Afghanistan (Beziehungen)

Russisch/Sowjetisch-Afghanische Beziehungen

Russlands Kontakte in die Region des heutigen A. nahmen im 18. Jh. mit Handelsbeziehungen und sporadischen Gesandtschaften zum Durrānī-Königreich von Kabul ihren Anfang. Im „Great Game“ des 19. Jh. wurde A. zum Zankapfel der Großmachtpolitik. Die Sorge um den wachsenden russischen Einfluss in Persien und A. führte bereits 1838–42 zum ersten britischen A.-krieg. Als Russland nach dem Krimkrieg seine Expansion in Zentralasien intensivierte und bis 1876 Buchara, Chiva und Kokand (Usbekistan) unter seine Kontrolle brachte, trennte nur noch A. die Nordwestgrenze Britisch-Indiens vom Russischen Reich. Trotz Versuchen, den Status A.s als Pufferzone festzuschreiben, blieben die britischen Ängste bestehen und wurden von russischer Seite durch die Entsendung einer militärischen Mission nach Kabul während des Berliner Kongresses 1878 noch gezielt geschürt.

Der folgende zweite A.-krieg 1878–80 brachte Großbritannien eine Vorrangstellung in A., doch auch in den folgenden Jahren rückten russische Truppen immer wieder in umstrittene Grenzgebiete vor, bis durch gemeinsame Demarkation eine afghanische Nordgrenze (1885–87, Wākhān-Korridor im Pamir 1893) festgeschrieben wurde, welche traditionelle Siedlungsgebiete der Stämme zerteilte und A. zu einem multiethnischen Territorialraum machte. Das britisch-russische Abkommen von 1907 definierte A. als Pufferstaat unter britischem Einfluss und beendete offiziell die Rivalität der Großmächte.

Die junge Sowjetmacht erkannte A.s Unabhängigkeit 1919 als erster Staat an. Während der Konsolidierung der sowjetischen Macht in Zentralasien in den 20er Jahren diente A. einerseits antisowjetischen „Basmatschen“ (russ. Basmači) als Rückzugsgebiet, andererseits suchten afghanische Reformkräfte umgekehrt die Hilfe der Sowjets. Anfang der 30er Jahre setzte ein distanzierteres Verhältnis ein und erst im Kalten Krieg intensivierte die afghanische Regierung die Beziehungen wieder (Besuch Nikita Chruschtschows in Kabul 1955). Die Sowjetunion baute ihre wirtschaftliche Position aus und verstärkte die ideologische Einflussnahme v. a. über die 1965 gegründete kommunistische „Demokratische Volkspartei A.“.

Obwohl die Sowjetunion durch ihre Militärhilfe und großzügige Kredite zum wichtigsten Partner wurde, gelang es A., die (v. a. wirtschaftlichen) Beziehungen zu den USA und anderen westlichen Staaten nicht abreißen zu lassen. Nach dem Staatsstreich der Kommunisten (April 1978) wurde mit der Sowjetunion im Dezember 1978 ein sog. Freundschaftsvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren unterzeichnet, welcher ein Jahr später als Rechtsgrundlage für die sowjetische Invasion in A. dienen sollte. Der auch in der Sowjetunion unpopuläre, verlustreiche und kostspielige A.-Krieg überdauerte den (durch ihn beschleunigten) Zusammenbruch der UdSSR und wütete nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 als Bürgerkrieg weiter, während das (rechts)staatliche Machtvakuum in Zentralasien und die neuerliche Durchlässigkeit der Grenzen ethnischen Bindungen und Konflikten wieder Auftrieb gab. Die russische Unterstützung der Kräfte der Nordallianz seit 1996 zielte denn auch darauf ab, eine Pufferzone zum radikalislamischen Machtbereich der Taliban zu schaffen und die Ausweitung des Konflikts in die zentralasiatischen Republiken zu verhindern, die Moskau als russische Einflusssphäre betrachtet.

Adamec L. W. 1974: Afghanistan's Foreign Affairs to the Mid-twentieth Century: Relations with the USSR, Germany and Britain. Tucson. Gankovskij Ju. (red.) 1989: Rossija i Afganistan. Moskva. Habberton W. 1937: Anglo-Russian Relations Concerning Afghanistan, 1837–1907. Urbana. (=Illinois Studies in the Social Sciences 21/4). Schetter C. 2003: Ethnizität und ethnische Konflikte in Afghanistan. Berlin. Ders. 2004: Kleine Geschichte Afghanistans. München.

(Eva Maurer)

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