Levante

Levante

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Als Levante bezeichnet man im engeren Sinne die Ostküste des Mittelmeeres (von italienisch ›se levare‹, „das Sich-Erheben“ der Sonne im Osten), besonders aber den Küstenstrich entlang der syrischen, libanesischen und israelisch/palästinensischen Küste.

Die L., am Berührungspunkt der drei Kontinente Europa, Asien und Afrika gelegen, ist allein aus geographischen Gründen prädestiniert, eine herausragende kulturelle und wirtschaftliche Rolle zu spielen. Ihre Lage machte sie jedoch auch zum Kriegs- und Durchmarschgebiet benachbarter, miteinander konkurrierender Großmächte (So fand die erste historisch exakt belegte und datierbare Schlacht der Menschheitsgeschichte zwischen den Ägyptern und Syrern im heute palästinensischen Meggido 1479 v. Chr. statt).

Schon in frühester Zeit war die Levante ein wichtiges Handelszentrum. Sumerer und Ägypter unterhielten Handelsbeziehungen mit der L., die als wichtigstes Erzeugnis Bauholz (die berühmten „Zedern des Libanon“) lieferte. Im 2. Jahrtausend v. Chr. entwickelten sich an der Küste der L. phönizische Handelsstadtstaaten (Byblos, arab. Ǧubayl, Sidon, Tyrus, Haifa, Jaffa, Akkon (hebr. ‘Akko), die Niederlassungen im ganzen Mittelmeerraum anlegten. Wichtigste „Dependance“ der phönizischen Städte war Karthago, im heutigen Tunesien gelegen. Die Phönizier wurden im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. zur absoluten Handelsmacht im Mittelmeerraum; besonders der Handel mit Purpur (ein aus der in der L. heimischen Purpurschnecke gewonnener Farbstoff) erbrachte gewaltige Gewinne. Andere Luxusgüter waren Glaswaren, edle Stoffe (vornehmlich Seide), Gewürze, Weihrauch und Myrrhe.

Die L. lag am Endpunkt zweier großer Handelsstraßen: der Seidenstrasse, die China und Indien mit Europa verband, und der Weihrauchstrasse, auf der die Luxusgüter Afrikas nach Europa transportiert wurden. Dies machte die L. für Eroberer aller Art zum attraktiven Ziel. Die Geschichte der L. ist denn auch die Geschichte häufig wechselnder Herrschaften.

Die phönizischen Städte wurden im 4. Jh. v. Chr. durch Alexander den Großen erobert und nahmen in der Folge zunehmend ein hellenistisches Gepräge an. Ausgrabungen in der L. haben Theater, Marktplätze, Säulenhallen und andere öffentliche Bauten freigelegt, die selbst heute noch das hohe kulturelle Niveau und den Reichtum der damaligen Städte unter Beweis stellen. Nach dem Tod Alexanders fiel die Levante an die Dynastie der Ptolemäer und wurde danach von den Römern erobert. Die L. erreichte den Zenith ihrer Prosperität. Antiocheia (heute türk. Antakya) wurde nach Rom und Alexandria die drittgrößte römische Stadt. Dabei kam der L. auch zugute, dass das römische Reich nach Konstantin dem Großen sich deutlich nach Osten zu orientieren begann (Konstantinopel wird 330 zunächst alleinige Hauptstadt, nach der Reichsteilung 395 Hauptstadt des Ostreiches; der östliche begann den westlichen Reichsteil kulturell und wirtschaftlich zu überflügeln).

Mit dem Aufkommen des Islam im frühen 7. Jh. kam die L. sehr bald unter arabische Herrschaft (Schlacht am Yarmūq, 636). Die Eroberer verhielten sich den örtlichen Christen und Juden gegenüber tolerant, es setzte kein wirtschaftlicher Niedergang ein. Damaskus wird zur Residenz der ʿUmayyaden-Kalifen (661–750).

Im 11. Jh. rückt die L. wieder in den Mittelpunkt des Interesses. 1095 proklamiert Papst Urban V. den ersten Kreuzzug, an dem sich nicht nur europäische Adelige, sondern auch die Bevölkerung begeistert beteiligten. Nach mehreren Jahren und schwersten Verlusten erreichte das Kreuzfahrerheer Jerusalem und eroberte die Stadt nach einer mehrmonatigen Belagerung. In der Folge entstanden mehrere Kreuzfahrerstaaten, die jedoch für ihre Verteidigung auf europäische Unterstützung angewiesen waren (zweiter Kreuzzug, 1145/46) und ihre Existenz eher islamischer Zerstrittenheit als eigener Stärke verdankten. 1187 eroberten die Muslime unter dem kurdisch-ägyptischen Feldherrn Saladin Jerusalem; dieses Ereignis provozierte den dritten Kreuzzug, auf dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Fluss Saleph (heute türk. Göksu) ertrank. Jerusalem konnte jedoch nicht zurückerobert werden. Kaiser Friedrich II. gelang es, Jerusalem auf friedliche Weise als christliches Königreich überlassen zu bekommen, jedoch hatte dies wenige praktische Auswirkungen. Das Erstarken der Macht der ägyptischen Mamlūken (ägyptische Dynastie, 1250–1517) bedeutete das unvermeidliche Ende der Kreuzfahrerstaaten: unter Sultan Baybars und seinen Nachfolgern Berke Ḫān (reg. 1277 – 1279) und Qalawūn (reg. 1279 – 1290) eroberten die Mamlūken bis 1289 sämtliche Kreuzfahrerfestungen; 1315 wurde auch die vor Tortosa (heute arab. Ṭarṭūs) gelegene Insel Arwad erobert, was die Anwesenheit der Kreuzfahrer im Orient beendete.

Von dieser Zeit an stand die L. unter fester muslimischer Kontrolle. Zunächst wurde diese durch die Mamlūken ausgeübt; später setzen sich lokale muslimische Machthaber in Syrien durch. Eine Ausnahme stellten lediglich die Bergregionen des Libanon dar, die von christlichen sowie drusischen Stämmen bewohnt waren und von ihren eigenen Emiren beherrscht wurden. Diese De-facto Autonomie blieb auch unter der Herrschaft der Osmanen, die 1516 die L. eroberten, erhalten. Zwei drusische Dynastien, die der Maʿān im 17. Jh. und der Šihāb im 19. Jh. erlangten praktisch Unabhängigkeit. 1860 wurde nach Unruhen, die zu Massakern an Christen in Damaskus und Beirut führten, unter europäischem Druck das ›Règlement Organique‹ verabschiedet: der Libanon wurde zum autonomen Gebiet unter einem christlichen Gouverneur.

Seit dem späten 19. Jh. kam es zur Ansiedelung von jüdischen Einwanderern in Palästina. Diese Einwanderung, deren schlussendliches Ziel die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina sein sollte, wurde zur Keimzelle des noch heute bestehenden arabisch-israelischen Konfliktes. Im Ersten Weltkrieg wurde die L. zum Spielball wie Zankapfel mehrerer interessierter Parteien. In den Verhandlungen zwischen Sir Henry McMahon, dem britischen Hochkommissar in Ägypten, und Šarif Ḥusayn ibn ῾Alī von Mekka wurde die L. 1915 mit Ausnahme der syrischen Küste dem Šarifen als unabhängiges arabisches Reich versprochen. 1916 beschlossen Großbritannien und Frankreich im Sykes-Picot-Abkommen, die L. und den Nahen Osten nach siegreichem Abschluss des Krieges unter sich aufzuteilen. 1917 schließlich verkündete der britische Außenminister Balfour die britische Unterstützung für ein „jüdisches Nationalheim“ in Palästina, was von zionistischer Seite als Garantie eines jüdischen Nationalstaates interpretiert wurde und wird.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die L. in Mandatsgebiete, die von Frankreich (Syrien und Libanon) sowie Großbritannien (Palästina) verwaltet wurden, aufgeteilt. Die Mandatszeit war von häufigen Aufständen charakterisiert, besonders in Palästina, in dem sich die indigenen Palästinenser gegen die von den Briten tolerierte starke jüdische Einwanderung und den damit verbundenen Landverlust zur Wehr setzten. Im Zweiten Weltkrieg erlangten Syrien und der Libanon nach dem Sieg britischer Truppen über die in der L. verbliebenen Vichy-treuen Franzosen ihre Unabhängigkeit; Palästina sollte auf UN-Beschluss 1947 zwischen Juden und Arabern aufgeteilt werden, doch ein 1948 ausbrechender Krieg führte zur Etablierung des Staates Israel, der ganz Palästina außer dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland umfasste. Im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzte Israel auch diese Gebiete. In jüngster Zeit (seit dem Oslo-Abkommen 1993) soll im Gaza-Streifen und im Westjordanland ein unabhängiger palästinensischer Staat entstehen, was jedoch durch die fortgesetzte Anwesenheit israelischer Siedler und Israels Sicherheitsinteressen bis heute nicht verwirklicht wurde.

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2 Kulturgeschichte

Die intensive Handelstätigkeit der Phönizier machte ein effizientes Schrifttum und Buchhaltung zur absoluten Notwendigkeit. Eine der wichtigsten kulturellen Hinterlassenschaften der phönizischen Kultur ist denn auch das Buchstabenalphabet. Im Unterschied zur Keilschrift oder der ägyptischen Schrift werden hier Wörter in kleinstmögliche Bestandteile zerlegt, was die Anzahl der notwendigen Zeichen auf ein Minimum (hier 26 Zeichen) reduziert. Ebenfalls neu ist dabei, dass auch Vokale ausgeschrieben werden. Der älteste Alphabetfund dieser Art stammt aus der phönizischen Stadt Ugarit (heute Raʾs Šamrā/Syrien). Für die europäische Geschichte besonders wichtig ist die Rolle, die die L. bei der Ausbreitung des Christentums gespielt hat. Die frühesten Christengemeinden entstanden in den Küstenstädten der L. und an der Südküste Kleinasiens (wie durch die Briefe des Paulus bezeugt).

Die L. war stets heiß umkämpftes Gebiet und demzufolge auch einer Vielzahl von kulturellen Einflüssen unterworfen. Sie war Schnittstelle zwischen dem europäischen und nahöstlichen Kulturraum; Luxusgüter sowie kulturelle Errungenschaften fanden von der L. vermittels venezianischer und genuesischer Kaufleute Verbreitung in ganz Europa.

Das Aufkommen mächtiger europäischer Handelsstaaten im 16. Jt. drehte diese Richtung um. Die L. wurde zum Einfallstor europäischer Neuerungen in den Nahen Osten. Es bildete sich eine lokale Kultur einer semi-westlichen Bourgeoisie aus, die kulturell weder im Nahen Osten noch im Westen ganz zu Hause war und den westlichen Kaufleuten als Kompradoren, also Mittelsmänner zu den Warenlieferanten im Hinterland, diente. „Levantiner“ ist noch heute ein abschätziger Begriff, der einen nur an materiellen Gewinnen interessierten Charakter ohne kulturelle Verwurzelung und Wertbegriffe bezeichnet; diese Konnotation kam im 19. Jh. auf. Die indigene Bourgeoisie der L. übernahm dabei sowohl Sprache (noch heute ist im Libanon das Französische sehr verbreitet) wie auch Gebräuche der Europäer, bis hin zum häuslichen Bereich (westliche Kleidung, westliche Möbel, etc.).

Die religiöse Landschaft der L. ist bis zum heutigen Tag äußerst vielfältig. So sind in der Bevölkerung der L. Anhänger fast aller Weltreligionen zu finden. Die größte religiöse Diversifizierung findet sich dabei im Libanon: maronitische Christen (die mit Rom „uniert“ und daher im weiteren Sinne zu den Katholiken zu rechnen sind), schiitische und sunnitische Muslime, Drusen (eine auf das Libanongebirge beschränkte Religionsgemeinschaft, die einen Synkretismus zwischen Christentum und Islam darstellt und den Fatimiden-Kalifen Abū ʿAlī al-Mansūr, der 1021 verschwand, verehrt) sowie Juden zu finden. Die größte jüdische Bevölkerung findet sich in Israel.

(Tilman Lüdke)

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