Neretva

Neretva (bosn., ital. hist. Narenta).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Smaragdenes Grün, berühmte Brücken und kriegerische Schlachten haben die Neretva zur Legende werden lassen: der Hauptfluss der Herzegowina entspringt zwischen den Bergzügen Zelengora und Vucevo in der heutigen „Serbischen Republik“ (Republika Srpska) und schlängelt sich in einem Längstal des Dinarischen Gebirges nach Nordwesten. Das variantenreiche Grün des Flusses hat seine Ursache im Kalkstein und den Dolomitenfelsen, aus denen seine Quellen entspringen. Das Wasser zermahlt Gestein, dabei entsteht Calciumcarbonat. Es färbt das Wasser auf seinem Weg grün ein und sorgt im Winter, wenn die Sauerstoffkonzentration höher ist, für einen kräftigen Blaustich.

Angaben über die Länge des Flusses sind unterschiedlich – sie reichen von 225 bis 260 km, die N. besitzt ein Einzugsgebiet von 12.7500 km² und führt an der Mündung durchschnittlich 378 m³/s Wasser.

Im Nordwesten durchbricht die N. das Gebirge zwischen Konjic und Jablanica (wo sie zum Jablaničko jezero gestaut ist) und wendet sich nach Südwesten. 22 km durchfließt sie auf ihrem Weg ins Adriatische Meer das heutige Kroatien, bis sie bei Ploče ihr Ziel erreicht. Der Abschnitt ab Jablanica ist zu einer wichtigen Verkehrsader geworden. In und um die Stadt entstanden viele Fabriken, direkt an der N. liegt auch ein Steinbruch. Der hier gewonnene Granit wird weltweit exportiert.

Das Tal, das die N. auf ihren letzten, etwa 30 Kilometern umgibt, ist fruchtbares Schwemmland und von bemerkenswerter Schönheit. Bereits 1881, noch einmal nach 1945, hat man im sumpfigen N.-Delta große Meliorationen durchgeführt. 1895 entstand hier eine 20 Kilometer lange Schifffahrtsstraße. Über 7400 ha erstreckt sich der bosnisch-herzegowinische Teil, Hutovo Blato, der seit 1995 Naturschutz gebiet ist. Der kroatische Teil des N.-Tals hat in den vergangenen Jahrzehnten stark unter der Neugewinnung von Land gelitten; von ursprünglich zwölf Flussarmen sind nur noch drei geblieben. Dennoch gehört das Tal europaweit zu den reichsten Biotopen und ist zum Teil Naturschutzgebiet (Modro oko und Desne jezero): 34 Süßwasserfisch- und 100 Seefisch-Arten sind in den Gewässern zu Hause, 52 Säugetier-Arten, 16 Reptilien- und 300, zum Teil seltene Vogelarten. Doch noch immer steht viel auf dem Spiel: Fünfmal ist die N. im Rahmen der sozialistischen Planwirtschaft gestaut worden, um sie als Energiequelle zu nutzen, Dörfer an ihren Ufern versanken in Stauseen. Heute denkt man über weitere Kraftwerke nach – was fatale Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt der N. nach sich ziehen würde.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Immer wieder hat die N. Geschichte geschrieben. Das Tal der N. war und ist für die Durchquerung dieses Gebiets von großer Bedeutung. Illyrer, Römer und slawische Stämme wie auch später die Osmanen zogen am Fluss entlang und befestigten Straßen. 1872–82 bauten Österreicher eine dem Flusslauf folgende Schmalspurbahn von Sarajevo nach Dubrovnik.

Im Zweiten Weltkrieg war das Hinterland des Flusses Rückzugsgebiet und Hochburg der Partisanen-Armee des jugoslawischen KP-Generalsekretärs Josip Broz (1892–1980). Die von ihm angeführte innerjugoslawische kommunistische Bewegung geriet ab 1942 in scharfe Auseinandersetzungen mit den großserbischen und königstreuen „Tschetniks“(Četnici), die in Bosnien Seite an Seite mit Italienern und Deutschen kämpften. Im Mai 1943 standen sich die verfeindeten Truppen in der legendären „Schlacht an der N.“ gegenüber. Sie gehörte zu den großen und prestigereichen Erfolgen der Tito-Partisanen über ihre Gegner.

Veljčo Bulajić hat über diesen Kriegsschauplatz im Auftrag Titos 1969, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, einen grandiosen Film mit internationaler Starbesetzung gedreht. Yul Brynner, Franco Nero, Curd Jürgens, Hardy Krüger und Orson Welles spielen in › Bitka na Neretvi ‹ („Schlacht an der Neretva“) gemeinsam mit einer Vielzahl jugoslawischer Schauspieler und dem sowjetischen Star Sergij Bondarčuk. In diesem Filmepos sind die „Tschetniks“ wild und grausam, die Deutschen seelenlos und mechanisch und die jugoslawischen Partisanen wahrhaftige und tapfere Helden. Die Propaganda ist allgegenwärtig, der Film unabhängig davon beeindruckend und für Cineasten ein Klassiker des Genres.

Doch nicht nur filmisch ist die N. berühmt geworden – die meisten kennen sie wegen des Weltkulturerbes und Wahrzeichens der Stadt Mostar: stari most („die Alte Brücke“) überspannt hier die N. in einem steinernen Halbmond aus 456 perfekt ineinander passenden, tonnenschweren Steinblöcken. Die längste einbogige Brücke der Welt sollte das irdische Abbild der muslimischen Brücke ins Jenseits (Sirat) sein. Sie liegt 20 Meter hoch über der N. und ist 30 Meter lang. Der osmanische Baumeister Mimar Hajrudin vollendete sein geniales Bauwerk 1566 – und soll sich versteckt haben, als das Bauwerk zum ersten Mal betreten wurde: Er fürchtete um seinen Kopf, sollte sie einstürzen. Die Brücke hielt – bis 1993. Kroatische Streitkräfte zerstörten das über 400 Jahre alte Monument im jugoslawischen Bürgerkrieg. Eine türkische Firma hat das Bauwerk im Auftrag der EU und mit Spenden in sechs Jahren detailgetreu wieder aufgebaut. Ein Teil der alten Steinblöcke konnte dafür aus der N. geborgen werden. 2003 ist die erneuerte Brücke eröffnet worden, und wie vor ihrer Zerstörung sind hier gelegentlich junge Männer anzutreffen, die gegen Honorar in den rasch dahinströmenden Fluss hinunter springen. Allmählich treffen sie hier wieder auf Touristen, die kommen, um das neue alte Bauwerk zu bestaunen. Ein wenig weiter entfernt von den Flussufern ist Mostar bis heute eine Stadt, in der viele traumatisierte Menschen leben; wo Grabsteine die Lücken zwischen den Häusern füllen und wo zerschossene, ausgebrannte Ruinen die Straße säumen, an der die Frontlinie verlief. Doch die Rekonstruktion der Brücke über die N., die den muslimischen Teil Mostars nun wieder wie früher mit dem kroatischen verbindet, ist für viele auch ein Symbol der Hoffnung darauf, dass die Menschen der Stadt wieder zueinander finden und ihre einzigartige, vielfältige Kultur neu beleben.

Koschnick H., Schneider J. (Hg.) 1995: Brücke über die Neretva. Der Wiederaufbau von Mostar. München. NATO-Neretva (http://www.nato.int/sfor/indexinf/articles/030507a/t030507a.htm) (Stand: 6. Juli 2004). Neretva (http://www.br-online.de/politik/ausland/themen/09587) (Stand: 6. Juli 2004). starimost (http://www.starimost.ba) (Stand 6. Juli 2004).

(Tanja Wagensohn)

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