Kerč (Stadt)

Kerč (ukrain., altgriech. Pantikapaion, krimtatar./osman.-türk. Kerç, latein. Panticapaeum, russ. Kerčʹ)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Stadt an der gleichnamigen Meerenge (Straße von Kertsch) im Osten der Halbinsel Kerč mit 152.564 Einwohnern (2004). K. ist eine wichtige Hafen- und Industriestadt im Schwarzmeerraum. Das Klima ist durch den Einfluss des Schwarzen Meers relativ mild. Die mittlere Temperatur beträgt im Januar 1,0 °C, im Juli 22,8 °C. Die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge beläuft sich auf 434 mm.

K. wird überwiegend von Russen bewohnt (2001: 78,7 %). Ukrainer machen 15,4 % der Bevölkerung aus, wobei von diesen 66,1 % Russisch als Muttersprache verwenden. Unter den kleineren Minderheiten finden sich u.a. Weißrussen (1,1 %), Krimtataren (1,0 %) und Armenier (0,3 %). Der industrielle Schwerpunkt liegt auf Fischverarbeitung, Metallerzeugung und Schiffbau. Die Stadt verfügt über eine Hochschule und ein archäologisches Bedeutende Gebäude sind die Kirche Johannes des Täufers (russ. Cerkovʹ Ioanna Predteči, ukrain. Cerkva Joana Predteči, 8.–14. Jh., 1834–45), die in einem nordöstlichen Vorort stehende türkische Festung Yenikale (krimtatar./osman.-türk. [wörtlich: Neue Festung], russ. Enykale, ukrain. Jeni-Kale), 1703–10) und der Kurgan des Zaren (russ. Carskij kurgan, ukrain. Carsʹkyj kurhan, 4. Jh. v. Chr.). Zwischen K. und dem russischen Gebiet Krasnodar besteht eine Eisenbahnfährverbindung.

2 Kulturgeschichte

Im 6. Jh. v. Chr. gründeten Griechen auf dem Gebiet des heutigen K. die Stadt Pantikapaion. Diese lebte u. a. vom Getreideexport in den Mittelmeerraum und war ab dem 5. Jh. v. Chr. Hauptstadt des ab dem 1. Jh. v. Chr. unter römischer Oberherrschaft stehenden Bosporanischen Reiches. Das antike K. war ein bedeutendes kulturelles Zentrum, das jedoch wiederholt Überfällen von nomadischen Gruppen (Skythen und Sarmaten) ausgesetzt war und schließlich um 375 von den Hunnen zerstört wurde. Aus dieser Zeit sind insbesondere noch bedeutende Grabbauten erhalten.

Im 6. Jh. befand sich an der Stelle des heutigen K. eine byzantinische Militärsiedlung, die insbesondere als christliches Zentrum von Bedeutung war, bis sie im 7. Jh. an die Chasaren fiel. Vom 10. Jh. bis zum Einfall der Mongolen Anfang des 13. Jh. existierte an dem Ort die slawische Handelssiedlung Kʺrʺčev, die dem Fürstentum Tmutarakanʹ unterstellt war. Im 14. Jh. gründeten Genuesen dort die Handelskolonie Cherkio. Ab 1495 stand der als Festung und Sklavenmarkt bedeutsame Ort unter krimtatarisch-osmanischer und ab 1774 (Frieden von Küçük Kaynarca) unter russischer Herrschaft.

1855 wurde K. im Krimkrieg von den Briten fast völlig zerstört, dennoch wuchs die von Handel und Fischfang geprägte Stadt 1840–97 von 8230 auf 34.780 Einwohner an. Die Stadt wurde beträchtlich ausgebaut, erste Fabriken siedelten sich an und um 1900 erhielt K. einen Eisenbahnanschluss nach Vladislavovka auf der Krim. 1905 kam es im Zuge einer Pogromwelle im russischen Zarenreich auch in K. zu Übergriffen auf Juden mit zahlreichen Toten. Juden hatten bereits im antiken K. gelebt und hatten sich nach der Eroberung durch Russland wieder dort angesiedelt.

Nach einer Phase der Stagnation während des russischen Bürgerkriegs erlebte K. in den 1920er und 1930er Jahren aufgrund staatlicher Industrieinvestitionen einen rasanten Aufschwung. 1926–38 wuchs die Stadt von 34.600 auf 104.500 Einwohner.

Im Zweiten Weltkrieg war K. wegen seiner strategisch wichtigen Lage an der Meerenge Schauplatz schwerer Kämpfe, was starke Zerstörungen zur Folge hatte. 1941–44 war K. zeitweise von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Diese ermordete beziehungsweise deportierte zahlreiche Bewohner der Stadt. Von dem Teil der Juden, die nicht vorher aus K. geflohen waren, überlebte fast niemand diese Zeit. Bei der zweiten Eroberung durch deutsche Truppen im Mai 1942 flohen mehrere Tausende Soldaten und Zivilisten in labyrinthartige Höhlensysteme (russ./ukrain. Adžimuškaja), welche bereits bei vorherigen Kriegen von strategischer Bedeutung gewesen waren. Von dort setzten sie ihren Widerstand gegen die deutschen Besatzer, welche chemische Waffen einsetzten, noch bis Oktober 1942 fort.

Nach Kriegsende wurde die Stadt wieder aufgebaut und wuchs bis 1992 auf 183.000 Einwohner. Die Transformationskrise der 1990er Jahre hat K. relativ gut überstanden.

Gorod Kerčʹ 2002. http://www.kerch.narod.ru/ [Stand 25.6.2004].

(Sebastian Klüsener)


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