Karelier

Karelier (finn. Karjaleinen, karel. Karjalaine, russ. karely)

Inhaltsverzeichnis

1 Definition

Die K. sind ein finnougrisches Volk, das heute in der finnischen Provinz Nordkarelien und der russischen Autonomen Republik Karelien lebt. Der Hauptraum ihrer Ansiedlung ist das Territorium der Amtsgebiete (russ. oblasti) Archangelsk, Murmansk, Leningrad und Tverʹ. Man unterscheidet drei Gruppen der K.: die eigentlichen Karelier (Mittel- und Nordkarelien), die Olonetzen (nördlich des Ladogasees) und die Luden bzw. Lüden (am Westufer des Onegasees). Das von den K. gesprochene Karelisch gehört zu den ostsee-finnischen Sprachen der finnougrischen Gruppe der uralischen Sprachfamilie und weist drei Dialekte auf.

2 Geschichte

Vor etwa 8000 Jahren erfolgte die Besiedlung des Gebiets um den Ladogasee und des südöstlichen Finnlands. Archäologische Materialien zu dieser Zeit sind jedoch spärlich, sodass die Herkunft der K. letztendlich nicht geklärt ist. Zu Beginn unserer Zeitrechnung bevölkerten sie bzw. ihre Vorfahren die Territorien um den Ladoga- und den Onegasee und zogen von da aus entlang der Nördlichen Dwina bis zum Weißen Meer.

In den skandinavischen Sagas werden die K. erstmalig im 8. Jh. erwähnt. In den russischen Chroniken fällt die erste Erwähnung in das Jahr 1143 (altruss. Korela, Koreljane). Zu dieser Zeit gerieten die K. in Abhängigkeit von Novgorod und wurden in einem langem Prozess zum orthodoxen Glauben bekehrt. Gleichzeitig wurden die am westlichsten siedelnden finnischen und karelischen Gruppen von Schweden und der römischen Kirche zum Christentum bekehrt. Mitte des 13. Jh. spitzte sich die Rivalität zwischen Novgorod und Schweden um den Einfluss auf die K. zu. Die Auseinandersetzungen konnten erst 1323 im Frieden von Orešek (heute Šlisselʹburg) beigelegt werden, Karelien wurde zwischen Schweden und Russland geteilt.

Die Teilung bestimmte über die folgenden Jahrhunderte das Schicksal der K., deren westliche Gruppen unter schwedisch-protestantischen Einfluss gerieten: Abgaben und Glaubenszwang führten zu massenhafter Abwanderung in das russische Siedlungsgebiet. 1809 fiel das gesamte Territorium an Russland. Die K. wurden Teil des Großfürstentums Finnland, das weitgehende Autonomie genoss. Die Unabhängigkeitserklärung Finnlands 1917 führte zu einer neuerlichen Spaltung der K.

Das Gebiet der in der Sowjetunion siedelnden K. erhielt 1923 den Status einer autonomen Republik, die in den Folgejahren einem rasanten wirtschaftlichen Entwicklungsprogramm verbunden mit einer massenhaften Zuwanderung von Arbeitskräften unterworfen wurde. Dies hatte zur Folge, dass die K. starken Assimilierungstendenzen ausgesetzt und innerhalb der Republik zur Minderheit wurden. Dazu trug auch die sowjetische Kultur- und Sprachpolitik bei, die für Karelisch keine eigene Schriftsprache vorsah und in den karelischen Schulen die finnische Unterrichtssprache vorschrieb. Der Anteil der K. auf dem Territorium der Autonomen Republik betrug 1879 noch 42,3 %, 1926: 38,2 %, 1939: 23,2 %, 1989: 10 %, 2002 nur noch 9,1 %. Die ethnische Assimilation setzt sich in der 1991 ausgerufenen Republik Karelien fort, in der 76,2 % der Bevölkerung heute (2002) fern des traditionell dörflichen Umfelds in Städten leben (während 1920 ihr Anteil bloß 16,5 % erreichte). Die Volkszählung von 2002 gibt für das gesamte Gebiet der Russischen Föderation nur noch 93.344 K. an, davon leben 65.651 in Karelien.

3 Ethnologie

Traditionsgemäß siedelten sich die K. in Dörfern entlang von Flüssen und Seen an. Es herrschte der in Nordrussland verbreitetete Bautyp vor, für den eine schachbrettförmige Lage (breiter Hof mit hinten gelegenem Wohnhaus) charakteristisch ist. Bis Anfang des 20. Jh. waren zudem einfache Hütten mit Rauchfang noch stark verbreitet. Die Eigenart der karelischen Wohnstätten besteht v. a. in der Innenausstattung, der Bautechnik und dem architektonischen Dekor.

In der traditionellen Tracht herrschen die nordrussischen Bauernkittel (russ. sarafane) und Hemden vor. Die traditionelle Kost bilden Fischsuppe sowie Fisch-, Grützen-, und Kartoffelpiroggen, Brei und Milchspeisen. Typische Getränke sind neben Tee der Rüben-Kwass und gesalzener Kaffee. In der Folklore der K. sind uralte Runengesänge erhalten geblieben, die in Begleitung von Zupfinstrumenten (finn. kantele) gespielt werden und episch oder lyrisch angelegt, v. a. heroische oder rituelle Inhalte haben. Reichhaltig ist die Überlieferung an Sagen, Märchen und sprichwörtlichen Redensarten. Die Alltagskultur enthält bis heute Elemente der traditionellen Hochzeits-, Geburts-, Gedenk- und Kalenderrituale.

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(Aleksandr Sadochin)


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