Pirin (Gebirge)

Pirin (bulg.)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

P., der zweithöchste Gebirgszug des heutigen Bulgarien, zieht sich durch den Südwestteil des Landes und erstreckt sich auf ca. 80 km Länge und 40 km Breite zwischen den Flüssen Mesta im Westen und Struma im Osten sowie den Gebirgssatteln ›Predela‹ (1140 m) im Norden und ›Parilska sedlovina‹ (1395 m) im Süden. Sein alpines Relief mit durchschnittlicher Höhe von 1033 m weist zahlreiche Gipfel über 2000 m Höhe und weit über 100 Bergseen auf. Seine höchste und zugleich die dritthöchste Erhebung der Balkanhalbinsel ist Vichren mit 2914 m. Die Gesamtfläche des von Nordwesten nach Südosten ausgerichteten und leicht abfallenden P. beträgt 2585 km². Charakteristisch sind kuppelartige Fels- und Gipfelbildungen aus Granit und Marmor, die während der Gebirgsformation in der Kreide- und Tertiärzeit entstanden sind. Es herrscht kontinentales Klima mit mediterranen Einflüssen vor. Klimatisch unterschieden werden der südwestliche, um den Fluss Struma und der nordwestliche, um den Fluss Mesta gelegene Teil der Region P.-Makedonien. Typisch sind flache Waldböden aus Braunerde, die im Südwesten (um Sandanski und Melnik) teils stark erodiert sind.

Zu den seit dem 17. Jh. wirtschaftlich genutzten Bodenschätzen gehören Braunkohle, Marmor und Eisen. Das seit der Antike für seine Mineralquellen bekannte Gebirge zeichnet sich durch eine große Vielfalt von teils seltener Flora und Fauna aus. Neben Buchen- und Fichtenwäldern sind v. a. Blumen artenreich vertreten. Das im Alpinbereich wachsende Edelweiß ist Wahrzeichen des P. Es ist die für europäische Gebirgsregionen typische Tierwelt anzutreffen, v. a. auch reiche Vorkommen an Forellen. Die einst starke Bärenpopulation ist durch die Erschließung des Gebirges sehr zurückgegangen. Etwa 15 Pflanzen- und zahlreiche Insektenarten sind endemisch. Zum Schutz des einzigartigen Ökosystems und der vom Aussterben bedrohten Arten wurde der nördliche Teil des P. 1962 zum Nationalpark und 1983 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Die P.-Region gehört historisch zum antiken Makedonien (ca. 8 % von dessen Fläche umfassend). Die ab dem 2. Jt. v. Chr. hier siedelnden Thraker gaben dem Gebirgsmassiv den Namen ›Orbelos‹ (altgriech. Orbēlos, latein. Orbelus, „Schneegebirge“) und betrieben über das Tal des Flusses Mesta regen Handel bis zur Ägäis-Küste. Aus der Gegend um die heutige Stadt Sandanski soll der berühmte Anführer des Sklavenaufstandes gegen Rom, Spartakus, stammen. Als sich hier die Slawen im 6.–7. Jh. n. Chr. ansiedelten, benannten sie das Gebirge nach ihrem Gott der Blitze und Stürme ›Perun‹, woher auch sein heutiger Name rührt. Aus hellenistischer Zeit stammen Reste von Herkules-Tempeln; von der römischen Zeit zeugen Pflasterstraßen, vom Zweiten Bulgarischen Reich sind Festungsruinen überliefert. Die bewegte und komplexe Geschichte dieser Region als Teil des „Zankapfels“ Makedonien setzte sich auch nach der Unabhängigkeit Bulgariens 1878 fort. Am Ende der Balkankriege 1912–13 wurde Bulgarien das sog. P.-Makedonien (6789 km², = ca. 10 % der Gesamtfläche Makedoniens) zugeteilt.

Die P.-Bevölkerung, deren Zahl gegenwärtig ca. 300.000 beträgt, machen hauptsächlich Bulgaren, ferner Türken, Roma und Pomaken aus. Die sich bei der bulgarischen Volkszählung von 2001 als ethnische Makedonier bezeichnenden größtenteils in P.-Makedonien lebenden 5071 Personen, werden allerdings mangels nennenswerter Unterschiede in ihrer Tradition, Religion und Sprache gegenüber der restlichen bulgarischen Bevölkerung der Region nicht als Minderheit anerkannt. Im Zuge der Industrialisierung der P.-Region ab den 1950er Jahren wurde die bis dahin traditionell betriebene Land- und Forstwirtschaft (v. a. Tabakanbau, Viehzucht und Ackerbau) verstaatlicht. In den größeren Städten konzentrierten sich daneben Maschinenbau und Chemieindustrie. Straßen und Eisenbahnlinien führen in die höhergelegenen Regionen. Hier wurden zwischen touristisch wichtigen Ortschaften und Berghütten Verbindungsstraßen gebaut. Nur eine, von Goce Delčev ausgehend, durchquert das an sich schwer passierbare Gebirge vollständig.

Im Gebiet um die für ihre gut erhaltenen Bürgerhäuser aus der osmanischen Zeit bekannte Stadt Melnik im Südwesten des P. wird seit Jahrhunderten Weinanbau betrieben. In der denkmalgeschützten Stadt Bansko blühten Mitte des 18. Jh. Handwerk, Handel und Kunst auf; die Schule für Ikonenmalerei war auf dem gesamten Balkan und Mitteleuropa berühmt. Charakteristisch für Banskos Musiktradition sind die freimetrischen „Schluchzgesänge“ (bulg. „na acane“), die gemeinsam mit den sog. „Höhen“-Gesängen (bulg. „na visoko“) der Dörfer Dolen und Satovča (an der Grenze zu den Rhodopen) einzigartige Liedstile darstellen. Gepflegt wird die traditionelle lokale Kultur auch in Razlog, wo z. B. der Brauch der Maskenspiele am 1. Januar und das große Folklore-Festival ›Pirin pee‹ veranstaltet werden, sowie in Goce Delčev, das über ein eigenes Folklore-Ensemble verfügt. Fernab von den Städten hat sich in manchen abgelegenen Gebirgsdörfern die traditionelle Kultur noch weit mehr lebendig erhalten, wie etwa im Ort P., aus dem die drei auch international berühmten Schwestern Biserov stammen. Das P.-gebirge stellt die größte und zugleich vielfältigste Region bulgarischer Folklore dar. Charakteristisch für die traditionelle Musik sind orientalische, äolische und phrygische Modi, ferner Pentatonik. Für die v. a. von Frauen gepflegte diaphone Gesangstradition sind schwebende Sekunden- und melodiöse Terzintervalle neuerer Zeit typisch. Beachtenswert in metrisch-rhythmischer Hinsicht sind der Siebener-Takt im sog. Makedonischen Reigen und der für Bulgarien untypische Dreier-Takt. Verbreitete traditionelle Musikinstrumente der P.-Region sind ›tambura‹, weiterhin der Dudelsack (gajda), die Doppelflöte (dvojanka) sowie ›tăpan‹, ›tarambuka‹ und ›zurna‹.

N. N. 1985: Pirin. Georgiev Vladimir (Red.): Enciklopedija Bălgarija 5, Sofija, 228–232. Stoin E. 1967: Muzikalnofolklorni oblasti. Enciklopedija na bălgarskata muzikalna kultura. Sofija, 52. Nationalpark Pirin (http://www.pirin-np.com) [Stand 26.4.2004].

(Jana Leitner)

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