Jászi, Oszkár

Jászi, Oszkár; *2.3.1875 Nagykároly (heute: Carei) †13.2.1957 Oberlin (Ohio/ USA), Soziologe, Publizist, Politiker, führender Repräsentant und Theoretiker des bürgerlichen Radikalismus und des Sozialismus in Ungarn.

J. wurde als der jüngere Sohn eines jüdischen Arztes geboren, und absolvierte das Gymnasium des Piaristenordens in Nagykároly. In den Jahren 1892–96 studierte J. an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Budapester Universität, wo ihn die „positivistisch“ orientierte Rechts- und Staatsphilosophie Ágost Pulszkys und Gyula Piklers in ihren Bann zog. J. setzte sein Studium im Ausland, in Frankreich und später in England, fort und arbeitete nach der Rückkehr als Referent im Landwirtschaftsministerium, bis er 1906 den Staatsdienst aus ideologischen Gründen verließ.

Zusammen mit seinen Freunden Bódog Somló, Gusztáv Gratz, Ödön Wildner u. a. gründete J. 1899/1900 die Zeitschrift „Zwanzigstes Jahrhundert“ (ungar. Huszadik Század, HSZ), die eine soziologisch orientierte „wissenschaftliche Publizistik“ versprach und „allen offenen oder verhüllten, mutigen oder demütigen Äußerungen der Reaktion“ den Kampf ansagte. 1901 erfolgte dann die Gründung der „Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft“ (ungar. Társadalomtudományi Társaság, TT). In den Jahren 1906–19 fungierte J. als Chefredakteur von HSZ und 1907–18 als Generalsekretär der TT. Bei der Gründung der „Liga für allgemeines und geheimes Wahlrecht“ (ungar. Általános és Titkos Választójog Ligája) 1905 und der „Freischule der Gesellschaftswissenschaften“ (ungar. Társadalomtudományok Szabadiskolája), die nach französischem Vorbild und auf der Basis der von den ungarischen Freimaurern gewährten finanziellen Unterstützung 1906 erfolgte, spielte J. eine maßgebende Rolle. Unter Mitwirkung der Freimaurer wurden 1904–06 die Zeitschriften „Tageslicht“ (ungar. Világosság), „Freier Gedanke“ (ungar. Szabad Gondolat), 1908 der „Galilei-Zirkel“ (ungar. Galilei-Kör) und 1910 die radikale Tageszeitung „Die Welt“ (ungar. Világ) ins Leben gerufen. Mit dem ersten Heft der Zeitschrift „Der Westen“ (ungar. Nyugat) um den Dichter Endre Ady erhielt HSZ im Januar 1908 ein literarisches Pendant.

1913 heiratete J. die ungarische Dichterin und Malerin Anna Lesznai, der er sich auch nach der Trennung im Jahr 1920 verbunden fühlte. J. war – zusammen mit dem Sozialisten Ervin Szabó – Gründer und alsdann Präsident der 1914 gegründeten „Bürgerlich-Radikalen Partei“ (ungar. Polgári-Radikális Párt).
Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs wandte sich J. der Nationalitätenproblematik im Donauraum – speziell in Ungarn – zu. Er wurde im Oktober 1918 Nationalitätenminister in der Koalitionsregierung des Grafen Mihály Károlyi und im Januar 1919 Professor für Soziologie an der Budapester Universität. Während der Räterepublik Béla Kuns emigrierte der erklärte Antikommunist J. im Mai 1919 nach Wien und redigierte dort als Chefredakteur die „Wiener Ungarische Zeitung“ (ungar. Bécsi Magyar Újság).

Nach einer Vortragsreise 1923–24 ließ sich J. in den USA nieder, wo er in Oberlin eine Professur für Soziologie erhielt. Während des Zweiten Weltkriegs war J. Vorsitzender des „Demokratischen Bundes der Ungarn in Amerika“ (ungar. Amerikai Magyarok Demokratikus Szövetsége ). 1947 stattete J. einen letzten kurzen Besuch in Ungarn ab. Im Frühjahr 1955 widmeten ihm junge ungarische Intellektuelle um die Münchner Zeitschrift „Der Horizont“ (ungar. Látóhatár) eine Sondernummer anlässlich seines 80. Geburtstags.

Litván Gy., Varga F. J. (Hg.) 1982: Jászi Oszkár publicisztikája. Budapest. Hauszmann J. 1988: Bürgerlicher Radikalismus und demokratisches Denken im Ungarn des 20. Jahrhunderts. Der Jászi-Kreis um „Huszadik Század“ (1900–1949). Frankfurt a. M.

(János Hauszmann)

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