Akademie der Wissenschaften (Ungarn)

Magyar Tudományos Akadémia (ungar., MTA, „Ungarische Akademie der Wissenschaften“)

Die Idee zur Gründung einer Akademie entstand in Ungarn ab der zweiten Hälfte des 18. Jh. Dem Schriftsteller György Bessenyei schwebte eine nach französischem Vorbild errichtete Akademie vor. Seine Vorstellungen wurden von Miklós Révai erweitert, der bereits einen genauen Plan ausarbeitete (Planum erigendae societatis Eruditae Hung. alterum elaboratius, Pest 1790). Révai rechnete damit, dass die ungarischen Magnaten wie auch der aufgeklärte Herrscher, Joseph II., dieses Vorhaben unterstützen würden. Noch aber war die Zeit nicht reif dafür; die zentralistische Einstellung von Joseph II. verhinderte letztendlich die Gründung einer selbständigen ungarischen Akademie.

Anfang des 19. Jh. verfolgten ungarische Wissenschaftler und Denker das Ziel, die Erneuerung der ungarischen Sprache durch Errichtung einer ungarischen Akademie zu fördern. Auf der Sitzung des Ständetages 1825 stellte Graf István Széchenyi das Jahreseinkommen seiner Landgüter (ca. 60.000 Forint) der zu errichtenden Akademie zur Verfügung. Seinem Beispiel folgten andere Magnaten und Abgeordnete (Graf György Andrássy, Graf György Károlyi, Ábrahám Vay – sie waren mit Graf Széchenyi die ersten vier Gründer der M.), die nicht nur mit Geld, sondern auch durch die Übereignung eigener Kulturschätze, Bibliotheken usw. die Errichtung einer Akademie unterstützten. In den folgenden Jahren konnten insgesamt 250.000 Forint gesammelt werden. Der Palatin, der die Idee von Anfang förderte, stellte am 30.11.1827 einen Ausschuß unter der Leitung von Graf József Teleki auf, dem außer den ersten vier Gründern noch 22 Wissenschaftler angehörten. Sie arbeiteten Vorschriften und Programme aus.

Franz Joseph I. bewilligte schließlich am 17.11.1830 die sich „Ungarische Wissenschaftliche Gesellschaft“ (Magyar Tudós Társaság) nennende Institution. Ihr erster Präsident wurde Graf József Teleki, Vizepräsident Graf István Széchenyi. Von 1825-30 hat die Akademie ihre Sitzungen im Saal der Magnatentafel in Pozsony (heute slowak. Bratislava) abgehalten, später in Pest. Hier wurde die erste Grundregel der Akademie veröffentlicht (A magyar tudós társaság alaprajza és rendszabásai, Pest 1831). Ihr wichtigstes Ziel war die Verbreitung der erneuerten ungarischen Sprache durch Förderung von Veröffentlichungen ungarischer Literatur und ungarischer Übersetzungen weltliterarischer Werke. Die Akademie bestand zu der Zeit aus einem sog. Verwaltungsrat von 25 Personen, 24 Ehrenmitgliedern, 42 ordentlichen Mitgliedern und zahlreichen korrespondierenden Mitgliedern. Einmal jährlich wurde eine große Sitzung aller Mitglieder der Akademie zusammengerufen, wo u. a. über die Vergabe der akademischen Preise und die Aufnahme neuer Mitglieder beschlossen wurde.

Anfang

Es lassen sich sechs Perioden in der Geschichte der M. unterscheiden:

1. Während des Reformzeitalters (1825-48/49) wurden die ersten großen Arbeiten, wie die Herausgabe von Wörterbüchern und bedeutenden ungarischen Sprachdenkmälern, begonnen. In dieser Zeit schaffte die Akademie die Grundlage zur Herausgabe wissenschaftlicher Bücher und Zeitschriften sowie zur Errichtung eines nationalen Theaters durch Unterstützung von Autoren. Zwei Jahrzehnten nach der Gründung hatte die Akademie indessen noch immer kein eigenes Gebäude. Bei der Fertigstellung des Nationalmuseums (1843) entstand der Gedanke, die Akademie mit im Museumsgebäude unterzubringen. Dies scheiterte jedoch daran, daß das Museum selbst unter Platzmangel litt.

2. Nach der Niederlage der Revolution und des Freiheitskampfes von 1848/49 und während des Absolutismus sah es die Akademie als ihre vorrangige Aufgabe an, die geistige Leitung der kulturellen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Ungarns zu übernehmen und die Suche nach Inhalten der nationalen Identität voranzutreiben. Auf Initiative des damaligen Präsidenten der M., Graf Emil Desewffy, wurde im Jahre 1859 eine öffentliche Sammlung zur Finanzierung des Akademiegebäudes initiiert. Die Akademie besaß enorme Popularität in breitesten Schichten der Bevölkerung. So war die Sammlung außerordentlich erfolgreich: Bereits Ende 1860 war eine für den Bau ausreichende Summe zusammengekommen. Das am Ufer der Donau gelegene Grundstück wurde der Akademie von der Stadt Pest geschenkt.

3. Nach dem österreich-ungarischen Ausgleich (1867) bekam die Akademie neue Impulse. In dieser Periode wurde das bis heute stehende Akademiegebäude errichtet. Zum Wettbewerb reichten die Architekten Imre Henszlmann, Miklós Ybl, Antal Szkalnitzky, Heinrich Ferstel, Leo von Klenze und Friedrich August Stüler ihre Entwürfe ein. Der Bau wurde 1862 nach den Plänen von Stüler begonnen. Im Frühjahr 1865 konnte das Gebäude in Betrieb genommen werden. In die Akademie wurden jetzt auch mehrere berühmte Naturwissenschafter aufgenommen und nach den ersten zwei Abteilungen (1. Sprach- und Schöne Wissenschaften, 2. Philosophie, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften) eine dritte, für die Mathematik und Naturwissenschaften, ins Leben gerufen. In dieser Struktur arbeitete die Akademie bis zum Jahr 1946. Trotz des Vorstoßes der Naturwissenschaften blieb die Akademie weiterhin von den Geisteswissenschaften geprägt. Es wurden große Reihen herausgegeben, unter anderem die ›Monumenta Hungariae Historica‹ und die ›Monumenta Hungariae Archaeologica‹ in mehreren Bänden.

4. Nach dem ersten Weltkrieg und der ungarischen Räterepublik (1919) geriet die Akademie in eine schlechte wirtschaftliche Lage. Zahlreiche Publikationen mussten eingestellt werden. Erst nach einigen Jahren gelang die Wende. Auch diesmal halfen gesellschaftliche und staatliche Zuschüsse, die es ab Mitte der 20er Jahre des 20. Jh. wieder erlaubten, zum Teil bis heute bedeutende wissenschaftliche Werke zu veröffentlichen. Bis zum zweiten Weltkrieg stand die M. in lebhaftem Kontakt mit den Akademien anderer europäischer Staaten.

5. Während des Kommunismus wurde die M. nach sowjetischem Vorbild umgeformt (1949). Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden aus ideologischen Gründen aus der Akademie ausgeschlossen; ihre Rehabilitierung erfolgte erst nach dem Sturz des Kommunismus. In den 50er Jahren wurden sechs, in den 60er Jahren zehn Abteilungen gebildet. Neben ihnen wurden sog. akademische Institute eingerichtet, an denen nicht nur Akademiemitglieder arbeiteten.

6. Nach der friedlichen Wende von 1989 wurde die Akademie mit der früher ausgebauten Struktur weitergeführt. 1990 bzw. 1994 wurde eine neue Grundregel angenommen: Der Akademie wurde ihre während des Kommunismus vom Parteistaat zugesicherte politische Rolle entzogen; sie fungiert nach 1990 nicht mehr als wissenschaftliche Oberbehörde.

Die M. hat elf Abteilungen, das sind: Sprach- und Literaturwissenschaften, Philosophie und Geschichtswissenschaften, Mathematik, Agrarwissenschaften, Medizin, Technik, Chemie, Biologie, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Geologie, Physik. Die verschiedenen Abteilungen und akademischen Institute arbeiten vorwiegend in ihrem wissenschaftlichen Bereich, bekamen aber nach 1989 auch neue Aufgaben, so wurden z. B. die europäische Integration und der Beitritt Ungarns in die Europäische Union durch die verschiedenen Institutionen der M. untersucht und vorbereitet.

Szabó J. (Szerk.) 1996: A Magyar Tudományos Akadémia palotájának pályázati tervei 1861, Katalógus és források. Budapest. www.mta.hu. [Stand 15.5.2003].

(Csaba Szabó)

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