Ekaterinburg

Ekaterinburg (russ., 1924–91 Sverdlovsk)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

E. ist Hauptstadt des Gebiets Sverdlovsk in der Russischen Föderation und liegt 1667 km östlich von Moskau an den östlichen Ausläufern des mittleren Ural; die Abweichung von der Moskauer Zeit beträgt plus 2 Stunden. Die Stadt hat 1.308.400 Einwohner (2005). Die mittlere Temperatur in E. beträgt im Januar –14,4 °C, im Juli 18,6 °C, die jährliche Niederschlagsmenge 487 mm.

E. ist die fünftgrößte Stadt und einer der bedeutendsten Wirtschaftsstandorte Russlands. Die stärksten Industriezweige sind der Schwermaschinenbau (mit den Werken ›Uralmašzavod‹, ›Uralėlektrotjažmaš‹), die Metallurgie (›Verch-Isetskij metallurgičeskij zavod‹), die chemische Industrie (›Uralplastik‹) und die Lebensmittelindustrie. Sie spielen jedoch zunehmend nur noch eine nachrangige Rolle. Seit den 1990er Jahren entwickelte sich E. v. a. zu einem Finanz- und Dienstleistungszentrum. Die Stadt ist zudem ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt an der Transsibirischen Eisenbahn und hat einen internationalen Flughafen (Kolʹcovo). Der innerstädtische Verkehr wurde 1991 um eine erste U-Bahnlinie erweitert.

Neben seiner Funktion als Gebietshauptstadt ist E. administratives Zentrum des Föderalen Bezirks Ural. Zudem sind in E. einige ausländische Konsulate (u. a. Großbritannien, USA, Deutschland) angesiedelt.
Auch in kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht ist E. das Zentrum des Ural. Die Stadt verfügt über eine staatliche Universität und weitere 26 Hochschulen sowie zahlreiche Forschungseinrichtungen der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN, Rossijskij Akademii Nauk). Zudem hat die Uralsektion der RAN hier ihren Sitz. Das kulturelle Leben bereichern fünf Theater, darunter eine Oper, ein Ballett und mehrere Komödienbühnen, eine Philharmonie, zahlreiche Museen und ein Zirkus. E. ist Bischofssitz der russisch-orthodoxen Kirche.

Anfang

2 Kulturgeschichte

E. wurde 1723 am Fluss Isetʹ, einem Nebenfluss des Flusses Tobol, im Zusammenhang mit der bergbauindustriellen Erschließung des Ural gegründet. Der Name der Stadt leitet sich von der Zarin Katharina I. (1684–1727) sowie der Hl. Katharina, der Schutzpatronin der Bergarbeiter, ab.

E. war eine der ersten russischen Fabrikstädte (goroda-zavody), die ab Beginn des 18. Jh. auf Zarenerlass zur Entwicklung des Metall verarbeitenden Gewerbes gebaut wurden. Den Siedlungskern von E. bildeten eine Eisenhütte und regelmäßig im Quadrat angeordnete Wohngebäude. Umgeben wurde der Kern von einer Befestigungsanlage. E. war somit zugleich Fabrik- und Festungsstadt (gorod zavod-krepostʹ), von der aus die weitere Erschließung des Ural erfolgen sollte. Mit der Anbindung an den sog. Sibirischen Trakt (1763), der als eine der ersten großen West-Ost-Achsen Russlands von Moskau nach dem an Bodenschätzen reichen Sibirien führte, übernahm E. zunehmend Handels- und Mittlerfunktionen zwischen Europa und Asien. E. wurde zum „Fenster nach Asien“. Damit begann die eigentliche städtebauliche Entwicklung und Ausbildung städtischer Funktionen. Die Bebauung löste sich langsam von den Erfordernissen der Eisenproduktion, zunehmend bestimmten Gesellschaftsbauten das Stadtbild und Stein wurde das vorherrschende Baumaterial für die wichtigeren Bauten. Neben Fabrikbesitzern und Arbeitern siedelten sich nun auch Kleinunternehmer, Beamte und Kaufleute, Geistliche und Militärs an. Zwischenzeitlich wurde sogar die Verwaltung der Uralhütten aus der Gouvernementhauptstadt Permʹ nach E. verlegt. 1781 ernannte Katharina II. E. zur Stadt und zum Zentrum des Gebiets E.

Die industrielle Funktion der Stadt blieb auch im 19. Jh. bestimmend. Seit 1840 galt E. als Zentrum der Metallverarbeitung und bereits Anfang des 19. Jh. lag es hinsichtlich der Industrieproduktion an der Spitze der Uralstädte. Ab der Mitte des 19. Jh. erfolgte infolge der Krise der Metallurgie eine Diversifikation der lokalen Wirtschaftsstruktur. Die Leicht- und Nahrungsmittelindustrie erlangten zunehmende Bedeutung. Gleichzeitig wurden umliegende Goldvorkommen erschlossen und in E. geschmolzen. Mit der Anbindung an das Schienennetz 1878 (Verbindung nach Permʹ) wurde E. zum wichtigsten Eisenbahnknoten im Ural und erlangte Bedeutungszuwachs als Warenumschlagplatz zwischen dem europäischen Teil Russlands (Moskau, St. Petersburg) und Sibirien (Tjumenʹ, Omsk, Nowosibirsk, Kuzbass).

Im letzten Viertel des 19. Jh. siedelten sich zahlreiche russische Banken in der Stadt an und E. übernahm zunehmend überregionale Funktionen im Banken- und Kreditwesen. E. wurde auch das kulturelle Zentrum des Uralgebietes. 1897 hatte E. 43.000 Einwohner. In administrativer Hinsicht war E. 1796–1919 Teil des Gouvernements Permʹ, obwohl es in vielerlei Hinsicht (Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft) führend war. Erst mit der Machtübernahme der Bolschewisten wurde E. selbst Gouvernementzentrum.

Einen erneuten industriellen Aufschwung erfuhr E. (wie die meisten Industriestädte des Ural) vor und während des Ersten Weltkriegs mit der Umstellung der Produktion auf Rüstungsgüter. Die Rüstungsindustrie blieb bis Ende des 20. Jh. für die gesamte Region bestimmend.
Zwischen 1924 und 1991 hieß die Stadt Sverdlovsk, benannt nach einem der führenden Bolschewisten, Jakov M. Sverdlov (1885–1919).

Auch zu sowjetischen Zeiten wurde vorrangig der industrielle Zweig E.s ausgebaut, die Stadt wurde zu einem national bedeutenden Schwerindustriestandort. Ab Ende der 1920er Jahre diente E. innerhalb des „Ural-Kuznecker Kombinates“ als Zentrum des Maschinenbaus. Die Industrieproduktion wuchs zwischen 1932 und 1940 um das 4,4fache. Parallel entstanden zahlreiche wissenschaftliche Institutionen und Forschungseinrichtungen in den Bereichen Bergbau und Ingenieurtechnik. E. wurde ab den 1930er Jahren zum wichtigsten Wissenschaftsstandort im Ural. Im Zuge des Zweiten Weltkrieges erfolgte eine erneute Umstellung der Produktion auf Rüstungsgüter. Infolge der Umsiedlung von Industriebetrieben aus den westlichen Landesteilen und der Steigerung der Produktion nahm die Industrieproduktion während des Krieges um das 7fache zu. Nach dem Krieg wurde E. zu einer der führenden Industriestädte der Sowjetunion in den Bereichen Rüstungsproduktion, Maschinenbau und Herstellung von Ausrüstungen für den Bergbau und die Metallurgie. Bis 1991 war die Stadt für Ausländer nicht zugänglich; Sowjetbürger konnten nur mit Genehmigung einreisen.

Die demographische Entwicklung steht in engem Zusammenhang mit dem industriellen Wachstum der Stadt: zwischen 1925 und 1938 nahm die Bevölkerungszahl von 136.500 auf 423.000 Einwohner zu, 1958 lebten in E. 779.000, 1978 1.210.000 und 1988 1.298.000 Einwohner.
Auch in politischer Hinsicht hat E. im 20. Jh. einige Male auf sich aufmerksam gemacht. In der Nacht vom 17. auf den 18.7.1918 wurden in E. der letzte russische Zar Nikolaj II. und seine Familie erschossen. Im Zweiten Weltkrieg wurden viele wissenschaftliche (RAN), kulturelle (so z. B. das „Moskauer Künstlertheater“, MchAT sowie Sammlungen der Eremitage) und staatliche Einrichtungen aus den westlichen Landesteilen nach E. verlegt. Während des Putsches von 1991 befand sich in E. der Bunker der „Ersatzregierung“ der Sowjetunion. So wurde und wird E. im Volksmund vielfach auch die „dritte Hauptstadt“ (tretʹaja stolica) Russlands genannt.

Zu den interessantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählen die klassizistischen Architekturdenkmäler von Ende des 18., Anfang des 19. Jh.: der Landsitz der Familie Rastorguev-Charitonov (1794–1830er Jahre), die „Bergkanzlei“ (Gornaja kanceljarija, 1737–39, umgebaut 1833–35), Kontor und Hospital der Fabrik ›Verch-Isetskij metallurgičeskij zavod‹ (19. Jh.) und die Aleksander-Nevskij-Kirche (Cerkovʹ svjatogo Aleksandra Nevskogo, Mitte des 19. Jh.). Der von Stalin seit Mitte der 1930er Jahre errichtete neue Stadtkern gilt als eines der größten Flächendenkmale des Neoklassizismus in Russland.

Artemov E. T., Zubkov K. I., Postnikov S. P. 1996: Ekaterinburg. Istorija i sovremennost’. Ekaterinburg. Rudolph R. 2001: Stadtzentren russischer Großstädte in der Transformation – St. Petersburg und Jekaterinburg. Leipzig.

(Monika Schulze)

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