Bukarest (Stadt)

Bukarest (rumän. Bucureşti)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Lage und Administration

Die rumänische Hauptstadt B. ist die bevölkerungsreichste und bedeutendste Stadt des Landes. Ihre Einwohnerzahl betrug Mitte 2004 1.927.559. Die Stadt ist administrativ in sechs Verwaltungseinheiten, sog. Sektoren gegliedert, die insgesamt über eine Fläche von 228 km² verfügen.

B. liegt in der landschaftlich wenig abwechslungsreichen „Walachischen Tiefebene“ (Câmpia Vlăsiei), die Teil des Walachischen Tieflandes (Câmpia Română) ist, ca. 60–65 km nördlich der Donau, etwa 100 km südlich der sich im Norden anschließenden Karpaten und 250 km westlich des Schwarzen Meeres auf einer Höhe von 77–105 m. Mit ihrer Lage von 44 ° 26 ' nördlicher Breite und 26 ° 06 ' östlicher Länge befindet sich B. damit etwa auf einem vergleichbaren Breitenkreis wie Genua oder Bordeaux.

Das Klima ist ausgeprägt kontinental, mit Jahresmitteltemperaturen, abhängig vom städtischen Standort, von 10–11 °C und einer jährlichen Niederschlagsmenge von 589 mm. Dabei können im Sommer Temperaturen bis zu 40 °C erreicht werden. In der Kombination mit vom Schwarzen Meer einfließender hoher Luftfeuchtigkeit kann es in den Monaten Juni bis August zu lähmender Schwüle innerhalb der Stadt kommen. Traditionell verlassen die B.er soweit möglich die Stadt, um diese Zeit in ländlichen Regionen oder am Schwarzen Meer zu verbringen. Dem schwülen und heißen Klima im Sommer stehen die für kontinentale Klimate typischen kalten Winter gegenüber. In den Wintermonaten können Temperaturen bis zu –30 °C erreicht werden, die im Zusammenspiel mit schneidenden Ostwinden zu unerträglichen Verhältnissen führen.

B. wird von den Flüssen Dâmboviţa im Süden und Colentina im Norden durchquert. Während letzterer eine Reihe malerischer Seen bildete, schuf die ursprünglich stark mäandrierende Dâmboviţa eine breite Flussaue, die Bestandteil der Innenstadt wurde, B. lange Zeit mit Trinkwasser versorgte und auch für verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten wie z. B. das Gerben von grundlegender Bedeutung war.

Häufige seismische Aktivitäten, mit ihrem Epizentrum 150–200 km nordöstlich von B., beeinträchtigten immer wieder den städtischen Standort. Zwei bis drei Erdbeben während eines Jahrhunderts mit Stärken oberhalb 7 auf der Richterskala sind die Regel und führten 1738, 1802, 1838, 1940 und zuletzt 1977 zu verheerenden Katastrophen.

Bevölkerung

Die ethnische Bevölkerungsstruktur B.s ist ausgesprochen homogen. Nach offiziellen Statistiken (2002) sind 97 % ethnische Rumänen. Die zweitgrößte Gruppe sind die Roma mit 1,4 % (=27.322 Personen). Die Bevölkerungsanteile der nächstfolgenden größeren Gruppen, wie z. B. die der Ungarn (5834), der Türken (2473) oder der Deutschen (2358) sind nur gering. Ein ähnlich homogenes Bild ergibt sich bei der Religionszugehörigkeit. Allein 96 % der Bevölkerung bekennt sich zum orthodoxen Glauben. Die nächsten größeren religiösen Bekenntnisse sind römisch-katholisch mit 23.450 und muslimisch mit 9488 Angehörigen.

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Wirtschaft und Verkehr

Die Bedeutung der Metropole ist gekennzeichnet durch eine hohe Konzentration politischer, kultureller sowie wirtschaftlicher Einrichtungen und Institutionen. Sie ist Regierungs- und Parlamentssitz, Sitz des Patriarchen und Metropoliten, ist Standort der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, der Universität und 21 weiterer höherer Ausbildungsinstitutionen mit nahezu 100.000 Studierenden. Die Stadt besitzt zwei nationale Bibliotheken, 40 Museen, 230 Kirchen, eine Oper sowie eine Operette, ein Nationaltheater, zwei bekannte Symphonieorchester und daneben 20 kleinere Theatereinrichtungen.

Nach wie vor ist B. das bedeutendste Wirtschaftszentrum seines Landes. Die dominante ökonomische Stellung der Stadt lässt sich überzeugend an den ausländischen Direktinvestitionen ablesen. Von 10.159,6 Mio. Euro im Jahr 2003 flossen allein 5471,1 Mio. Euro oder 53,9 % der Investitionen in die Hauptstadt. Wichtige wirtschaftliche Bereiche sind v. a. der Maschinenbau und die elektrotechnische Industrie. Innerhalb der Industrie sind in B. insgesamt 248.000 Personen von 909.000 Beschäftigen tätig. Der Dienstleistungsbereich beschäftigte im Jahr 2002 527.000 Personen.

B. verfügt mit ›Henri Coandă International‹ in Otopeni und ›B. Baneasa‹ über zwei zivile Flughäfen sowie über einen internationalen Bahnhof (Gara de Nord), mehrere regionale Bahnhöfe (Progresul, Obor) und eine U-Bahn.

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2 Kulturgeschichte

Die Entwicklung der Stadt B. lässt sich nach signifikanten Abschnitten in der Genese der Stadtstruktur nachvollziehen.

Die vorstädtische Periode bis zum 15. Jh.

B. entwickelte sich nicht wie viele andere europäische Städte auf der Grundlage von frühen römischen Stadtgründungen, sondern erlangte erst spät seine städtische Bedeutung über die Funktion als fürstliches Macht- und Handelszentrum. Als Erklärung für diese späte Entwicklung muss v. a. die unsichere geopolitische Lage herangezogen werden. Das Walachische Tiefland war seit jeher Durchgangsraum unterschiedlicher Wandervölker, die nur wenig Interesse an einer Entwicklung der eroberten Region zeigten. Eine ausgedehnte Periode politischer Stabilität, die für die Entstehung urbaner Strukturen notwendig ist, war lange Zeit überhaupt nicht oder nur sehr kurz gegeben. Unter römischem Einfluss entwickelten sich Städte v. a. in der westlichen Tiefebene und in Siebenbürgen. Römische Siedlungsspuren in Form einer Festung (castrum) wurden zwar für B. immer vermutet, konnten jedoch nicht überzeugend nachgewiesen werden.

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Das postbyzantinische Bukarest unter osmanischer Herrschaft (1459–1822)

Die politische Einigung der Walachei (Ţara Românească) unter Fürst Basarab I. (ca. 1310–52) und die damit verbundene Gründung des gleichnamigen Fürstentums schufen die Voraussetzungen für eine zentrale Entwicklung des Landes und damit auch für die spätere Hauptstadt B.

Im Spätmittelalter (1459) fand die Stadt erstmalig explizit in offiziellen Dokumenten als Festung (›Cetatea Bucureşti‹) Erwähnung. Der Woiwode Vlad III. Ţepeş („der Pfähler“) verlegte seine Residenz, die in diesem Zeitraum aus machtpolitischen Erwägungen häufig wechselte, u. a. nach B. Bis zur Mitte des 17. Jh. blieb B. neben Târgovişte die zweite Residenz der walachischen Fürsten.

Unter osmanischer Suzeränität setzte eine verstärkte Entwicklung des vorerst noch eher dörflich geprägten B. ein. Durch die Anwesenheit des Hofes und der damit verbundenen Dienste nahm die Siedlung trotz Tributlasten allmählich einen Aufschwung.

Um den Fürstenhof (Curtea Domnească), später auch als „Alter Hof“ (Curtea Veche) bezeichnet, entstand der „Innere Markt“ (Târgul din Lăuntru), der jedoch in seiner Anfangszeit noch deutlich auf die Bedürfnisse des Hofes ausgerichtet war. Die fürstliche Familie, die Höflinge, der Verwaltungsapparat sowie die Armee, kurz, der gesamte Hofstaat, sorgte jedoch für steigende Arbeitsaufträge für die örtlichen Handwerker, Händler sowie für die Bauern aus der Umgebung. Die Bevölkerungszahl B.s nahm vor diesem Hintergrund deutlich zu, und es entwickelte sich allmählich eine städtische Struktur, die sich durch eine Vielzahl neuer Gebäude andeutete.

Mit der Stadtmauer in Form eines Holzwalls, die B. 1545 durch den Fürsten Mircea Ciobanul (1545–54 und 1557–59) erhielt, etablierte sich in der weiteren Entwicklung der Stadt neben dem Fürstenhof und dem Markt ein zusätzliches wichtiges Symbol urbanen Raumes. Auch ein großer Teil des die Stadt umgebenden landwirtschaftlich genutzten Landes wurde nun als „das Land der Stadtbürger“ (moşia orăşenilor) mit Grenzsteinen markiert. Schrittweise verstärkten sich so immer deutlicher die Unterschiede zwischen dörflichem und städtischem Raum. B. entwickelte sich zu einem aufgelockerten, jedoch sichtbar abgegrenzten Stadtgebilde mit unregelmäßigem, amorph gewachsenem Grundriss. Es verfügte zunehmend über eine selbsttragende Wirtschaft, übernahm Versorgungsfunktionen für das Umland und wurde zu einem wichtigen v. a. Getreide-Umschlagsplatz für den Fernhandel insbesondere mit dem Osmanischen Reich. 1595 wurde B. infolge eines osmanischen Überfalls auf die Stadt stark zerstört.

Mit dem Ziel, seinen Einfluss auf die Walachei zu verstärken, wurde B. anschließend auf Druck des Osmanischen Reiches ab 1659 zur alleinigen Residenzstadt der Woiwoden. 1668 folgte dem Fürstensitz auch die religiöse Führung der Orthodoxie nach B. Durch den endgültigen Umzug des Hofes von Târgovişte nach B. sowie dem damit verbundenen Gewinn von sozial höhergestellten Bevölkerungsschichten des Adels (der Bojaren), von Militärpersonal, Handwerkern und Händlern, kam es zu einer weiteren Aufwertung der Stadt.

Die Kontakte und Verbindungen nach Istanbul waren in dieser Zeit sehr intensiv. Die Kinder des Adels fanden dort eine erstklassige Erziehung und wurden teilweise hochrangige osmanische Würdenträger. Gebäude, Kleidungsstil und Sitten der oberen Bevölkerungsschicht in B. wurden deutlich vom Orient geprägt. Aber auch der Einfluss griechischer Kultur und Wissenschaft fand über das Osmanische Reich seinen Eingang in die Stadt.

Die Bevölkerung wuchs in diesem Zeitraum bis auf ca. 60.000 Einwohner an. Es existierten 21 Stadtviertel, sog. ›mahalale‹, und ca. 100 Kirchen, so entstanden damals z. B. die „Hofkirche“ (Curtea Veche, 1545–54), die Kathedrale des Patriarchats (Catedrala Patriarhală, 1654–58), die Creţulescu- (1712) und die Stavropoleos-Kirche (1724) sowie die Klöster: Colţea, Mărcuta, Snagov, Radu Vodă und der Palast ›Brancovenesc Mogosoaia‹. Zu dem bisher „Inneren Markt“ kamen noch der „Obere Markt (Târgul des Jos) und der „Äußere Markt“ (Târgul de Afară) hinzu.

Mit der Entmachtung der letzten einheimischen Fürsten – 1711 Dimitrie Cantemir im Fürstentum Moldau und 1714 Constantin Brâncoveanu in der Walachei –, die sich aus osmanischer Sicht zu stark den christlichen Mächten genähert hatten, geriet B. unter den unmittelbaren Einflussbereich des Osmanischen Reiches.

Die politische Führung, d. h. die Fürsten wurden nun nicht mehr in B. gewählt und von Istanbul bestätigt, sondern direkt von den osmanischen Herrschern ernannt. Die Phanarioten avancierten zu den neuen Herren in B. Unter ihrer Herrschaft intensivierte sich v. a. der Einfluss byzantinischer Traditionen.

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Gleichzeitig nahmen die Belastungen für die Bevölkerung durch höhere Abgaben und Tribute so sehr zu, dass die Phanariotenzeit (1769–1821) bis heute in Rumänien als Synonym für Ausbeutung, Korruption und Misswirtschaft steht. Trotz der starken Unterdrückung und hohen steuerlichen Belastung konnte die kulturelle, politische, wirtschaftliche und administrative Bedeutung B.s jedoch weiter wachsen. Die Stadt entwickelte sich zu einem wirtschaftlichen Zentrum mit einer Vielzahl von Händlern und Produkten aus dem Orient, Russland, Polen-Litauen, Deutschland und anderen Ländern. Im damaligen Stadtbild lassen sich zwei deutlich voneinander unterscheidbare städtische Regionen erkennen. Das ist zum einen die kompakte Innen- oder Kernstadt und zum anderen eine sie umgebende dörflich geprägte Stadtregion, die als Stadtdorf-Region bezeichnet werden kann. Die von Adel und dem Fürstentum geprägte Kernstadt wurde bestimmt durch eine ungeplante Ansammlung repräsentativer Pracht- und Sakralbauten. Sie sollten einerseits Macht und Bedeutung ihrer Besitzer demonstrieren, hatten aber andererseits auch eine Schutzfunktion in den häufig stattfindenden innerstädtischen Auseinandersetzungen. Der Baustil griff dabei sowohl orientalische als auch traditionelle lokale Bauweisen auf. Osmanisch geprägte Wohnhäuser, und Karawansereien fanden sich neben den wuchtigen traditionellen walachischen Bojarenhäusern.

Neben den deutlichen osmanischen Einflüssen in Mode, Lebenswandel und Hausbau wurden innerhalb der Stadt zudem auch die imperialen byzantinischen Visionen des walachischen Fürstentums deutlich. Dieses sah sich nach dem Fall Konstantinopels (1453) als Repräsentant und letztes Bollwerk der abendländischen gegen die islamische Kultur und „vordersten christlichen Frontstaat“. Der Kern dieser Ideologie war, das christliche Byzanz am Ufer der Donau wieder auferstehen zu. In der Stadtstruktur äußerte sich das deutlich durch unzählige Kirchen- und Klostergründungen. Für diese Stadtphase ist denn auch der Begriff der postbyzantinischen Stadt üblich geworden.

Ganz anders gestaltete sich die anschließende Stadtdorf-Region. Hier dominierten versteckte, unauffällige Haus- und Wohnformen in einfacher Holz-Lehmbauweise, die von üppigem Grün überwuchert, kaum wahrnehmbar waren. Ein Wirrwarr von unbedeutenden Gassen und Trampelpfaden bildete das Wegenetz. Auf den ortsunkundigen, außenstehenden Besucher, machte die gesamte Region einen eher chaotischen und bedrohlichen Eindruck, in der eine Orientierung unmöglich war. Die spezielle Struktur dieser Kleinheit, Verstecktheit, Unzugänglichkeit und Abgeschlossenheit hat ihre Ursache in der mit wachsender Entfernung vom Stadtzentrum schwindenden politischen Sicherheit.

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Die voreuropäische Stadt (1821/22–66)

Mit dem wachsenden Interesse der mittel- und osteuropäischen Großmächte an den Ländern des späteren Rumäniens, insbesondere an B. änderte sich allmählich der Charakter der städtischen Struktur. Es entstanden im Zusammenhang mit den österreichisch-türkischen bzw. russisch-türkischen Kriegen (1768–74 und 1787–92) die ersten Konsulate. Die politische Bedeutung des Osmanischen Reiches wurde zunehmend zurückgedrängt und die Stellung Russlands immer wichtiger. 1826 fiel diesem bereits das Recht zu, die Fürsten der Moldau und Walachei zu genehmigen. Nach dem Frieden von Adrianopel (1829) wurde Russland endgültig zur entscheidenden Protektoratsmacht der Fürstentümer und sicherte seinen Einfluss durch einen neuen Regierungsstatus. Durch die administrativen Maßnahmen des „Organischen Reglements“ (franz. Réglements organiques, rumän. „Regulamentul Organic“) und die zunehmende Liberalisierung wurde das Wachstum der B.er Wirtschaft stark gefördert. Eine ganze trug die Bezeichnung „zur Befreiung des Handels“. Gegen Mitte des 19. Jh. entwickelte sich daher die bürgerliche Mittelklasse zur treibenden Kraft der Wirtschaft. 1832 wurden schon 3269 Handwerker und Händler aufgeführt. Es entstanden die ersten Manufakturen und Fabriken, in denen v. a. Nahrungsmittel hergestellt wurden. Ein Trinkwasser- und Abwassersystem u. v. m. verbesserten die städtische Infrastruktur.

Der wachsende Einfluss auf die B.er Gesellschaft veränderte sprunghaft Sitten, Kleidungsstil und Architektur. B. wurde Zentrum des rumänischen Pressewesens und Sitz zahlreicher literarischer Gesellschaften. Innerhalb des städtischen Raums entstanden Parkanlagen und Alleen. Die städtische Struktur mit ihren alten, von Kirchen geprägten Stadtvierteln blieb jedoch unverändert und verstärkte sich sogar. Sie gaben B. den Charakter einer zugleich okzidentalisch-orientalischen Stadt.

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Die europäische Stadt (1866–1947)

Im 19. Jh. begann dann die zunehmende „Europäisierung“, die Stadtstruktur B.s v. a. deutlich umzuwandeln. Revolution, Besatzungszeiten durch Russland und das Osmanische Reich, die Gründung des Staates Rumänien (1861) sowie die Proklamation Karl I. zum König von Rumänien (1866) sind die herausragenden politischen Ereignisse und führen letztendlich zum Niedergang der osmanischen Vorherrschaft. Städtebaulich ergaben sich in dieser Stadtraumphase umfangreiche Einschnitte. Nach einem verheerenden Feuer, das 1847 große Teile der Innenstadt vernichtete, wurde diese teilweise modernisiert. Es entstand eine Vielzahl monumentaler Repräsentationsbauten im westeuropäischen Stil, die heute noch das Stadtbild prägen, wie z. B. die Universität (1864), das Atheneum, die Nationalbank, der Justizpalast, das Landwirtschaftsministerium oder auch das „Haus der Armee“ (Cercul Militar).

Die vertikale Ausdehnung der Innenstadt nahm sprunghaft zu. An der Peripherie entstanden Arbeitersiedlungen, und die traditionellen Stadtviertel wandelten sich nach französischem Vorbild zum ›Cartier‹. Das Straßennetz folgte dem von Georges-Eugene Haussmann geprägten Pariser Muster. Breite Boulevards und ausladende Verkehrsplätze wurden bestimmend. Die Bevölkerungszahl B.s stieg bis 1860 auf ca. 122.000 Einwohner. Technische Innovationen wie etwa die Dampfmaschine, Eisen- und Pferdebahnen revolutionierten das Verkehrswesen. 1869 entstand als erste Eisenbahnlinie die Verbindung von B. nach Giurgiu. Handel und Industrie nahmen sprunghaft zu.

Nach dem Ersten Weltkrieg – Rumänien hatte durch die Angliederung von Siebenbürgen sowie der Bukowina, Bessarabien und der Süd-Dobrudscha eine sprunghafte territoriale Vergrößerung erfahren – nahm auch die Bedeutung B.s als Hauptstadt „Groß-Rumäniens“ zu. Die „Europäisierung“ erreichte ihren Höhepunkt, und die Stadt erlangte ein so großes Renommee, dass man sie als das „Paris des Ostens“ bezeichnete. Die Achse ›Piaţa Victoriei‹ und ›Piaţa Sf. Gheorghe‹, zwischen 1936 und 1940 nach dem Muster des ›Boulevard Henri Martin‹ in Paris bzw. dem ›Boulevard Louise‹ in Brüssel entworfen, wurde als einer der modernsten Boulevards europäischer Hauptstädte betrachtet.

In der Zwischenkriegszeit sowie in den 40er Jahren setzte sich die rege Bautätigkeit nach westlichem, diesmal jedoch modernem, internationalen Stil – der durch Namen wie Le Corbusier oder Bezeichnungen wie „Form und Funktion“ geprägt war – fort. Bezeichnend hierfür war v. a. der ›Boulevard Magheru-Bălcescu‹, auf dem ein weitreichendes, homogenes urbanes Ensemble nach modernen Gesichtspunkten entstand. 1939 lebten in B. auf einer Fläche von ca. 7800 ha ca. 870.000 Einwohner. Große zerstörerische Eingriffe in die Stadtstruktur bzw. umfangreiche Schäden an der Bausubstanz der Stadt richteten sowohl ein schweres Erdbeben 1940 als auch die Bombardierungen des Zweiten Weltkrieges an. Im Vergleich mit der sich anschließenden Umstrukturierung der Stadt waren diese Ereignisse jedoch eher nur punktuelle Einschnitte.

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Die sozialistische Stadt (1947–77)

Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg begann die „Sowjetisierung“ Rumäniens und damit für B. die Phase der sozialistischen Stadtentwicklung. Das Land versank hinter dem „Eisernen Vorhang“, und im Verlauf der zunehmenden Industrialisierung, die nach dem Vorbild der Sowjetunion zwischen 1949 und 1950 einsetzte, erfolgten große Bevölkerungsverschiebungen vom Land in alle rumänischen Städte. B. wurde v. a. in den peripheren Bereichen zu einer riesigen Baustelle. Die Stadtfläche verdreifachte sich auf 21.700 ha, und die Bevölkerungszahl stieg bis 1948 auf 1,6 Mio. Menschen an.

Um der damit verbundenen bedrückenden Wohnungsnachfrage entsprechen zu können, setzte die kommunistische Staatsführung ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm in Gang. Über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren wurde in hoher Geschwindigkeit Wohnraum entlang großer Ringstraßen, Magistralen sowie in suburbanen Regionen geschaffen. Es entstanden die immensen Satellitenstädte mit ihren aus vorgefertigten Elementen bestehenden Plattenbauten. In dieser ersten intensiven städtischen Ausbauphase, bis etwa zur Mitte der 70iger Jahre, blieb die Bebauung des Innenstadtbereiches und damit des historischen Zentrums noch weitgehend unberührt. Dies änderte sich jedoch mit dem Erdbeben von 1977. Von ihm wurden viele Städte Rumäniens und ganz besonders B. stark in Mitleidenschaft gezogen.

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Der radikale Umbau der Stadt (1977–90)

Mit den anstehenden Aufräumarbeiten begann eine neue Stadtraumphase, die sich durch einen radikalen Umbau der Innenstadt auszeichnete. Denn nach dem Erdbeben sah Nicolae Ceauşescu die Möglichkeit, die traditionelle urbane Architektur und Struktur großer innerstädtischer Bereiche fast vollständig im Stile einer totalitären Stadt mit einem kolossalen politisch-administrativen Zentrum zu ersetzen. Wie es für totalitäre Regime der Vergangenheit bereits üblich war, wurden dabei vorhandene „baupolitische Tatsachen“, Kirchen, Repräsentationsgebäude, sogar Oberflächenformen, durch Gegenbauten neutralisiert, verdeckt oder abgetragen. Betroffen war ein Gebiet im Herzen der Stadt von ca. 4,5 km Länge und 500 bis 2500 m Breite. 1984 begann die radikale Demolierung in den zentralen und traditionellen Wohnregionen B.s, von denen sich die Stadt bis heute nicht erholen konnte. Ohne Rücksicht auf die existierende Bebauung wurde eine zentrale Sichtachse (Boulevard Unirii– „Sieg des Sozialismus“) errichtet, die den Sieg des Sozialismus demonstrieren sollte. Alles, was den neuen Strukturen im Wege stand, wurde dem Erdboden gleichgemacht. 20–25 % der Innenstadt und mit ihnen eine der ältesten Regionen der Stadt mit über 20 Kirchen und Lebensraum von ca. 40.000 Menschen verschwanden innerhalb weniger Jahre spurlos.

An ihre Stelle traten neue Symbole monumentaler Machtdemonstration mit einer deutlichen politischen Ikonographie. Kern und dominierendes Element ist das Haus des Volkes (›Casa Poporului‹), mit dessen Bau ca. 70.000 Arbeiter beschäftigt waren.

Vom „Palast“ ausgehend, erstreckt sich Richtung Osten eine lange Pracht- bzw. Paradestraße, die mit großzügigen Baumreihen, Wasserfontänen und breiten Gehwegen ausgestattet ist. Bei der Neuplanung der Innenstadt B.s als Repräsentationsstätte der Macht hatten Fragen der Stadtplanung wie Verkehrs- oder Versorgungsprobleme, keine Bedeutung. Das neue politisch-administrative Zentrum, welches regelrecht in die bestehenden Viertel und Straßen implantiert ist, hat daher zu einem unfunktionellen Riss zwischen traditionellen Straßen und Boulevards geführt und wirkt wie ein Fremdkörper. Enorme Umwege sind notwendig, um vitale Punkte der Stadt zu erreichen.

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Die internationale Metropole von 1990 bis in die Gegenwart

Nach dem Sturz Ceauşescus orientierte sich B. wieder nach Westen. Durch den hohen Arbeitsaufwand, der für den gigantomanischen Umbau des Stadtzentrums betrieben wurde, waren jahrzehntelang viele dringend notwendige städtebauliche Maßnahmen in B. blockiert worden. In vielen Bereichen stehen längst überfällige Arbeiten an. V. a. die Innenstadt steht im Fokus der Stadtplaner. Erklärtes Ziel ist es – vergleichbar der Situation im 19. Jh. – B. an den Standard westeuropäischer Metropolen heranzuführen.

Für den unangetastet gebliebenen Teil des Innenstadtbereiches stehen Maßnahmen zur repräsentativen Umgestaltung der Stadt durch private wie auch öffentliche Investitionen im Vordergrund. Auf den großen Boulevards und Einkaufsstraßen finden sich zunehmend die Repräsentanten des „modernen“, westlichen Lebensstils wie Fastfood-Restaurants und internationale Ladenketten. Leuchtreklamen und Werbeflächen bestimmen immer mehr den öffentlichen Straßenraum. Der traditionelle, architektonisch attraktive Baubestand wird ansprechend renoviert, und Fußgängerzonen werden nach modernem Muster eingeführt. An den Außensäumen B.s entwickeln sich in Form vereinzelter Kristallisationskerne die Vorläufer zukünftiger Suburbs. Es entstehen Residenzparks, die sich vollkommen am westlichen Muster der Einfamilienhaussiedlungen orientieren. Neue Impulse im Interesse einer Reorganisation des Zentrums wurden Ende der 90er Jahre durch den internationalen städtischen Planungswettbewerb ›Bucureşti 2000‹, geschaffen, der die Grundlage für eine zukünftige Stadtentwicklung bilden sollte. Eine städtebauliche Entscheidung auf der Grundlage des Wettbewerbsergebnisses steht bis heute jedoch noch aus.

Trotz sichtbarer Verbesserungen der Lebenssituation seiner Bevölkerung hat B. in der Gegenwart eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen zu bewältigen. Hierzu gehören v. a. Armut und Obdachlosigkeit. Die Zahl der Straßenkinder in B. wird auf etwa 3000 geschätzt. Zahlreiche internationale Hilfsprogramme kümmern sich in den letzten Jahren um diese Kinder.

Berindei D. 1963: Oraşul Bucureşti, reşedinţă şi capitală a Ţării Româneşti (1459–1862). Bucureşti. Călinescu G. 1998: Die nationale Eigenart. V. Botez, V. F. Mihăescu, N. Şarambei (Hg.): Wer sind die Rumänen? Bukarest, 141–159. Giurescu C. C. 1966: Istoria Bucureştilor din cele mai vechi timpuri pînă în zilele noastre. Bucureşti. Iorga N. 1972: Bizanţ după Bizanţ. Bucureşti. Vossen J. 2004: Bukarest – Die Entwicklung des Stadtraums. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin.

(Joachim Vossen)

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