Kovelʹ
Kovelʹ (russ./ukrain., poln. hist. Kowel)
Stadt in der historischen Landschaft Wolhynien am Fluss Turija, seit 1991 im Gebiet Volynʹ in der Republik Ukraine, 66.849 Einwohner (2006). 95,4 % der Bevölkerung sind Ukrainer, 3,7 % Russen, 0,5 % Weißrussen, 0,2 % Polen und 0,2 % andere Minderheiten. Das Stadtgebiet umfasst 47,3 km² und liegt ca. 170 m ü. d. M. Die mittlere Temperatur beträgt im Januar –4,5 °C, im Juli 18,0 °C, die jährliche Niederschlagsmenge ca. 550 mm.
K. wurde erstmalig 1310 als Kovle erwähnt. Der litauische Großfürst Gediminas (1315–40/41) verlieh Wolynien samt K. seinem Enkel Fiodor. Nach dem Aufkauf zahlreicher Landgüter im Umland durch die Königin von Polen und Großfürstin von Litauen Bona Sforza erhielt K. 1518 das Magdeburger Stadtrecht (1536 modifiziert) und wurde Sitz einer untergeordneten Starostei (poln. starostwo niegrodowe), die dem Starosten von Włodzimierz Wołyński (poln. heute ukrain. Volodymyr-Volynsʹkyj) unterstand (das Fürstenhaus Sanguszko blieb weiterhin in K. ansässig). Der Starost von K. verwaltete königliche Domänen (drei Städte, 23 Dörfer und die Burg). Seit 1518 fanden in K. Märkte und Jahrmärkte statt. Das Stadtrecht verpflichtete das Bürgertum und die Juden zum Scharwerk (Bau der Wehrmauer und Brücken). 1547 ersetzte die jüdische Kopfpauschale das Scharwerk. 1556 entstand die Judengasse.
1564 wurde die Starostei K. dem aus Russland geflüchteten Cousin Ivans IV. Groznyj, Fürsten Andrej M. Kurbskij (1528–83) auf Lebenszeit verliehen. Kurbskij zerstritt sich mit dem Stadtbürgertum und belegte es mit zusätzlichen Steuern, wovon Gerichtsakten zeugen. Er titulierte sich sogar als Fürst von K. Gerichtsakten von 1565–66 indizieren eine kleine, wohlhabende jüdische Gemeinde. 1569 ließ Großfürst Sigismund II. August gefangene Gegner von Kurbskij freilassen. Seit 1569 gehörte Wolhynien (mitsamt K.) zum Königreich Polen. 1616 beklagten sich die Bürger von K. über die Dominanz der Juden in Handel und Ausschank. 1629 zählte K. 416 Häuser, davon 80 im jüdischen Besitz. Nach der Eroberung K.s 1648 während des Kosakenaufstands schlossen sich arme Bewohner den Kosaken an und ertränkten Katholiken sowie Juden im Fluss. 1651 befanden sich in K. 20 jüdische Häuser. 1774 erhielt der polnische König K. als einen erblichen Besitz, der seine Rechte auf die Familie Rzewuski übertrug (1831 von der russischen Regierung konfisziert). Nach der dritten Teilung Polens 1795 fiel K. Russland zu und wurde 1797 Kreisstadt. 1799 zählte K. 1308 Christen und 811 Juden.
Die Industrialisierung ließ K. wachsen: von 3.636 Einwohnern (1863) auf 15.116 (1893), davon 5.498 Orthodoxe, 3.088 Katholiken, 5.819 Juden, 612 Protestanten, 108 andere; vier orthodoxe, eine katholische Kirche, eine Synagoge (erbaut 1886–1907) und sieben jüdische Gebetshäuser; ein christliches, ein jüdisches Krankenhaus. Bis 1897 wuchs K. auf 17.697 Einwohner, davon 8521 Juden, an. Nach Kämpfen 1918–20 gehörte K. zu Polen. K. war Oberzentrum einer agrarisch geprägten Region (Lebensmittelfabriken, Verarbeitung von Agrar- und Walderzeugnissen). 1931 zählte K. 27.600 Einwohner (1939 12.758 Juden). Vor dem Gericht in K. fanden 1926 und 1934 Prozesse der gegen ukrainischen Kommunisten statt. 1939–41 war K. unter sowjetischer und von Juni 1941 bis Juli 1944 unter deutscher Besatzung (Holocaust an Polen und Juden). In der Gegend von K. entwickelte sich ein erbitterter Partisanenwiderstand mit vielen Sabotageaktionen (Eisenbahnknoten K.). K. bleibt ein regionales Zentrum (1958: 24.700; 1969: 32.700; 1989: 67.005 Einwohner), und verzeichnete zuletzt aber einen Bevölkerungsrückgang.
Auerbach I. 1985: Andrej Michajlovič Kurbskij. Leben in osteuropäischen Adelsgesellschaften des 16. Jahrhunderts. München. Chebowski B., Sulimierski F., Walewski W. (Hg.) 1986: Kowel. Słownik geograficzny Królestwa Polskiego i innych krajów słowiańskich 1880–1902 4. Warszawa, 516–518.