Formismus

Formismus (poln. formizm)

Die 1917 gegründete Gruppe der polnischen F. (poln. Formiści Polscy; bis Sommer 1918 noch „Polnische Expressionisten“) zählt zu den ersten Gruppen der polnischen Avantgarde der Zwischenkriegszeit und vereinte Künstler aus unterschiedlichen Bereichen, z. B.: Tytus Czyżewski (Malerei, Literatur), Leon Chwistek (Malerei, Ästhetik), Jan Hrynkowski, Konrad Winkler (Malerei), Stanisław Ignacy Witkiewicz, gen. Witkacy (Malerei, Literatur, Theater) sowie August Zamoyski, Andrzej und Zbigniew Pronaszko (Bildhauerei).

Die Anfänge des F. liegen noch vor dem Ersten Weltkrieg, wo es v. a. die kritische Auseinandersetzung mit der realistischen bzw. symbolistisch-sezessionistischen Kunst des sog. „Jungen Polen“ (poln. Młoda Polska) sowie die Rezeption der zeitgenössischen europäischen Kunst (Paul Cézanne, Kubismus, Futurismus etc.) waren, die die Suche nach neuen ästhetischen Positionen begleiteten. Zwischen 1917 und 1922 veranstalteten die F. insgesamt 13 Ausstellungen in Krakau, Lemberg, Posen und Warschau und brachten sechs Nummern ihrer Zeitschrift „Die Formisten“ (poln. Formiści) heraus. 1922 lösten sich die F. auf.

Die Gruppe verstand sich mehr als ein loser Zusammenschluss moderner Künstler. Aus diesem Grund sind die von einzelnen F. verfassten kunsttheoretischen Schriften (v. a. Z. Pronaszko: „Über den Expressionismus“, poln. O ekspresjoniźmie, 1918; Witkacy: „Die neuen Formen in der Malerei und die daraus entstehenden Missverständnisse“, poln. Nowe formy w malarstwie i wynikające stąd nieporozumienia, 1919 und Chwistek: „Die Vielheit der Wirklichkeiten“, poln. Wielość rzeczywistości, 1921) nicht vorrangig als Beiträge zu einer gemeinsamen „Theorie des F.“ zu lesen.

Dennoch werden, trotz aller Unterschiede, aus dem Vergleich dieser Texte einige Punkte deutlich, die für das formistische Kunstverständnis charakteristisch sind: v. a. die Überzeugung, dass Kunst nicht auf der möglichst getreuen Nachahmung, sondern schöpferischen Aneignung der außerkünstlerischen Wirklichkeit beruht. Zwar bedeutet dies den Schritt hin zu einer abstrakteren Kunst, wenngleich die F. nicht nach einer völligen Eliminierung des gegenständlichen Inhalts im Kunstwerk strebten. Dieser sollte vielmehr dessen Form stärker hervorheben (Chwistek: mehrdeutiger, „oszillierender“ Inhalt). Die Form, v. a. die in sich geschlossene Komposition (Witkacy: „reine Form“, poln. czysta forma), gilt auch als das eigentlich Ästhetische, nach der der Künstler in seiner Arbeit strebt.

Ähnlich vielfältig wie ihre theoretischen Ansätze ist auch das künstlerische Schaffen der F. selbst. Hier zeigen sich häufig stilistische Affinitäten zu zeitgenössischen europäischen Strömungen, z. B.: zum Kubismus (Czyżewski, A. und Z. Pronaszko), zum Futurismus (Chwistek) oder zum Expressionismus (Witkacy). Interessant sind besonders Czyżewskis sog. „vielebenige Bilder“ (poln. obrazy wielopłaszczyznowe), eine Art dreidimensionaler Collagen.

Czyżewski veröffentlichte zur Zeit des F. zwei Gedichtbände, deren erster „formistisch“ auch im Titel trägt: „Das grüne Auge. Formistische Dichtungen. Elektrische Visionen“ (poln. Zielone oko. Poezje formistyczne. Elektryczne wizje, 1920), außerdem: „Nacht–Tag. Mechanisch-elektrischer Instinkt“ (poln. Noc–Dzien. Mechaniczny instynkt elektryczny, 1922). Im Geiste der Avantgarde beschreiben diese Gedichte die neue Zeit, mit all ihren neuen technischen und zivilisatorischen Erscheinungen (Maschinen, Großstädte etc.). Auffallend ist auch hier die kreative Aneignung zeitgenössischer Poetiken, wie Futurismus, Expressionismus oder Dadaismus, deren Impulse z. T. in einem einzelnen Gedicht verschmolzen werden. Das genuin „Formistische“ ist v. a. in der Annäherung der Dichtung an die bildende Kunst zu sehen, z. B. durch visuelle Effekte, wie Farben. Außerdem geht hier der Dichter, wie der Maler von der Erfahrungsgrundlage des simultanen Schauens aus und ist wie dieser bemüht, im Kunstwerk die verschiedenen Ansichten eines einzelnen Gegenstandes gleichzeitig darzustellen.

Wenngleich der F. keine eigene Theorie hervorbrachte, legte er doch die Grundlagen für eine Erneuerung der polnischen Kunst und Literatur, v. a. in formaler Hinsicht, aber auch durch die Einführung neuer Themen und Motive. Er wurde dadurch zu einem wichtigen Vorläufer für die späteren Gruppen der polnischen Avantgarde, wie: ›Awangarda Krakowska‹, ›Blok‹, ›Praesens‹ u. a.

Winkler K. 1927: Formiści Polscy. Warszawa. Pollakówna J. 1972: Formiści. Wrocław. Jakimowicz I. (Hg.) 1989: Formiści. Warszawa. (=Kat.)

(Markus Eberharter)

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