Barbaren

Barbaren

Inhaltsverzeichnis

1 Allgemeines

Der Begriff B. leitet sich vom griechischen Wort bárbaros ab und bedeutet soviel wie der „Plappernde“, der „unverständlich Sprechende“. Er konnte auch Tierlaute kennzeichnen, so dass sich der Vergleich der barbarischen Sprache mit nicht verständlichen Tierlauten ergab. Damit ist der Begriff ursprünglich rein sprachlicher Herkunft und bezeichnet den aus griechischer Sicht Fremden, nicht griechisch Sprechenden.

2 Antike

2.1 Griechen

Erst in der Zeit der Perserkriege (490–448 v. Chr.) erfuhr der B.-Begriff eine Erweiterung, indem er den Gegensatz Griechen/Hellenen und B. auf die Bereiche Kultur, Wesensart, Moral, Religion etc. bezog. Die Besinnung auf die eigene Lebensweise führte dazu, den B.-Begriff sowohl kulturell als auch moralisch wertend zu gebrauchen. Seit dem 5. Jh. v. Chr. ist daher die Bedeutung unkultiviert, wild, grausam nachweisbar. Nebenher aber blieb der wertneutrale Begriff für den Nicht-Griechen bestehen. Im Laufe des 5. Jh. v. Chr. verlor der Begriff damit seine Eindeutigkeit. Der negative B.-Begriff dieser Zeit wurde geprägt durch die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Kultur. Begründet wurde dies u. a. mit den idealen Lebensbedingungen, die das gemäßigte Klima des Mittelmeerraumes seinen Bewohnern böte. Im 4. Jh. v. Chr. ist dann auch die Anwendung des Begriffs B. auf Angehörige des eigenen Volkes nachweisbar. Durch den Aufschwung Athens betrachteten sich die Athener mit ihrer Sprache und Kultur als die wahren Griechen. Er konnte damit als Schimpfwort im politischen Kampf benutzt werden, um dem Gegner zu schaden, indem man ihm barbarische Herkunft oder barbarische Wesensart vorwarf. Zeitgleich jedoch ist auch die Idealisierung des B.-Begriffs nachweisbar. Die kynische Philosophie verherrlichte das einfache Leben barbarischer Völker, indem sie die ursprüngliche Unverdorbenheit der menschlichen Natur und den schädlichen Einfluss der Kultur auf diese betonte. Unter kynischem Einfluss erfolgte daher die Idealisierung bestimmter, am Rande der wahrgenommenen Welt lebender Völker wie z. B. der Skythen. Insgesamt jedoch überwiegen bei den Griechen die Belege für barbarenfeindliche Vorstellungen.

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2.2 Römer

Ein dem griechischen B.-Begriff adäquates Wort hat die lateinische Sprache nicht hervorgebracht. Wenn die Römer fremde Völker bezeichneten, so sprachen sie, aus rein geographischer Sicht, von ›externae gentes‹, d. h. außerhalb Italiens bzw. des Römischen Reiches lebenden Völkerschaften. In der Sichtweise und Behandlung fremder Völker dominierte ihre politische Abstufung und Bedeutung. Der Begriff B. war dazu zu allgemein. Daher bildete sich kein ähnlicher lateinischer Begriff. Vielmehr wurde die griechische Bezeichnung B. von den Römern übernommen. Für die Griechen selbst waren anfangs auch die Römer B. und die Römer ihrerseits übernahmen diesen Begriff, um sich selbst als B. zu bezeichnen. Die Einteilung der bekannten Welt in Griechen, Römer und B. erfolgte erst einige Zeit später, die Zweiteilung in Römer und B. erst in der Spätantike. Mit den sich einstellenden politischen und militärischen Erfolgen (Anfang des 3. Jh. v. Chr.) jedoch wollten und konnten sich die Römer nicht mehr als B. bezeichnen.

In der römischen Literatur prägen sich auf Grundlage der griechischen Wertungen verschiedene Facetten des B.-bildes aus. Neben dem stereotypen Klischee des rohen, ungebildeten Menschen existieren idealisierende Darstellungen. Sie sehen in den so genannten Randvölkern, den Völkern, die am Rande der bewohnten Welt, außerhalb der Kultur leben, die im Einklang mit sich selbst lebenden, zufriedenen, unverbildeten Menschen. In diesen barbarischen Kulturen glaubte man die eigene Tugend (virtus) der frühen römischen Geschichte wiederzuerkennen, während man die heutige römische Tugend durch die Einflüsse der Kultur degeneriert sah.

Beide B.bilder resultieren jedoch nur zu einem geringen Teil aus eigener Anschauung und Erfahrung. Sie sind geprägt durch einzelne Ereignisse, wie z. B. militärische Auseinandersetzungen, politische Grundeinstellungen und philosophische Lehren. Die Verwendung des B-begriffs selbst begünstigte außerdem die Entstehung von Vorurteilen, Klischees und stereotypen Sichtweisen. So charakterisieren antike Autoren den barbarischen Gegner als wild, tiergleich, anmaßend, hab- und beutegierig, großmäulig, treulos und verschlagen sowie unmenschlich. Die B. des nördlichen Raumes haben ein Furcht erregendes Äußeres, große Körper, laute, beinahe tierische Stimmen, verfügen über enorme Körperkräfte und treten in großer Zahl auf; zugleich sind sie ungestüm und kämpfen ohne Verstand und Ausdauer. Die B. südlicher Regionen gelten im Gegensatz dazu eher als kleinwüchsig und feige, zugleich aber als besonders schlau und hinterlistig. Zurückgeführt werden diese pauschalisierten Charakterisierungen auf die jeweiligen klimatischen Bedingungen, die sich – so die Theorie – auf Wesensart und Aussehen auswirken können.

Zu unterscheiden ist jedoch zwischen dem B.verständnis, wie es in der antiken Literatur bezeugt ist und der realen Einschätzung fremder Völker. Die römische Außenpolitik der späten Republik und frühen Kaiserzeit und die damit einhergehende Provinzialisierung relativierten den B.-Begriff allmählich. Durch die ›Constitutio Antoniana‹ 212 wurde das römische Bürgerrecht auch an nicht römische Reichsangehörige verliehen. Außerdem nahm der Einfluss der B. im Heer zu. Die Anwendung der B.-Bezeichnung wurde damit immer mehr in die Randgebiete der damals bekannten Welt gedrängt. Spätestens seit Kaiser Konstantin (305–37) änderte sich die Einstellung gegenüber den B. dahingehend, dass sie nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrer Einstellung gegenüber dem Römischen Reich beurteilt wurden. Rom positiv gesonnene B. konnten die höchsten Staatsämter bekleiden, wie die beispielhafte Karriere des Heermeisters Flavius Stilicho (ca. 365–408) beweist. Außerdem waren einige der sog. Soldatenkaiser barbarischer Abstammung und wurden ihrerseits als B.sieger gefeiert. Dadurch und durch die Ansiedlung von B. in das Gebiet des Römischen Reiches kam es zu einer verstärkten Polarisierung des B-Begriffs. Einerseits konnte das Römische Reich auf die Unterstützung durch die B. nicht verzichten und benutzte daher die Bezeichnung gemäß der politischen Gesinnung, andererseits weigerten sich spätantiker Autoren wie Sidonius Apollinaris (* um 431 † um 486) oder Quintus Aurelius Symmachus (* um 340 † um 402), die veränderte politische Situation anzuerkennen und das klassische negative B.-Bild zu relativieren.

In der Spätantike wurde ›barbarus‹ (barbarisch) häufig synonym mit ›miles‹ (Soldat) verwendet, was der Tatsache Ausdruck gibt, dass sich das Römische Reich immer stärker auf die militärischen Kräfte barbarischer Völker stützen musste. Während der Begriff somit allmählich außerhalb der Dichtung seinen negativen Charakter verlor, wurde er gleichzeitig als Selbstbezeichnung durch die Germanen genutzt. Dies gilt insbesondere dort, wo sich die Autorität der germanischen Invasoren gefestigt hatte. Im Burgunderreich oder dem Reich der Westgoten, wo es keine nennenswerten Spannungen zwischen den Invasoren und den Unterworfenen gab, verlor der Begriff seine pejorative Bedeutung. Er wurde in gesetzgebende Texte aufgenommen und bezeichnete hier wertneutral den Sieger. Zugleich gebrauchten die Germanen, die römische Sichtweise und politische Stellung übernehmend, den Begriff B. für fremde, außerhalb ihres Reiches stehende Völkerschaften. So bezeichneten die (Ost)Goten Burgunder und Franken als B.

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2.3 Christen

Mit der Verbreitung des Christentums und der Entscheidung des Römischen Reiches für das Christentum kam eine religiöse Komponente in der Verwendung des B-Begriffs hinzu. Neben Zivilisation und Menschlichkeit wurde der rechte Glaube gestellt, dem Unkultur, Grausamkeit sowie falscher oder nicht vorhandener Glaube entgegen gesetzt wurden. Die B. erschienen gerade auch aus dem Erfahrungshorizont der Spätantike heraus als das Reich bedrohende, plündernde und verwüstende Horden, die durch die Annahme des Arianismus auch noch als Häretiker galten. Damit zählten die B. auch als starke Gegner der Kirche. Eng verbunden mit der Sichtweise, die B. als religiöse Gegner zu betrachten, war der Gedanke der Missionierung der B.

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3 Mittelalter

Im Zuge der karolingischen ›renovatio imperii‹ wurden alle die Völker, die außerhalb des fränkischen Reiches standen, wie beispielsweise die Obodriten, Böhmen oder Sachsen als B. bezeichnet. Inhaltlich wurden dabei die negativen, seit der Antike existenten Werturteile übernommen. Auf diese Weise charakterisierte z. B. Adam von Bremen die Normannen als B. Zugleich jedoch fand der Begriff auch wieder eine rein sprachliche Anwendung, indem im Gegensatz zum Lateinischen andere Sprachen als barbarisch gekennzeichnet wurden. Daneben diente der B.-Begriff auch v. a. in karolingischer Zeit zur Charakterisierung der Nicht-Christen. Grundsätzlich jedoch glichen sich die europäischen Völker und Stämme bedingt durch die veränderten Herrschaftsverhältnisse und ihre religiöse Bekehrung immer mehr einander an. Es entstand eine gemeinsame christlich, mitteleuropäische Kultur, die einen neuen Gegensatz zum Islam und den nicht-christlichen slawischen Völkern bildete und folglich den B-Begriff auf diese Völker projizierte. Ungarn, Mongolen, Türken etc. erschienen als B., als grausame Gegner, die die Regeln der christlichen Gesellschaft missachteten. Parallel dazu erfolgte auch hier wieder eine Differenzierung, vertreten u. a. bereits von Thomas von Aquin (*1224/25 †1274), der auf den Gegensatz barbarisch/christlich bewusst verzichtete, um so seiner Wertschätzung alter, aber eben nicht christlicher Kulturen Ausdruck zu geben. Eng damit verbunden wiederum ist der Gedanke des Spätmittelalters, insbesondere dann auch der des Humanismus, dass alles das barbarisch war, was antiklassisch war. So konnte schließlich das Mittelalter selbst als barbarisch erscheinen. Benutzt man heute den Begriff B., so kennzeichnet man damit in der Regel einen rohen, empfindungslosen, ungebildeten Menschen.

Eichhorn A. 1904: Barbaros quid significaverit. Leipzig. Rüger J. 1965: Barbarus. Wort und Begriff bei Cicero, Livius, Caesar. Göttingen. Opelt I., Speyer W. 1967: Barbar. Jahrbuch für Antike und Christentum 10, 251–290. Vogt J. 1967: Kulturwelt und Barbaren. Zum Menschheitsbild der spätantiken Gesellschaft. Mainz.

(Beatrix Günnewig)

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