Kamʹʹjanecʹ-Podilʹsʹkyj

Kamʹʹjanecʹ-Podilʹsʹkyj (ukrain.; jidd. Kumenetz-Podolsk, lat. Camenecium, poln. hist. Kamieniec-Podolski, rumän. Cameniţa, russ. Kamenec-Podolʹskij).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Stadt K.-P., Hauptstadt der gleichnamigen Region im westukrainischen „Gebiet Chmeljnyzkyj“, liegt 360 m ü. d. M. nahe der Mündung des Flusses Smotryč in den Dnjestr und zählt 99.610 Einwohner (2001).

Textil-, Maschinenbau- und Lebensmittelindustrie, Holzverarbeitung machen K.-P. heute zu einem regionalen Wirtschaftszentrum. Die kulturellen und Bildungseinrichtungen der Stadt umfassen u. a. eine landwirtschaftliche u. eine pädagogische Hochschule, eine Reihe anderer Fachschulen, das Historische Museum und einen Botanischen Garten.

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2 Kulturgeschichte

Die erste Nachricht über K.-P., eine der ältesten Städte Podoliens, stammt aus dem Jahr 1062. 1196 fand in der Nähe von K.-P. eine Schlacht zwischen rivalisierenden Teilfürsten statt. Um 1220 gehörte die Stadt zum Herrschaftsgebiet des Fürsten Daniil Romanovič. 1229 wurde K.-P. von der Koalition der russischen Fürsten und des Chans der Kumanen belagert, 1240 besetzten es die Mongolen unter Batu Khan. Nach der Vertreibung der Mongolen wurde 1362 von Litauen besetzt. K.-P. lag im Herrschaftsbereich der Familie Koriatovič, einer Nebenlinie der litauischen Dynastie, die seit 1366 im Lehnverhältnis zu Polen (zeitweise zu Ungarn) stand. 1370 wurde in K.-P. eine Niederlassung der Dominikaner und um die Jahrhundertwende das katholische Bistum (bis 1866) gegründet, 1374 erhielt K.-P. das Stadtrecht. Nach der Unterwerfung der Nebenlinie 1394 und der Aufteilung von Podolien zwischen Polen und Litauen 1395 wurde K.-P. Hauptstadt des polnischen Teils, dort residierte 1402–11 der Starost von Podolien, 1430 erhielt K.-P. das Magdeburger Stadtrecht. Nach der Inkorporation durch Polen wurde K.-P. 1434 Hauptstadt der Woiwodschaft Podolien mit Landgericht (1437) und 1463 eine königliche Stadt.

Katholischer Bischof, Woiwode und Kastellan repräsentierten die Woiwodschaft und die Stadt K.-P. im Senat. In dieser Zeit begann der Ausbau der auf mehreren Felsen in einem Bogen des Flusses Smotryč gelegenen Festung. Diese bestand aus mehreren abgeschlossenen Bereichen, die einzeln erobert werden mussten. Die Belagerungen durch Tataren 1474, Türken 1476 und Moldauer 1505 blieben erfolglos. Seitdem galt K.-P., das Tor zu Polen, als ›antemurale christianitatis‹. Mehrmals bestimmte die Kirche den Zehnten (bzw. der Papst den Peterspfennig) für den weiteren Festungsausbau. Die Stadt bestand aus drei Stadtteilen (polnisch, ruthenisch und armenisch) mit autonomen Verwaltungen. Der Zusammenführung der polnischen und ruthenischen Verwaltung erfolgte 1670, der armenische Teil folgte erst 1790. 1570 zählte der polnische Stadtteil 645 Häuser. 1543 erhielt K.-P. das Stapelrecht für die aus der Walachei und dem Osmanenreich kommenden Kaufleute. Der polnische Orienthandel wurde vorwiegend über K.-P. abgewickelt die Stadt war auch Ausgangspunkt der Karawanen der poln., lit. und russ. Händler nach Iaşi, Bukarest und Konstantinopel. Den lukrativen Pferdehandel dominierten die seit dem 14. Jh. in K.-P. ansässige Armenier. Die armenische Gemeinde erhielt königliche Privilegien: Aufenthaltsrecht, Glaubensfreiheit und administrative Autonomie (1443, 1496, 1502, 1507, 1574). Am Orienthandel beteiligten sich kleine griechische Kolonie und Juden, die 1547 ausgewiesen wurden (zugleich erster Quellenbeleg), danach aber mehrmals versuchten, sich in K.-P. niederzulassen. Vom König erhielt K.-P. 1598 das ›Privilegium de non tolerandis Iudaeis‹ (bestätigt 1620, 1659, 1699). Das Privileg gestattete den Juden einen dreitägigen Aufenthalt in K.-P. nur während der Jahrmärkte. 1664 und 1665 wurden abermals Juden ausgewiesen, 1750 wurde die Synagoge abgebrannt. Das orth. Bürgertum gründete 1589 in K.P. eine der ersten orth. Bruderschaften.

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K.-P. zählte zu den acht polnischen Arsenalen, 1620 erhielt die Burg eine feste Mannschaft. Mehrmals forderten die osmanischen Herrscher die Schleifung der Anlage. Den Belagerungen durch die Türken 1621 und 1633 und während des Kosakenaufstandes (1648, 1652, 1655) hielt die Festung stand. Die Osmanen eroberten K.-P. 1672, drei Jahre nach einem Brand in der Festung. Die Kathedrale wurde in eine Moschee umgewandelt. K.-P. war in der Folge die Hauptstadt eines Verwaltungsbezirkes (Wilajet). Die versuchten Wiedereroberungen (1673, 1687/88/89; Kosakenansturm 1687) scheiterten am Widerstand der in K-P. stationierten Janitscharen. 1662 wurden in K.-P. 1072 Polen, 696 Armenier, 409 Ruthenen und 261 Juden (nur Männer älter als 14 J.) registriert, in Folge von Fluchtbewegungen betrug die Einwohnerzahl 1681 nur noch geschätzte 3414 Personen. Nach dem Vertrag von Karlowitz verließen die Osmanen K.-P. am 22.09.1699. Nach der zweiten Teilung Polens fiel K.-P. 1793 Russland zu. 1811–19 residierte in K.-P. der russische Gouverneur von Podolien und Bessarabien. Die als Symbol bedeutende Zitadelle auf dem Berggipfel wurde 1812 abgetragen. 1819–31 gehörte K.-P. zum Königreich Polen und danach zum Gouvernement Kiew. Mangel an Infrastruktur (keine Verwaltung, keine feste Straße nach K.-P. noch ausgangs des 19. Jh., Eisenbahnlinie ab 1914) degradierte K.-P. zum Zentrum eines agrarisch geprägten Grenzrandgebietes. Das Wohnverbot für Juden von 1833 wurde 1848 aufgehoben. 1869 zählte K.-P. 19.157 Einwohner, davon 7340 Juden und 3258 Polen. 1881 machten die Juden etwa 50 % der ungefähr 30.000 Einwohner aus (1897: 34.483 Einwohner). In der Stadt befanden sich eine Kerzenfabrik, Tabakfabrik, Ziegeleien, Brauereien und ein Gymnasium anstelle der 1610 gegründeten Jesuitenschule. 1917–20 lag K.-P. in der Republik Westukraine, 1920 wurde die Stadt sowjetisch, seit 1923 war sie Verwaltungssitz (abwechselnd Kreis, Region, Bezirk). 1926 zählte K.-P. 32.100 Einwohner, davon 45 % Ukrainer, 40 % Juden (1939: 12.774 Juden), 7 % Russen und 6 % Polen. Die Einkesselung von 20 deutschen Divisionen im März 1944 in Podolien beendete die seit 10.07.1941 bestehende Besatzung.

1959 zählte K.-P. etwa 40.000 Einwohner, davon 71 % Ukrainer, 21 % Russen, 5 % Polen und 3 % Juden Durch Industrialisierung und Stadtausbau verdoppelte sich Einwohnerzahl ) bis 1979 auf 84.000 und stieg bis 1990 auf 103.300 an. K.-P. zählt mit seiner pittoresken, 152 Baudenkmäler zählenden Altstadt (Festung mit Basteien, Stadttore, Rathaus, Kirchen mit Glockentürmen, einzige katholische Kathedrale mit Minarett aus osmanischer Zeit, Klöster, Bürgerhäuser), die 1977 unter Denkmalschutz gestellt wurde, zu den schönsten Städten Podoliens und ist eine beliebte Touristenattraktion.

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(Robert Friedl)

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