Obotriten

Obotriten (auch: Obodriten, Abodriten bzw. Abotriten, latein. Obotriti bzw. Abotriti).

Die O. waren ein westslawischer Stamm, der im Kern in der Gegend um Wismar lokalisiert werden muss – mit den Schwerpunkten Mecklenburg, Schwerin und Dobin. Östlich davon saßen die den O. zuzuordnenden Warnower, in Ost-Holstein mit Oldenburg und Lübeck sind als Teilstämme der O. die Wagrier, um Ratzeburg die Polaben und bis zur Elbe schließlich die Linonen anzusiedeln. Archäologische Funde weisen auf eine Einwanderung der Völker in diesen Raum im 7. oder späten 6. Jh. hin; historisch bezeugt sind sie erstmals im 8. Jh.

An der Spitze des Stammes stand ein Großfürst (dux, rex), dessen zentrale Gewalt erblich war, der aber nur eine lockere Oberherrschaft über eine Vielzahl kleinerer Fürsten (reguli, principes) gehabt haben dürfte. Deren Herrschaftsbereich ist nicht gleichzusetzen mit den einzelnen Teilstämmen der O., sondern vielmehr als westslawischer Kleinverband zu denken, vergleichbar etwa mit dem Lutizenbund. Anfangs standen die O. in engem Konnex zum Frankenreich. 794–99 kämpften die O. mit Karl d. Gr. gegen die mit den Liutici verbündeten Sachsen.

Aus der Beziehung zum Frankenreich lösten sich die O. seit der Mitte des 9. Jh., um mehr in den dänischen Einflussbereich zu geraten. Unter der Herrschaft der Ottonen kam es zu zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen mit den O. Nach der Niederlage vom 16.10.955 gegen Kaiser Otto I. folgten immer wieder Aufstände. Schließlich wurde das Gebiet der O. der neu entstandenen Billunger Mark zugeordnet, behielt aber seine Autonomie. 967 entstand im Zuge der ottonischen Politik das obotritische Missionsbistum Oldenburg, das dem Erzbistum Hamburg/Bremen unterstellt wurde. Das obotritische Herrscherhaus der Nakoniden, das von Mecklenburg aus über den Gesamtverband herrschte, nahm den christlichen Glauben an. 983, nachdem die O. am Slawenaufstand teilgenommen hatten, änderte sich die Situation. Christliche Kirchen wurden niedergebrannt, Bischöfe verjagt und die Nakoniden außer Landes vertrieben.

Unter dem Nakoniden Gottschalk wurden die O. zu einem, sich gegen das Prinzip der Teilstämme richtenden, zentral gelenkten Herrschaftsverband umgestaltet. Unter seiner Herrschaft erfolgte eine entschiedene Förderung des Christentums, der Aufbau einer Burgbezirksverfassung als wichtiges Instrument der Zentralherrschaft sowie die Gründung von Alt-Lübeck mit seinem zentral gelegenen Hafen. Gottschalks Sohn Heinrich führte diese Politik fort und erweiterte wie sein Vater den obotritischen Macht- und Einflussbereich nach Süden und Nordosten. 1123/24 drang er bis nach Rügen vor und konnte schließlich sogar den Titel eines Königs annehmen.

Sein Tod 1127 bedeutete jedoch das faktische Ende des Reiches, das 1131 geteilt wurde. Während die westlichen Teile an sächsische Territorialfürsten fielen, konnte sich der östliche Teil unter Fürst Niklot (1131–60) auch über die Zeit der Wendenkreuzzüge (1147) und die Eroberungszüge Heinrichs des Löwen (seit 1160) hinaus halten. Niklots Sohn Pribislav öffnete, nachdem sein Vater im Krieg gegen Dänen und Sachsen umgekommen war, das Land endgültig dem Christentum. 1171 stiftete er für die Zisterzienser das Kloster Doberan. Politisch orientierte er sich an Sachsen und dem Reich und wurde nach 1167 zu einem treuen Vasallen Heinrichs des Löwen. Unter Heinrich Borwin, dem Enkel Niklots, kamen dann die ersten deutschen Siedler ins Land, nachdem noch Pribislav die Region gegen deutschen Zuzug gesperrt hatte. Damit war die Wandlung dahingehend eingeleitet, dass aus dem alten Land der O. allmählich das deutsche Land Mecklenburg wurde. Obwohl die Slawen nicht vertrieben wurden und z. T. auch an Neugründungen beteiligt waren, war Mecklenburg im 13. Jh. überwiegend deutsch. Aus der Familie Niklots geht das Geschlecht der O., der Herzöge von Mecklenburg, hervor, die 1167 unter Pribislav Mecklenburg mit Ausnahme der neuen Grafschaft Schwerin als Lehen erhielten und dort bis 1918 regierten.

Hoffmann E. 1986: Sachsen, Abotriten und Dänen im westlichen Ostseeraum von der Mitte des 10. bis zur Mitte des 12. Jhs. Köln. Hoffmann E. 1998: Beiträge zur Geschichte der Obotriten zur Zeit der Nakoniden. Hübner E., Klug E., Kusber J. (Hg.): Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag. Stuttgart, 23-50 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 51).

(Beatrix Günnewig)

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