Erzincan

Erzincan (türk., kurd. Erzîngan, griech. hist. Iustinopolis, Iustinianopolis).

Die türkische Provinzhauptstadt E. liegt in Ostanatolien zwischen Sivas und Erzurum auf einer Hochebene am Fluss Karasu, einem Zufluss des Euphrat. Das in einer Höhe von 1185 m ü. d. M. gelegene E. zählt 111.700 Einwohner (2004) und ist das Zentrum einer stark landwirtschaftlich geprägten Region, wobei die Stadt früher auch wegen der dortigen Metallverarbeitung bekannt war.

Wie archäologische Funde belegen, war E. schon in der Bronzezeit besiedelt. Kulturell befand sich die Stadt damals unter dem Einfluss Irans; sie war im Altertum unter dem Namen Erek/Erez/Aziris bekannt und beherbergte einen Tempel der altpersischen Göttin Anahit. Sie wird mit der griechischen Artemis gleichgesetzt.

Später kam E. unter die Herrschaft der Hethiter, dann der achämenidischen Perser. Im 2. Jh. kam E. unter die Herrschaft der Römer, dann unter die der Byzantiner. E. wechselte mehrmals den Namen. Im 6. Jh. wurde die Stadt während der damals das Byzantinische Reich erschütternden Unruhen befestigt und damit zur Festung (›kastron‹); später erfolgte die Verleihung der Stadtrechte (›dikaion poleos‹) durch den Kaiser, wodurch die Festung zur Stadt aufstieg. Der exakte Name der Stadt zu dieser Zeit ist unbekannt; in manchen Quellen findet sich der ehemalige Name Sousa, in anderen Mokissos. Die Stadt wurde im 6. Jh. in die Berge verlagert, wo natürliche Hemmnisse so viel Schutz vor Feinden boten, dass eine Stadtmauer unnötig wurde und bekam den Namen Iustinopolis/Iustinianopolis. Nach 1071 kam E. unter seldschukische Vorherrschaft, und danach unter die Vorherrschaft der seldschukischen Emire von Mengücek. 1243 wurde E. durch die Mongolen zerstört und 1516 unter Sultan Selīm I. von den Osmanen annektiert.

Im Verlauf des Ersten Weltkrieges wurde E. durch russische Truppen besetzt. Nach dem Frieden von Brėst-Litovsk wieder an das osmanische Reich zurückgefallen, wurde E. 1919 zum Schauplatz des zweiten türkischen Nationalkongress. Auf dieser Konferenz verabschiedeten die türkischen Nationalisten u. a. den nationalen Pakt, der das Territorium eines zukünftigen Nationalstaates etablierte. Dabei wurde ausdrücklich auf revisionistische Ziele – wie die Wiedergewinnung der arabischen und europäischen Provinzen – verzichtet.

E. liegt in einer außerordentlich erdbebengefährdeten Zone, wurde aber immer wieder aufgebaut. Große Beben sind für 1471 und 1667 nachgewiesen, 1782 forderte ein Erdbeben über 10.000 Tote. 1939 wurde E. durch ein verheerendes Erdbeben, das rund 33.000 Todesopfer forderte, fast völlig vernichtet, weswegen in der Stadt fast keine Spuren der historischen Bauwerke mehr erhalten sind. Das letzte Erdbeben, dem über 1000 Menschen zum Opfer fielen, ereignete sich 1991.

(Tilman Lüdke)

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