Kreta

Kreta (neugriech. Kriti, ital. hist. Candia)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

K. ist mit 623.666 Einwohnern (2005) und 8261 km² die größte Insel Griechenlands, ist nur wenig kleiner als Zypern (9251 km2) und erheblich kleiner als Sizilien (25.708 km²). Auf der geographischen Breite Mitteltunesiens gelegen, ist K. der südlichste Landesteil Griechenlands und mit seiner der Südküste vorgelagerten Insel Gavdos der südlichste ganz Europas. Die Entfernung von K. zur libyschen Küste beträgt knapp 300 km. Bei einer Küstenlänge von 1046 km ist K.s West-Ost-Erstreckung (260 km) erheblich größer als ihre Nord-Süd-Erstreckung (bis 60 km in der Mitte bzw. 12 km an der schmalsten Stelle).

Wie die Inseln Kythera, Kasos, Karpathos und Rhodos, so sitzt auch K. auf einem Schelfsockel, der die Südabgrenzung des Ägäischen Meeres bildet, das hier Kretisches Meer genannt wird, während es im Süden vom Libyschen Meer umspült wird. Ihr geologischer Aufbau wird durch mesozoische Kalke verschiedener fazieller Ausbildung und strukturierter Beschaffenheit in den höchsten Erhebungen bestimmt.

Vier hohe Gebirgsmassive aus metamorphen Gesteinen ragen hervor. Das Berg- und Mittelgebirgsland ist im Jungtertiär gebildet worden. K. ist ein Abschnitt des dinarischen Bogens, der vom dalmatinischen Küstenland über das Pindos-Gebirge und den Westen der Halbinsel Peloponnes bis zum Taurusgebirge in der südlichen Türkei führt. Sämtliche Gebirge K.s sind stark verkarstet, ihre Höhe nimmt nach Osten hin ab. Die wichtigsten Gebirge und Gipfel sind: Levka Orī (Pachnes 2453m), Psīloreitīs (Idī oder Psīloreitīs 2456m), Lasithiōtika oder Diktī (Gipfel anonym 2148m), Thryptīs (Afentīs 1476m).
Kreta Lasithi
Sie sind aus den Sedimenten der Tethys (erdumspannendes Meer im Erdmittelalter) aufgebaut und bestehen damit aus geschichtetem und ungeschichtetem Kalk, Flysch, Marmor, Schiefer, Serpentiniten und eingestreuten Magmatiten. Hoch über der heutigen Küste gelegene Brandungshohlkehlen belegen anschaulich, dass es tektonisch bedingte Landhebungen und -senkungen sowie Schwankungen der Meeresspiegelhöhe gegeben hat.
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Messara, die einzige größere Ebene (140 km²) K.s wird im Süden durch eine steil ins Meer abfallende Küstenkette (Asterousia 1231 m) abgeschlossen. Der Süden K.s weist eindrucksvolle junge Schluchten auf wie die Samaria-Schlucht im Gebirgszug Levka Orī, die 1962 als Nationalpark (4850 ha) ausgewiesen wurde.

Drei mächtige Halbinseln – Gramvousa, Rodōpou und Akrotīri Souda – prägen die Nordwestküste und bilden eine überaus buchtenreiche Küste mit zahlreichen Naturhäfen. Der Osten K.s hat die Gestalt einer separaten Halbinsel (Sīteia) östlich von Ierapetra, die durch die „Bucht von Mirabello“ vom übrigen K. getrennt wird. Südlich der Insel erreicht der Meeresboden Tiefen von 2500–3390m.

Das Klima ist ausgeprägt mediterran: Eine Dürrezeit von April bis Oktober mit höheren Temperaturen als auf den Ägäischen Inseln wechselt sich mit milden regenreichen Wintern ab. Im Sommer fallen stetige Nordwinde, wodurch sich das Betreiben von Windmühlen für Getreide oder Bewässerungswirtschaft lohnte, der Frühling hingegen ist durch heftige Südwinde (Schirokko) geprägt. Die Niederschläge übersteigen im Westteil der Insel in den Gebirgen 1400 mm, im Südosten erreichen sie dagegen nicht einmal 500 mm. So wie der Westen der Insel mehr Niederschläge als die Osthälfte empfängt, ist die Nordseite niederschlagsreicher als die Südseite. Dezember und Januar sind die regenreichsten Monate.

Die natürliche Vegetation entspricht den klimatischen Bedingungen, sie ist durch die lange Kulturtätigkeit des Menschen allerdings stark degradiert. Charakteristisch sind viele endemische Arten, darunter mehrere Orchideenarten.
Nordküste
Die Landschaft wird durch Macchie und Phrygana geprägt, die an die Stelle des weitgehend gerodeten Waldes getreten ist. Die obere Waldgrenze liegt bei 1700 m. Charakterbaum der kretischen Kulturlandschaft ist die Zypresse. Nicht von ungefähr wurde das umgekehrte Abbild ihres Stammes in der minoischen Zeit (bis 1400 v. Chr.) das Vorbild für die minoische Säule. Unter den Tierarten der Insel ist das Vorkommen der Kretischen Wildziege und mehrerer Geierarten bemerkenswert.
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Die Hälfte der Einwohner K.s lebt in den großen Hafenstädten. Zusammen mit einigen kleinen, dicht vor der kretischen Küste liegenden Inseln wie Dia, Gavdos und Chrysī, bildet K. eine eigene administrative Region, die sich in die Verwaltungsbezirke (griech. Nomoi) Hania, Rethymnon, Iraklion und Lasithi gliedert. Iraklion (2001: 130.914 Einwohner) in der gleichnamigen Bucht war bereits in historischer Zeit ein Kernraum kretischer Kultur und ist heute Hauptstadt der Insel. Im dichtbesiedelten Norden stellen die Küsten und das daran anschließende Hügelland das bevorzugte Siedlungsland dar. Der Süden ist sehr dünn besiedelt, da er nur in der Messara-Ebene und ortsweise auf schmalen Küstensäumen Siedlungsraum gewährt. Das alte Dorfbild mit Kubus- und Flachdachhäusern ist heute in den meisten Ortschaften modernen Siedlungen mit zwei- und dreistöckigen Wohnhäusern mit roten Ziegeln (Pult- oder Satteldächer) gewichen.

Durch die jahrhundertelange osmanische Herrschaft lebten auf K. griechischsprachige Muslime (›tourkokrītes‹), die 1922 in die Türkei auswandern mussten und sich in den kleinasiatischen Küstenstädten niederließen. Die Gruppe der Sfakioten gilt heute als reinster Vertreter griechischen Volkstums, weil ihr Siedlungsgebiet während der osmanischen Herrschaft durch hohe Abgaben weitgehend autonom gehalten werden konnte.

Auf K. herrscht in Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ein West-Ost-Gefälle. Die meisten Ärzte und Klinikbetten pro Einwohner stehen in Hania zur Verfügung; Universitäten gibt es in Rethymnon und Iraklion. Der Verkehr konzentriert sich im Westen auf die wirtschaftlichen Zentren Hania, Rethymnon, Iraklion und damit auf die Nordküste. Die Städte sind durch gut ausgebaute Straßen miteinander verbunden, die nach Osten bis Sīteia weiterführen. Ein dichtes Straßenetz geht fächerförmig von allen wichtigen Hafenstädten des Nordens Richtung Süden zu Städten im Hinterland sowie zu den antiken Stätten. Die wichtigste Nord-Süd-Verbindung führt von Iraklion in die Messara-Ebene. Die wichtigsten Häfen (Hania, Rethymnon, Iraklion) liegen im Norden, wobei im Nordosten Agios Nikolaos und Sīteia von Bedeutung sind. Die Südküste ist für die Schifffahrt bedeutungslos, die Häfen Ierapetra und Chōra Sfakiōn sind lediglich lokale Fischereihäfen. Die wichtigsten Hafenstädte sind durch Schiffslinien untereinander und mit Piräus sowie den um K. liegenden Nachbarinseln verbunden. Internationale Flughäfen besitzt die Insel in Hania und Iraklion.

Zu den wichtigsten Anbaukulturen gehören Oliven, Weintrauben (Rosinen, Sultaninen, Weinherstellung), Zitrusfrüchte, Bananen, Frühkartoffeln, Gemüse, Getreide und Blumen. Viele Kulturen werden heute in Warmbeeten gezogen. Die Betriebe sind im Durchschnitt sehr kleinflächig, was mit der andauernden Landflucht zu begründen ist. In den Gebirgen herrscht extensive Weidewirtschaft mit Schafen und Ziegen vor. Auf der hochgelegenen Karstebene Lasithi im Diktī-Gebirge werden Gemüse und Kartoffeln angebaut, die durch Windmühlenbetrieb bewässert werden. Die wichtigste Kornkammer der Insel ist die Ebene Messara, in der sogar Bananen gedeihen. Üppige Palmenvorkommen wie in der Bucht von Vai sind vom Tourismus entdeckt worden.

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Außer geringen Eisenerz- und Lignitvorkommen besitzt K. keine abbauwürdigen Bodenschätze. Die vielen Windmühlen zur Wasserhebung und -verteilung geben ein Zeugnis von der früher wichtigen Nutzung der Windenergie. Die wirtschaftlich dynamische Entwicklung der 1980er Jahre vollzog sich an der Nordküste der Insel und brachte einen rasanten Wandel der Kulturlandschaft sowie eine starke Öffnung der bis vor kurzem sehr traditionell geprägten kretischen Volkskultur und Mentalität mit sich.

Von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist der Fremdenverkehr, der begünstigt wird durch das sonnenreiche Klima und zahlreiche archäologische Stätten der Minoischen (Knossos, Faistos) und Mykenischen Kultur. Weiterhin locken Denkmäler aus griechischer und römischer (Gortyna) sowie aus byzantinischer, venezianischer und türkischer Zeit. Insgesamt verlief die wirtschaftliche Entwicklung K.s am Ende des 20. Jh. positiv. Dazu trug nicht nur der expandierende Tourismus bei, sondern auch die innovationsfreudige Landwirtschaft, die Wahrnehmung der Marktchancen und das kretische Regionalbewusstsein, das sich dem Zentralismus Athens nur bedingt unterordnete. Bezüglich seines Pro-Kopf-Einkommens nimmt K. innerhalb Griechenlands eine Mittelstellung ein.

2 Kulturgeschichte

K., in der griechischen Mythologie Heimat des Zeus, ist bereits seit neolithischer Zeit besiedelt. Durch die Einwanderung kleinasiatischer Kolonisten um 2600 v. Chr. wurde der Grundstock für eine spätere Hochkultur gelegt. Unter dem Einfluss Vorderasiens, Makedoniens, der Kykladen und Ägyptens schufen die vorgriechischen Kreter seit dem frühen 3. Jt. v. Chr. die Minoische Kultur. Die Insel scheint in der ersten Hälfte des 2. Jt. v. Chr. ein einheitliches, von Knossos aus beherrschtes Seereich gebildet zu haben. Mit den prächtigen Palastbauten von Knossos, Faistos, Mallia, Katō Zakros und anderen war K. bis in die mykenische Zeit kultureller Mittelpunkt des Ägäischen Meeres, von dem mehrere Kolonien gegründet wurden.

Das Eindringen der Mykener (15. Jh. v. Chr.), der griechischen Achäer und Dorier zwischen 1400 und 1100 v. Chr. war der Hauptgrund für die Zerstörung der minoischen Zentren, die möglicherweise bereits durch den gewaltigen Vulkanausbruch von Santorin 1483 teilweise zerstört worden waren. Der Name der Minoischen Kultur geht auf den König Minos zurück, in dessen Labyrinth das Stierwesen Minotaurus gelebt haben soll. Nach 1400 v. Chr. wurde K. von Achäern aus der Peloponnes und im 11. Jh. von Doriern besetzt, die dort eine große Zahl unabhängiger Stadtgemeinden wie Drēros oder Knossos gründeten (im 5. Jh. v. Chr. wichtige Rechtskodifikation im inschriftlich erhaltenen Stadtrecht von Gortyna). Die oft miteinander befeindeten Städte schlossen sich im Zeitalter des Hellenismus zu Städtebünden zusammen, was zu einer neuen kulturellen Blüte auf K. führte.

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Die Beteiligung K.s an der Seeräuberei veranlasste die Römer, die Insel zu unterwerfen (67 v. Chr.), woraufhin es bis 325 n. Chr. römisch blieb. Von Augustus bis Diokletian bildete K. mit Kyrene die römische Provinz Creta et Cyrenaica. In dieser Zeit wurden zahlreiche Tempel, Paläste und Theater gebaut. Seit dem 4. Jh. entfaltete sich das Christentum. 395 kam K. an Byzanz, war zwischenzeitlich (823/25–961) im Besitz arabischer Piraten (Sarazenen), dann wieder byzantinisch. Die Araber gründeten 824 Handak (Chandak) an der Stelle des späteren Iraklion.

Nach dem Vierten Kreuzzug und der Besetzung Konstantinopels durch die Franken (1204) kam K. an Venedig, wo es fast ein halbes Jahrtausend (1210–1669) verblieb, in dem die Insel unter der italienischen Ableitung von Chandak – Candia – bekannt war. Mehrere Festungsbauten aus dieser Zeit sind erhalten. Für K. wurde es in Bezug auf Kunst und Literatur eine fruchtbare Epoche, insbesondere im 16. und 17. Jh. blühten Theater und Malerei (Theophanes der Kreter, El Greco). 1669 eroberten die Osmanen nach 23jähriger Belagerung von Handak die Insel. Bald darauf organisierten sich in den Bergen K.s die als ›Chainides‹ bekannten Rebellen, die kretische Entsprechung der „Kleften“ des griechischen Festlands.

Im 18. und 19. Jh. mehrten sich die Aufstände gegen die osmanischen Herrscher, die oft von den Sfakioten, Bewohnern der unzugänglichen Hochebene Sfakia, ausgingen. Ausdruck der Verzweiflung der christlichen Bevölkerung ist das Beispiel des Klosters Arkadi, in dem sich 1866 Hunderte Familien vor den Osmanen versteckt und in die Luft gesprengt haben sollen, um nicht die Demütigung der Unterwerfung erleiden zu müssen. Nach der Niederlage in dem um K. ausgelösten Krieg gegen die Türkei (1897) musste Griechenland eine internationale Finanzkontrolle (1898) zur Sicherung des Schuldendienstes akzeptieren. 1898 erhielt K. Selbstverwaltung unter türkischer Hoheit und wurde 1908 bzw. 1913 mit Griechenland vereinigt.

Einen Tag nach Beginn des italienischen Angriffs auf Griechenland (29.10.1940) landeten britische Luftwaffen- und Heeresverbände auf K. Nach Beendigung des Balkanfeldzuges griffen im Rahmen des Unternehmens „Merkur“ am 20.05.1941 deutsche Truppen die Insel an und zwangen die britischen und griechischen Truppen zur Räumung K.s. Erst 1945 verließen die letzten deutschen Truppen die Insel.

Aufgrund ihrer eigenständigen Geschichte und Kultur haben die Bewohner K.s heute ein ausgeprägtes Regionalbewusstsein, ohne jedoch am griechischen Nationalbewusstsein irgendeinen Zweifel aufkommen zu lassen. Die eigenständige kretische Volkskultur ist westlichen Einflüssen gegenüber relativ resistent und auch von der übrigen griechischen Volkskultur durchaus unterschiedlich.

Adler R., Metzmacher B. 1999: Kreta. Kultur, Religion, Geschichte. Stuttgart. Bryans R. 1985: Kreta. München. Chaniotis A. 2004: Das antike Kreta. München. Gallas K., Wessel K., Borboudakis M. 1983: Byzantinisches Kreta. München. Hempel L. 1991: Forschungen zur physischen Geographie der Insel K. im Quartär. Göttingen. Lienau C. 1989: Griechenland. Geographie eines Staates der europäischen Südperipherie. Darmstadt (= Wissenschaftliche Länderkunden 32). Maull O. 1929: Länderkunde von Südosteuropa. Leipzig. Velissariou E. 1991: Die wirtschaftlichen Effekte des Tourismus dargestellt am Beispiel Kretas. Frankfurt a. M. Vuidaskis V. 1982: Tradition und sozialer Wandel auf der Insel Kreta. Köln.

(Thede Kahl)

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