Selim Girāi I.

Selim Girāi I., *um 1630 †1704, Krimkhan.

S. war einer der politisch bedeutendsten frühneuzeitlichen Krimkhane. Er amtierte ungewöhnlicherweise viermal. In seine Regierungszeiten fielen blutige und langwierige Kriege zwischen dem Osmanischen Reich und der aus Polen-Litauen, der Habsburgermonarchie, dem Heiligen Römischen Reich, der Republik Venedig und dem Papst bestehenden Heiligen Liga (1684–99), Russland (1677–81, 1686–1700), Polen–Litauen (1672–76) in die das Khanat als Vasall der Hohen Pforte eingebunden war. S., der bereits in den 1660er Jahren hohe Ämter im Khanat innehatte, wurde erstmalig 1671 von Seiten der Hohen Pforte als Khan installiert. S. unterhielt in diesen Jahren diplomatische Beziehungen zu Brandenburg-Preußen, Dänemark und der Habsburgermonarchie um Brandenburg in eine Allianz gegen Polen einzubinden. Anfang 1678 wurde S. zugunsten von Murād Girāi abgesetzt.

Von 1684–91 wurde S. zum zweiten Male vom Sultan zum Khan ernannt. Die Krimtataren als Hilfstruppen der Osmanen erlitten in den großen Schlachten bei Buda 1686, am Berge Harsány 1687, im Kosovo 1689, bei Slankamen 1691, Vilagos 1695 und Senta 1697 erhebliche Verluste. 1687 und 1689 scheiterten groß angelegte russische Angriffe in Richtung Krim in den Nogaiersteppen an Nachschubproblemen und der Taktik der verbrannten Erde seitens der Krimtataren. Auch gegen Polen-Litauen konnte sich das Khanat behaupten. Nach seiner Abdankung unternahm S. 1691 als einziger Krimkhan soweit bislang bekannt einen Hadsch nach Mekka. Bereits Ende 1692 wurde er erneut als Khan eingesetzt und amtierte nun bis 1699. In diesen Jahren wurden die humanen Ressourcen des Reiches durch die jährlichen Kampagnen weiter überbeansprucht. S., sein Thronfolger und sein Stellvertreter verbrachten mit ihren Aufgeboten lange Zeitspannen auf dem rumelischen Kriegsschauplatz. Es gelang S. nicht, durch eine Reihe verlustreicher Feldzüge in die südöstlichen polnischen Woiwodschaften 1693–95, Polen verhandlungsbereiter zu machen. Alle Sonderfriedenssondierungen mit Polen scheiterten. Von der sich modernisierenden russischen Seite drohte dem krimtatarischen Reichsverband zunehmend existentielle Gefahr. 1696 gelang der Armee Peters I. trotz heftiger Gegenwehr die Eroberung von Azov und damit ein erster Zugang Russlands zum Schwarzen Meer. In den Friedensschlüssen von Karlowitz 1699 und Istanbul 1700 mit der Hl. Liga und Russland, die von osmanischer Seite ohne die Beteiligung von tatarischer Seite geführt wurden, wurde neben einem neuerlichen strengen Verbot von Streifzügen und der Festlegung einer Nordgrenze, das Ende von Tributleistungen von polnischer und russischer Seite an Bachčysaraj festgeschrieben. Selim dankte u. a. aus Protest gegen den Frieden von Karlowitz ab, wurde 1702 allerdings wiederum auf den Thron in Bachčysaraj gerufen, da sein Sohn und Nachfolger Devlet II. Girāi sich nicht als konsensfähig gegenüber aufständischen Nogaiern erwiesen hatte. Selim spielte eine aktive Rolle bei der Absetzung Sultan Mustafas II. 1704 verstarb er als amtierender Khan. Trotz seiner zahlreichen politischen Initiativen, seinem Talent als Feldherr und der enormen humanen und materiellen Anstrengungen, befand sich das Khanat um 1704 in einer wesentlich ungünstigeren machtpolitischen Situation als 1671.

S. war zudem Verfasser persischer Lyrik und kann als ein Vertreter des Teiles der bereits sehr stark geistig und kulturell osmanisierten Elite auf der Krim angesehen werden. Seine jahrelangen Aufenthalte und Aktivitäten im Reichsinneren und in der Hauptstadt Istanbul selbst trugen dazu bei.

Augustynowicz C.2005: Tatarische Gesandtschaften am Kaiserhof des 17. Jahrhunderts. Protokoll und Alltag. Scheutz M. (Hg.): Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. München, 315–340. Spuler B. 1979: Kirim. Encyclopädie of Islam II. Leiden, 1037–1046.

(Meinolf Arens)

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