Kilikien

Kilikien (altgriech. Kilikia, latein. Cilicia, heute türk. Çukurova)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die historisch-geographische Region K. umfasst die Gebiete zwischen Coracesium (heute türk. Alanya) im Westen, dem Taurus im Norden, dem Mittelmeer im Süden und dem Gebirge Amanos im Osten und gehört geomorphologisch zum Taurusgebirge und innerhalb der Türkei zur Mittelmeerregion (türk. Akdeniz Bölgesi). Geographisch kennzeichnend ist der Gegensatz zwischen der gebirgigen ›Kilikia tracheia‹ (altgriech., heute Provinz Içel) und der fruchtbaren Ebene der ›Kilikia pedias‹ (altgriech., heute türk. Çukurova) mit dem Zentrum Adana. Letztere ist deutlich dichter besiedelt als das Bergland. In dem fruchtbaren Schwemmlandbecken wird v. a. Baumwollanbau betrieben. In der Antike war die heute nahezu baumlose Region für ihren Holzreichtum bekannt, die Steilküsten der ›Kilikia tracheia‹ boten Piraten Unterschlupf. Die wichtigsten Flüsse sind Ceyhan, Göksu, Seyhan und Tarsus. Die Winter sind im Gebirge kühl und feucht, die Sommer heiß und trocken, während die Ebene zu den niederschlagreichsten und heißesten Regionen der Türkei gehört.

Anfang

2 Kulturgeschichte

Auf die fruchtbare Küstenebene K.s richteten sich seit frühester Zeit die Besitzansprüche verschiedener Mächte des Mittelmeerraumes. Den Hethitern folgten im 4. Jh. v. Chr. griechische Kolonisten, dann einheimische Herrscher. 72 n. Chr. schuf Kaiser Vespasian die römische Provinz ›Cilicia‹ mit der Hauptstadt Tarsos (altgriech., latein. Tarsus). Die Grenzen zu den Nachbarprovinzen ›Lycia‹ im Westen, ›Galatia‹ und ›Cappadocia‹ im Norden und ›Syria‹ im Südosten waren immer fließend. Gegen Ende des 3. Jh. wurde K. v. a. durch wiederholte Einfällen der Sassaniden nachhaltig erschüttert, Aufstände der Isaurier führten schließlich zur Abspaltung einer eigenen Provinz Isaurien. Die nun deutlich kleinere ›Cilicia‹ wurde Teil der Präfektur und Diözese ›Oriens‹ und von Antiochia am Orontes aus verwaltet. Die römische Kirche K.s unterstand dem Patriarchat von Antiochia. Spätestens Anfang des 5. Jh. wurde K. zweigeteilt. Anazarbos wurde Hauptstadt von ›Cilicia II.‹ Hier regierte jedoch lediglich ein ›praeses/hēgemōn‹ (latein./altgriech.) als Statthalter, während dieser in Tarsos den Rang eines ›consularis/konsoularios‹ (latein./altgriech.) innehatte. 613 geriet K. unter persische Besatzung, seit den 30er Jahren des 7. Jh. war es Schauplatz der byzantinisch-arabischen Auseinandersetzungen und von Anfang des 8. Jh. bis zur Rückeroberung 965 durch den byzantinischen Kaiser Nikēphoros II. Phōkas stand es unter arabischer Herrschaft. Nikēphoros und sein Nachfolger Iōannēs I. Tsimiskēs ließen die durch Krieg und Flucht entvölkerten Gebiete neu besiedeln. Die Einwanderer waren v. a. syrisch-christlicher und armenischer Herkunft. Der griechische Bevölkerungsanteil in der unsicheren Grenzprovinz blieb vergleichsweise gering. Tarsos erhielt etwa um diese Zeit bereits einen armenischen Bischof.

Ab 1073 übernahm Philaretos Brachamios, ein byzantinischer Offizier armenischer Herkunft, die Herrschaft in K. Nach deren Zerfall und bei schwindender byzantinischer Kontrolle konnten sich dann Ende des 11. Jh. mehrere armenische Kleinherrschaften etablieren, aus denen schließlich unter der Dynastie der Rubeniden das Fürstentum (seit 1198 Königreich) Kleinarmenien hervorging. In Folge der Krönung Leons I. zum König von Armenien in Tarsos durch den Katholikos Grēgorios VI. etablierte sich in K. eine armenische „Staatskirche“. Nach der Eroberung von Hromgla (heute türk. Rumkale) durch die Mamelucken 1292 wurde Sis (heute türk. Kozan) bis 1921 Sitz dieses kleinarmenischen Katholikats. 1375 eroberten die Mamelucken im Bund mit turkmenischen Emiren das gesamte Königreich. K. wurde nun im Westen von den Clans der Karaman und im Osten von denen der Ramadan beherrscht. Erst unter Mehmet II. (1451–1481) gelang es den Osmanen dauerhaft, ihre Herrschaft in K. durchzusetzen, die nur kurzzeitig nach 1821 bis 1841 Muhammad Ali von Ägypten überlassen werden musste. Im Ersten Weltkrieg wurde die armenische Bevölkerung K.s vertrieben und ermordet. 1919–1921 war ein Teil K.s französisch besetzt. Nach den Festlegungen des Friedensvertrages von Lausanne mussten 1923 im Rahmen des griechisch-türkischen „Bevölkerungsaustausch“ auch die Griechen das Land verlassen. Schon Mitte des 19. Jh. setzte zudem durch die Sesshaftmachung der turkmenischen Bevölkerung K.s ein kulturgeographischer Wandlungsprozess ein, in dessen Verlauf die Winterweidegebiete in der kilikischen Ebene in große Latifundien aufgeteilt und zu landwirtschaftlichen Anbauflächen wurden. An den Besitzstrukturen hat sich seitdem wenig geändert. Die historische Bausubstanz der kilikischen Städte wurde in den kriegerischen Auseinandersetzungen zu Beginn des 20. Jh. stark in Mitleidenschaft gezogen. Durch seine hethitischen, griechischen-römischen, byzantinischen, armenischen und osmanischen Relikte ist K. aber bis heute archäologisch von großem Interesse.

Hild F., Hellenkemper H. 1990: Kilikien und Isaurien. Wien (=Tabula Imperii Byzantini 5, Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 215). Mutafian C. 1988: La Cilicie au carrefour des empires I-II. Paris.

(Lisa Mayerhofer)

Anfang
Views
bmu:kk