Atomenergieministerium

Atomenergieministerium (russ., Abk. Minatom)

Das heutige A. führt seine Geschichte auf die 1945 zwecks Befassung mit Fragen der Atomenergie geschaffene „Erste Hauptverwaltung beim Rat der Volkskommissare der UdSSR“ zurück. 1946 begann die Einrichtung des militärischen Atomforschungszentrums KB-11 (später bekannt als ›Arzamas-16‹), das – gestützt auf von sowjetischen Geheimdiensten beschaffte Informationen über amerikanische Arbeiten – die erste sowjetische Atombombe entwarf und baute. Sie wurde erstmals 1949 auf dem Testgelände von Semipalatinsk (russ., kasach. Semej, Kasachstan) gezündet.

1953 folgte der Test der ersten sowjetischen Wasserstoffbombe. Im gleichen Jahr entstand das Ministerium für mittleren Maschinenbau“, in das u. a. die „Erste Hauptverwaltung eingegliedert wurde. Es leitete die gesamte militärische und zivile Atomindustrie der UdSSR. 1954 ging das erste sowjetische Kernkraftwerk Obninsk in Betrieb, und im Jahr darauf wurde das zweite militärische Atomforschungszentrum, ›Čeljabinsk-70‹ (heute Snežinsk), ins Leben gerufen. 1957 lief das erste atombetriebene U-Boot der UdSSR, die K-3, vom Stapel. 1961 testete die UdSSR (vor dem Hintergrund anhaltender Spannungen um das geteilte Berlin) die weltstärkste Wasserstoffbombe mit einer Sprengkraft von über 50 Megatonnen.

Im Atomkraftwerk Tschernobyl (Ukraine) ereignete sich 1986 der bisher folgenschwerste Unfall in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernkraft. 1989 wurde das „Ministerium für mittleren Maschinenbau“ auf „Ministerium für Atomenergie und -industrie der UdSSR“ umbenannt. 1992 kam es zur Bildung des A.s Russlands; erster Minister wurde Viktor N. Michajlov, ein bekannter Konstrukteur sowjetischer Kernwaffen. 1997 begann die Serienproduktion vom Atomsprengköpfen für die erste postsowjetische Interkontinentalrakete Russlands, die ›Topolʹ-M‹.

Rechtlich ist das A. Russlands ein föderales Organ der Exekutive mit der Verantwortung für die staatliche Politik in der zivilen Atomenergiewirtschaft und der Entwicklung, Produktion und Entsorgung von Atomwaffen. Seine Aufgaben umfassen v. a. Grundlagenforschung in verschiedenen Bereichen der Physik, angewandte Forschungen und Entwicklungen, die Herstellung von Atombrennstoff und Reaktormaterialien, Errichtung und Betrieb von Atomkraftwerken in Russland und im Ausland, Konversion (Umrüstung von militärischer auf zivile Produktion), die Entsorgung von zivilen und militärischen Atomanlagen (z. B. Reaktoren von U-Booten), die Durchführung der staatlichen Investitions- und Strukturpolitik in der Atomenergiewirtschaft sowie die Realisierung von Projekten zur Nutzung von hoch angereichertem Uran aus Atomwaffen mit den USA.

Cochran T., Norris R., Bukharin O. 1995: Making the Russian Bomb. From Stalin to Yeltsin. Boulder. Kruglov A. 1995: Kak sozdavalasʹ atomnaja promyšlennostʹ v SSSR. Moskva. Michajlov V. (red.) 1995: Sozdanie pervoj sovetskoj jadernoj bomby. Moskva. Petrosʹjanc A. (red.) 2000: Jadernaja industrija Rossii. Moskva.

(Martin Malek)

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