csangos)

Cs. ist die Bezeichnung für Gruppen ethnisch ungarischer überwiegendst römisch-katholischer Bevölkerung in Siebenbürgen und in heute zu Rumänien gehörenden Teilen der historischen Moldau. Der Begriff taucht als Fremdbezeichnung für die Ungarn in der Moldau im späten 18. Jh. auf, und wird bis heute fast ausschließlich in der Politik und Wissenschaft verwendet. In den Volkszählungen von 1992 und 2002 bekannten sich nicht mehr als 2165 bzw. 1370 Personen in ganz Rumänien als Cs. In Rumänien leben nach dem Zensus vom März 2002 insgesamt 1.028.401 römische Katholiken, das sind 4,7 % der Bevölkerung, überwiegend Siebenbürger Ungarn – ca. 650.000. - die angrenzende Moldau zählt rd. 243.000 Katholiken, etwa 5 % der Bevölkerung.

Der überwiegende Teil der Cs. lebt auf dem Territorium der historischen Moldau. Weitere Gruppen bilden:

1. Gyimes-Cs. (Szeklerland), am Ghimeş-Pass seit dem 17. Jh. ansässige römisch-katholische ungarische Bevölkerung von gegenwärtig etwa 14.000 Personen.

2. Dévai-Cs., in einigen Dörfern des Kreises Hunedoara (rumän., ungar. Hunyád) sowie in Zentralsiebenbürgen lebende Bevölkerung, die ab 1883 aus der Moldau und der Bukowina umgesiedelt wurden.

3. Burzenländer bzw. Siebendörfer Cs., in einer Kleinregion südöstlich von Kronstadt (rumän. Braşov, ungar. Brássó) seit dem Spätmittelalter ansässige ungarische Bevölkerung lutherischer Konfession.

4. Cs., die nach 1944 nach Ungarn flohen, angesiedelt bzw. umgesiedelt wurden. Diese vier Gruppen betrachten sich als Ungarn.

Daneben gibt es 5. gegenwärtig etwa 70.000 rumänisch-römisch-katholische Konfessionsangehörige in Siebenbürgen, zum Großteil (ca. 50.000) Moldauer Cs., die im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen in der Zeit Ceauşescus nach Siebenbürgen gelangten. Sie sind in bezug auf Sprache und Identität größtenteils rumänisiert und werden auch von der ungarischen Minderheit Siebenbürgens meist nicht als Teil ihrer Nation betrachtet.

In den ersten Jahrzehnten des 13. Jh. entstanden durch das östlich und südlich der Karpaten ausgreifende mittelalterliche Königreich Ungarn erste ungarische und deutsche Siedlungen in der Moldau, die während der Mongoleninvasion 1241–42 weitgehend vernichtet wurden. Neuerliche Versuche, die Moldau als Grenzmark zu strukturieren, unternahmen ungarische Könige Mitte des 14. Jh. Diesmal waren es vorwiegend rumänische Amtsträger der ungarischen Krone, die eine sich aus dem ungarischen Reichsverband herauslösende Woiwodschaft mit zeitgleich eingewanderter rumänisch-orthodoxer Mehrheitsbevölkerung und Oberschicht etablierten. Neben den Rumänen, die überwiegend in den Bojarenklassen sowie als Viehzüchter, Wald- und Ackerbauern vertreten waren, lebten deutsche, griechische, armenische und ungarische Kaufleute und Handwerker in den Marktflecken. Ungarische und deutsche Einwanderer legten zahlreiche Dörfer und stadtähnliche Siedlungen an und spielten in den militärischen Aufgeboten sowie am Hof der Woiwoden bis um 1600 eine wichtige Rolle. Ungarn stellten bis ins 18. Jh. vielerorts die Freibauern und genossen damit einen privilegierten Status, denn sie waren durch ihre modernere Wirtschaftsweise unentbehrlich geworden.

Anfang

Immer wieder kamen zwischen dem 14. und dem 19. Jh. unterschiedliche Gruppen von ethnischen Ungarn meist in die westlichen Teile der historischen Moldau. Dazu gab es auch binnenmoldauische Siedlungsbewegungen von Ungarn, besonders in der frühen Neuzeit. Im 15. Jh. flohen ungarische Hussiten, u. a. aus dem damaligen Südungarn vor den Verfolgungen durch die römisch-katholische Kirche in das moldauische Fürstentum. Sie gründeten eine Reihe von Ortschaften und wurden erst im späten 16. und frühen 17. Jh. durch italienische sowie wenige ungarische und polnische Missionare rekatholisiert.

Bis ins späte 16. Jh. spielten die in der Moldau ansässigen Ungarn, die rege Kontakte ins Königreich hatten, insgesamt eine wichtige wirtschaftliche und auch politische Rolle. Nachdem während der Reformation nahezu die gesamte ungarische Bevölkerung Ungarns zu einer der neuen Konfessionen gewechselt war, diese aber in der Moldau dauerhaft keinen Fuß zu fassen vermochten, wurden die Moldauer Ungarn geistig und kulturell zunehmend isoliert. Die zuvor regen Beziehungen zu Ungarn versandeten. Verheerende Seuchenzüge sowie die intensiven Kriege in der frühen Neuzeit dezimierten die Bevölkerung der Moldau (und damit auch die dortigen Ungarn) erheblich. Die der Zahl nach kleinere deutsche Bevölkerung der Moldau verschwand durch allmähliche Akkulturation überwiegend an das ungarische Ethnikum im späten 17. Jh. vollständig.

Die meist verstreuten ungarischen Gemeinden und kleinen Dorflandschaften blieben ganz überwiegend ohne ungarischsprachigen Klerus. Sie wurden von bosnischen, polnischen und italienischen Missionare und Titularbischöfen auf meist niedrigem Niveau versorgt. In dieser Zeit begannen Akkulturationsprozesse an die rumänischsprachige Umgebung. Die des Ungarischen unkundigen Kleriker erlernten eher das Rumänische, einerseits weil es leichter fiel, aber auch, um sich besser mit lokalen und regionalen Amtsträgern verständigen zu können. Im 19. und 20. Jh. nahm die Zahl der Cs. wie der gesamten Bevölkerung in der Moldau rasch zu. Mangels einer eigenen geistigen Führungsschicht und der fehlenden Kontakte nach Ungarn nahmen sie an der modernen ungarischen Nationswerdung im 19. Jh. jedoch nicht teil.

Auch die Entwicklung der modernen ungarischen Hochsprache konnte von den Cs. aufgrund des Fehlens einer muttersprachlichen geistigen Führungsschicht nicht rezipiert werden. In Ungarn gab es kaum Nachrichten über sie und praktisch kein Interesse an ihnen. Als eine der letzten ethnischen Gruppen in Europa haben die Cs. daher, zum Teil noch bis heute, vornationale, quasi alteuropäische, allein auf die katholische Konfession bezogene Identitätsmuster.

Die große seit dem 16. Jh. belegte Pfingstwallfahrt von Csíksomlyó (rumän. Şumuleu-Ciuc) im Szeklerland ist eine der wenigen traditionellen Treffpunkte zwischen Ungarn Siebenbürgens, Ungarn aus Ungarn und dem westlichen Ausland, den Gyimes-Cs. und denen aus der Moldau, die noch nicht rumänisiert sind. Es treffen hier Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander. Probleme treten v. a. aufgrund der sehr verschiedenen Formen von Religiosität auf. Die Moldauer Cs. werden mit einer ihnen unbekannten römisch-katholischen Glaubenspraxis, verbunden mit dem säkularisierten Beiprogramm moderner Wallfahrtsorte konfrontiert. Ihre frühneuzeitlichen Vorstellungen von der Gestaltung religiöser Feste stehen dazu in deutlichem Gegensatz. Der Klerus der römisch-katholischen Kirche in der Moldau versucht seit rd. 70 Jahren den Besuch dieser Wallfahrt zu unterbinden. Für die Moldauer Cs. jedoch ist diese Wallfahrt, an der sie seit dem 17. Jh. nachweislich teilnehmen, das wichtigste religiöse Ereignis auf lokaler Ebene innerhalb des Kirchenjahres.

1884 wurde die bis in die Gegenwart bestehende römisch-katholische Diözese Jassy (rumän. Iaşi) als Missionsbistums eingerichtet. Seitdem betreibt deren Klerus maßgeblich die Assimilation der Moldauer Cs. an das rumänische Ethnikum. Bischöfe und erhebliche Teile der Priesterschaft waren bis in die Zwischenkriegszeit hinein Ausländer. Von Beginn an wurde versucht, ausschließlich rumänischsprachige Gottesdienste zu halten und über die Rumänisierung der religiösen Lebenswelt der Cs., einen Sprach- und Identitätswechsel herbeizuführen.

Anfang

Ab den 1920er Jahren begannen sich in Rumänien wie in vielen anderen Staaten Europas radikale nationalistische Bewegungen durchzusetzen. Auch in den Kreisen des römisch-katholischen Klerus in der Moldau (vorwiegend aus der lokalen Bevölkerung stammend) und in Bukarest wurden zahlreiche Anhänger gewonnen. Wie die Mehrzahl der rumänischen Elite schlossen sich viele dieser katholischen Geistlichen der klerikalfaschistischen „Eisernen Garde“ (Gardă de fier) an, die auch für nichtorthodoxe Randgruppen eine Nische bot. Geradezu exemplarisch zeigt sich hier das Phänomen der ideologischen Radikalisierung von akkulturalisierten Eliten und Funktionsträgern der ersten Generation.

Der römisch-katholische Priester mit Cs.-Wurzeln Iosif P. Pal vertrat dann in den 1940er Jahren die Ansicht von der ethnisch-rumänischen Herkunft der Moldauer Cs. Seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. finden Theorien einer rumänischen Abstammung der Moldauer Cs., ausgelöst durch ein 1985 von dem ehemaligen Legionär Dumitru Martinas veröffentlichtes Buch, das zwar sämtlichen historischen Quellen widerspricht, doch im nationalistischen Klima der Ceauşescu-Ära zum Dogma erhoben wurde und auch nach dem Regimewechsel eine nochmalige Blüte erlebte, vermehrt Verbreitung. Der Autor, selbst Cs., sieht die Cs. als Nachfahren zwangsungarisierter bzw. -katholisierter Rumänen aus Siebenbürgen, die vor diesen Repressalien im 17. und 18. Jh. in die Moldau geflohen waren.

Zwischen den 1950er Jahren und 1989 war der römisch-katholische Klerus in der Diözese Jassy ein integraler Teil des nationalkommunistischen rumänischen Machtapparates. Das nationalkommunistische Ceauşescu-Regime, das in seiner ideologischen Ausrichtung und Herrschaftspraxis viele Elemente aus der faschistischen Legionärsbewegung adaptierte, bot der katholischen Kirche in der Moldau Duldung und Förderung geknüpft an die Bedingung des Gebrauchs der rumänischen Sprache, an. Der Vatikan, seine Annäherungspolitik an einzelne kommunistische Regime hier fortsetzend nahm den Kompromiss an.

Das Siedlungsgebiet der Moldauer Cs. verzeichnete die höchste Dichte an Neubauten römisch-katholischer Kirchen (bei zeitgleicher massiver Verfolgung der unierten rumänischen Kirche) im kommunistischen Osteuropa. Aggressiv bis militant war die Haltung des katholischen Klerus gegenüber allen Versuchen, ungarische Gottesdienste, Schulen ja sogar die gesprochene ungarische Sprache auf der Straße oder im Privathaushalten auch nur zu dulden. Seit den 1990er Jahren spielen konservative und charismatische Organisationen der katholischen Weltkirche in den Diözesen Jassy und Bukarest eine wichtige Rolle. Für sie sind die Cs. mit ihrer im übrigen Europa in dieser Form nicht mehr anzutreffenden Religiosität ein ideales Rekrutierungsfeld.

Anfang

Über die konfessionelle Bindung hinaus gibt und gab es kaum ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Moldauer Cs. Grund dafür ist zum einen das Fehlen einer intellektuellen Elite bzw. eines Schulsystems seit der frühen Neuzeit, die dieses Bewusstsein hätten formen können, zum anderen die komplexe Siedlungsgeschichte der Moldauer Cs., die drei unterschiedliche Gruppen hervorbrachte:

1. die nördlichen Cs. um Roman, eine archaisch lebende, fast gänzlich rumänisierte Gruppe spätmittelalterlichen Ursprungs.

2. die südlichen Cs. um Bacău spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ursprungs mit charakteristischem Dialekt.

3. die Szekler Cs. entlang der Flüsse Siret und Trotuş sowie um Bacău, Nachfahren von Szeklern, die nach 1764 aus Siebenbürgen in die Moldau flohen bzw. auswanderten, die wie die südlichen Cs. z. T. vergleichsweise weniger oder kaum rumänisiert sind.

Diese im Laufe der Jahrhunderte in kleineren und größeren Gruppen eingewanderte ungarische Bevölkerung unterschiedlicher kultureller Prägung, blieben ohne über die lokale Gruppe hinausgehenden Zusammenhalt und Zusammengehörigkeitsgefühl. Einen solchen versuchte ihnen erst der lokale (rumänisierte) römisch-katholische Klerus zu geben. Seit 1990 engagieren sich allerdings in geringem Umfang auch ungarische kulturelle, kirchliche (katholische) und wissenschaftliche Einrichtungen.

Nach jüngsten Untersuchungen sind gegenwärtig noch ca. 60.000 der insgesamt ca. 243.000 der in der Moldau lebenden Katholiken der ungarischen Sprache in unterschiedlicher Qualität, vom passiven Verstehen einiger Wörter bis zur aktiven Muttersprache reichend, mächtig. Auszugehen ist von einer weiteren, durch staatliche und kirchliche Zwangsmaßnahmen forcierten Rumänisierung und damit einem Verschwinden der vornationalen Identitätsformen und der noch vorhandenen aus der frühen Neuzeit tradierten Glaubenswelten der Moldauer Cs.

Die zahlenmäßig kleine Gruppe derer, die sich gegenwärtig als Teil der modernen ungarischen Nation betrachtet, wird voraussichtlich weiter isoliert und vermehrtem Druck der andersnationalen Mehrheit ausgesetzt sein. Der rumänische Teil der historischen Moldau ist wie in den vergangenen Jahrhunderten auch gegenwärtig eine der unterentwickeltsten Regionen Europas. Das auch hier einziehende Informationszeitalter wird aber die verordnete geistige Isolierung der Moldauer Csángós aufbrechen. Die unausweichliche Konfrontation mit seriöser Information zur Cs.-Problematik steht den Betroffenen noch bevor. Eine der Meßlatten für einen pluralistischen demokratischen Staat Rumänien wird – gemäß dem Beschluss des Europarates von 2001, der die Lebenswelt der Moldauer Cs. in all ihren Ausprägungen als förderungswürdig erachtet hat – die Anerkennung der Cs., ihrer eigenständigen Geschichte und Kultur sein, die nicht zuletzt einzigartige Forschungsmöglichkeiten für Religionswissenschaften, Ethnographie, Musikwissenschaft, Geschichte und Soziologie bieten.

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(Meinolf Arens)

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