Masuren (Landschaft)
Masuren (poln. Mazury)
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1 Geographie
M. ist eine Landschaft im Nordosten Polens. Sie bildet den Hauptteil des Masurischen bzw. Preußischen Landrückens und umfasst, ohne geographisch oder historisch exakt abgrenzbar zu sein, die in der Eiszeit entstandene Endmoränen-, Grundmoränen- und Seenlandschaft zwischen der Kernsdorfer Höhe (Dylewska Góra) im Südwesten und der Seesker Höhe (Szeska Góra) im Nordosten.
M. wird häufig mit dem - seit 1945 polnischen - Süden der ehemaligen deutschen Provinz Ostpreußen gleichgesetzt, ist mit diesem jedoch nur teilweise deckungsgleich und vom Ermland (Warmia), mit dem es die landschaftlichen Reize und große Teile seiner Geschichte teilt, zu unterscheiden. Polnische und deutsche Forschung stimmen heute darin überein, dass der Region M., die zu den ehemaligen preußischen Regierungsbezirken Allenstein (poln. Olsztyn) bzw. Gumbinnen (russ. Gusev) gehörenden Kreise Johannisburg (poln. Pisz), Lötzen (Giżycko), Lyck (Ełk), Neidenburg (Nidzica), Oletzko (ab 1933: Treuburg; poln. Olecko), Ortelsburg (Szczytno) und Sensburg (Mrągowo) sowie Teile der Kreise Angerburg (Węgorzewo), Goldap (Gołdap) und Osterode (Ostróda) zuzurechnen sind.
Landschaftlich wird das waldreiche M. v. a. durch die zahlreichen Seen der Masurischen (Pojezierze Mazurskie) und der Lycker Seenplatte (Pojezierze Ełckie) geprägt. Die größten Seen M.s sind der Spirdingsee (jezioro Śniardwy) mit einer Fläche von 113,8 km² und der Mauersee (jezioro Mamry) mit einer Fläche von 104,4 km². Südlich des Seengebiets liegen mit Kiefernwäldern bestandene Heidesandgebiete, wie die Johannisburger Heide (Puszcza Piska). Die durchschnittlichen Temperaturen im Januar betragen ca. –4 bis –3 °C und im Juli 16,5–18 °C. Die Summe der jährlichen Niederschläge beläuft sich auf ca. 650-750 mm. Die Region wird vorwiegend landwirtschaftlich genutzt, im Sommer ist sie das Ziel zahlreicher polnischer und ausländischer Touristen.
2 Kulturgeschichte
Die ab dem 19. Jh. als M. bezeichnete Landschaft war bis ins 13. Jh. von den heidnischen, prußischen Stämmen der „Galinder“ und Sudauer besiedelt. Um die Wende vom 10. zum 11. Jh. war das prußische Siedlungsgebiet Ziel christlicher Missionsversuche, die mit den Märtyrertoden Adalberts von Prag 997 und Bruns von Querfurt 1009 ihr Ende fanden. Ab 1230 eroberte der Deutsche Orden auf Veranlassung Konrads I. von Masowien das Siedlungsgebiet der Prußen. Die 1283 abgeschlossenen Eroberungszüge wurden vom Deutschen Orden mit großer Härte geführt und hatten eine weitgehende Vernichtung der prußischen Bevölkerung zur Folge.
Der Deutsche Orden nahm auf dem nur dünn besiedelten Gebiet M.s erste Stadtgründungen vor. Mit Ortelsburg (poln. Szczytno) 1266, Johannisburg (Pisz) 1345 und Lyck (Ełk) 1398 entstanden die noch heute wichtigsten städtischen Zentren M.s.
Im Gegensatz zum Ermland, das an die polnische Krone gelangte und nicht von der Reformation erfasst werden sollte, verblieb M. auch nach dem Zweiten Thorner Frieden von 1466 beim Ordensstaat. 1525 säkularisierte der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen den Ordensstaat, trat zum Protestantismus über und erhielt das Herzogtum Preußen vom polnischen König Zygmunt I. Stary als erbliches Lehen. Von 1525-1701 war M. Teil dieses Herzogtums. 1701 gelangte M. mit der Krönung Kurfürst Friedrichs III. von Brandenburg an das Königreich Preußen und wurde Teil der Provinz Ostpreußen (1824-78 Provinz Preußen).
Im Zuge ihrer Kolonisierungsbemühungen hatten der Deutsche Orden und die preußischen Herzöge im 15. und 16. Jh. neben deutschen v. a. masowische Siedler nach M. gerufen. Nach Abschluss der Kolonisation M.s im 18. Jh. war aus der Mischung altpreußischer, deutscher und überwiegend masowischer Bevölkerungsteile eine besondere Bevölkerungsgruppe entstanden, die einen polnischen, mit vielen deutschen Lehnwörtern durchsetzten Dialekt sprach. Diese ethnisch vorwiegend polnisch geprägte Bevölkerungsgruppe, die sich fast ausschließlich zum protestantischen Glauben bekannte, war ab dem 19. Jh. und verstärkt ab 1871, als Deutsch ausschließliche Unterrichtssprache in allen Schulen wurde, das Ziel preußischer Germanisierungspolitik.
Auch der Begriff M., der neben der Landschaft ihre Bevölkerung bezeichnet, steht im Zusammenhang mit dieser Politik. Mit seiner Hilfe wurde die polnischsprachige Bevölkerung zum „Stamm der deutschen M.“, ihre Sprache ab 1890 zum nichtpolnischen „Masurisch“ umgedeutet. Auf polnischer Seite wiederum wurde unter Federführung Wojciech Kętrzyńskis (1838-1918) versucht, einen wissenschaftlichen Nachweis für die polnische Herkunft der M. zu erbringen. Mit seiner 1872 erschienenen Schrift ›O Mazurach‹ („Über Masuren“) löste er die deutsch-polnische Kontroverse über die nationale und ethnische Zugehörigkeit M.s aus.
Offiziellen deutschen Statistiken zufolge ging die Zahl der polnischsprachigen M. immer weiter zurück. Diesen – in ihrer Zuverlässigkeit fraglichen – Angaben folgend stellten sie 1910 in fünf ostpreußischen Kreisen noch über 50 %, 1925 in den gleichen Kreisen nur noch zwischen 10 und 30 % der Bevölkerung. Ohne Zweifel wurde die polnische Sprache im offiziellen Gebrauch mehr und mehr durch das Deutsche verdrängt, blieb aber weiter Umgangssprache. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stand M. im Mittelpunkt des Kampfgeschehens. Nachdem die Schlacht von Tannenberg Ende August 1914 den Vormarsch russischer Truppen beendet hatte, kam es in M. mit der sog. Schlacht an den Masurischen Seen im September 1914 und der Winterschlacht im Februar 1915 zu zwei weiteren entscheidenden Schlachten des östlichen Kriegsschauplatzes.
Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg erklärten sich 99,32 % der M. in der Volksabstimmung vom 11.7.1920 für den Verbleib beim Deutschen Reich. Nach 1933 wurden Kultur und Sprache der M. - nach anfänglichen Versuchen ihre Geschichte im nationalsozialistischen Sinn umzudeuten - gänzlich verboten. Neben dem jüdischen Teil der Bevölkerung wurden auch die polnischsprachigen M. brutal verfolgt, Vertreter ihrer Organisationen wurden ermordet oder in KZs und Gefängnissen festgesetzt.
M. wurde im Januar und Februar 1945 als erstes deutsches Gebiet von sowjetischen Truppen erobert, nur einem Bruchteil der Bevölkerung, die in besonderem Maß von der Vergeltung für die nationalsozialistischen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs betroffen war, gelang die Flucht nach Westen. Durch die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurde M. 1945 unter polnische Verwaltung gestellt. Das durch Flucht und Deportation der Deutschen durch die polnischen Behörden entvölkerte Gebiet wurde u. a. von sog. Repatrianten aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, im Wesentlichen aber durch Zuwanderer aus dem benachbarten nördlichen Masowien neu besiedelt. Ungefähr 100.000 ehemalige Reichsbürger, die einen polnischen Sprachtest und ein – häufig erzwungenes – Treuebekenntnis zum polnischen Staat abgelegt hatten, verblieben als sog. Autochthone in M. Die Mehrheit dieser „autochtonen“ M., die der Willkür der kommunistischen, polnischen Behörden ausgesetzt blieben, siedelte nach Erleichterungen der Ausreisebestimmungen 1956 und 1975 in die Bundesrepublik Deutschland über.
Seit 1999 ist M., dessen Zugehörigkeit zu Polen durch den Deutsch-Polnischen Grenzvertrag vom 14.11.1990 (seit 16.1.1992 in Kraft) anerkannt wurde, Teil der Woiwodschaft Ermland-M. (województwo warmińsko-mazurskie).
M. ist Gegenstand zahlreicher literarischer Werke. Für die deutschsprachige Literatur ist v. a. Siegfried Lenz (*1926) mit seinen Werken ›So zärtlich war Suleyken. Masurische Geschichten‹ (1955) und ›Heimatmuseum‹ (1978) zu nennen, wichtigster Vertreter der polnischen Literatur ist Erwin Kruk (*1941) mit der ›Kronika z Mazur‹ (1989).
Kossert A. 2006: Masuren. Ostpreußens vergessener Süden. O. O. Toeppen M. 1870: Geschichte Masurens. Ein Beitrag zur preußischen Landes- und Kulturgeschichte. Danzig (Reprint Aalen 1979, poln. Historia Mazur. Przyczynek do dziejów krainy i kultury pruskiej, Olsztyn 1995).