Leibeigenschaft (Ungarn)
Leibeigenschaft (Ungarn)
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1 Bäuerliche Unfreiheit bis zum Ende des Mittelalters
Das ab dem 11. Jh. schrittweise adaptierte Lehenswesen des fränkisch-deutschen Raumes konnte sich im Königreich Ungarn erst im 13. Jh., gleichzeitig mit der Schwächung der königlichen Macht, durchsetzen. Dies führte zur Zurückdrängung der tributären zugunsten einer stärker grundherrschaftlich ausgerichteten Form des Agrarsystems. Parallel mit dem Verschwinden der persönlich abhängigen Unfreien (Kriegsgefangene, Schuldknechte) geriet vor allem im 13. Jh. eine rasch steigende Zahl von Bauern in eine grundherrschaftliche Abhängigkeit (Verdinglichungsprozess). Bis zur Mitte des 14. Jh. hatte sich aus der zuvor stark fragmentierten, heterogenen Gesellschaftsstruktur eine relativ einheitliche Schicht abhängiger Bauern herauskristallisiert. Auf diese vorerst über das Abzugs und gewisse Besitzrechte verfügende Schicht ging der Begriff jobbágy (pl. jobbágyok; lat. jobagiones; wörtlich „bessere Leute“) über, welcher bis ins 13. Jh. freie Dienstleute, die königliche Gefolgschaft, bezeichnet hatte, nun aber zur Bezeichnung abhängiger Bauern wurde. Im Verlaufe des Spätmittelalters gelang es den kirchlichen wie vor allem den sich als de jure einheitlicher Adelsstand konstituierten weltlichen Grundherren, im Rahmen der Grundherrschaft ihre Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten über ihre grundhörigen Bauern langsam auszuweiten. Die geschwächte königliche Zentralmacht war nicht in der Lage, dieser Tendenz nachhaltig entgegenzuwirken, genauso wenig wie das sehr weitmaschige und auch rechtlich relativ wenig entwickelte Städtenetz.
Ausnahmen bildeten insbesondere Gruppen, die kollektiv den Status von Freibauern genossen wie die Kumanen und Jazygen im Donau-Theiß-Gebiet, die Sachsen in der Zips, die Sachsen und Szekler in Siebenbürgen oder in der frühen Neuzeit auch die Heiducken (ung. hajdú) die etwa im Umland der Stadt Debrecen in einer Reihe von privilegierten Orten (Heiducken-Städte) siedelten. Ein freies Wehrbauerntum existierte in der frühen Neuzeit ferner in den Gebieten der Militärgrenze, insbesondere in Kroatien-Slawonien. Allgemein bot seit dem Spätmittelalter der Kriegsdienst vor dem Hintergrund der häufigen Kampfhandlungen insbesondere mit dem Osmanischen Reich auch für abhängige Bauern eine Möglichkeit, individuell den Status der persönlichen Freiheit zu erlangen.
Die dominierende Wirtschaftsweise blieb der bäuerliche Kleinbetrieb, wobei die untertänigen Bauern über ein erbliches Nutzungsrecht an ihren Hufen verfügten. Die Grundherren als Eigentümer des Bodens begnügten sich bis ins 16. Jh. in der Regel mit der Einhebung von Abgaben, meist in Naturalien. Mit der Entwicklung lokaler Märkte auf den Grundherrschaften, den Marktflecken (oppida, ung. mezőváros), stieg vorübergehend, vor allem im 15. Jh., die Bedeutung der Abgaben in Geld.
2 Die Ausbildung der frühneuzeitlichen Erbuntertänigkeit
Im 16. Jh. kam es insofern zu einem grundlegenden Wandel in den Agrarverhältnissen, als die Grundherren ihre Machstellung mit dem Ziel ausnutzten begannen, ihre Güter in abgeschlossene Märkte zu verwandeln. Dies führte zu einer signifikanten Verschlechterung der bäuerlichen Freiheiten, teilweise vergleichbar der Entwicklung der „Zweiten Leibeigenschaft“ in den Ostelbischen Gebieten, von der sich die ungarischen Verhältnisse jedoch qualitativ und quantitativ abheben. Anstatt sich wie bisher mit Abgaben zu begnügen versuchten die Grundherren nun, die Produkte der bäuerlichen Wirtschaft in eigener Regie zu vermarkten. Die Bauern wurden etwa mittels der Durchsetzung von Vorkaufsrechten vom Marktzugang abgeschnitten, waren aber dank Vorrechten des Grundherrn wie Abnahmezwang und Monopolen gezwungenermaßen zugleich Abnehmer der herrschaftlichen Produkte. Eigenwirtschaften der Grundherren zum Zwecke der Exportproduktion, wie sie für die Gutsherrschaft Polens charakteristisch waren, entwickelten sich jedoch v. a. in der pannonischen Tiefebene nicht in bedeutendem Umfange, was unter anderem mit dem Vordringens der Osmanen, dem großen Gewicht von Viehzucht und Weinbau und der relativ ungünstigen geographischen Lage (fehlende Transportwege auf dem Wasser) zusammenhängt. Ein wichtiger Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte waren hingegen die vor dem Hintergrund häufiger Kriegshandlungen zahlreichen im Lande stationierten oder durchziehenden Truppen.
Seit dem Ende des 16. und im Verlaufe des 17. Jh. bildete sich die dingliche Abhängigkeit der Grundhörigen zur in Ungarn meist als Erbuntertänigkeit (örökös jobbágyság, lat. perpetua rusticitas) bezeichneten Form der bäuerlichen Unfreiheit (Leibeigenschaft) aus, wobei nun Elemente der persönlichen Abhängigkeit zu dominieren begannen. Diese zeigte sich in Form einer gesteigerten herrschaftlichen Gewalt (wie beschränkte Rechtsfähigkeit der Bauern, Heirats-, Berufs- und Eigentumsbeschränkungen, Herrenanspruch auf Arbeitsleistungen etc.), welche in den Landesgesetzen weitgehend unbeachtet blieb. Zwar hatte die Rechtsquelle des Tripartitum (1514/17) 52 Frondiensttage pro Jahr sowie die ewige Schollenbindung festgeschrieben, diese Bestimmungen wurden jedoch in der Praxis erst nach und nach und nicht immer konsequent durchgesetzt. Weitgehend unabhängig irgendwelcher gesetzlicher Regelungen lässt sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. im Rahmen der grundherrlichen Willkür eine stark steigende Belastung durch Frondienste feststellen. Dies betrifft vor allem das unter habsburgischer Kontrolle stehende West- und Oberungarn sowie insbesondere auch das Fürstentum Siebenbürgen. Hier wurden die untertänigen Bauern oft zu zwei bis drei, manchmal auch zu noch mehr Tagen Frondienst pro Woche herangezogen. Daneben war wiederum die Natural- anstelle der Geldrente getreten. Um die hohen Lasten der Fron tragen zu können, waren die bäuerlichen Haushalte teilweise in Großfamilien organisiert. In dem bis Ende des 17. Jh. unter direkter osmanischer Herrschaft stehenden, dünn besiedelten Pannonischen Tiefland, wo die extensive Viehzucht der Marktflecken dominierte, blieben die Frondienste bis weit ins 18. Jh. hinein gering und die Bauern verfügten auch meist über das Abzugsrecht. Die hier nach dem Ende der osmanischen Herrschaft in den stark entvölkerten Gebieten angesiedelten Kolonisten verfügten oft über teils befristete Freiheiten.
Im Zuge des aufgeklärten Absolutismus schalteten sich die habsburgischen Herrscher in der zweiten Hälfte des 18. Jh. verstärkt in das Verhältnis zwischen Grundherr und untertänigen Bauern ein, indem die bäuerlichen Lasten und Pflichten geregelt wurden. 1785 erfolgte die Aufhebung der persönlichen Abhängigkeit im Zuge der Josephinischen Reformen, infolge der Revolution von 1848 schließlich wurde mit der Aufhebung der grundherrlichen Lasten die bäuerliche Unfreiheit definitiv beseitigt.
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