China (Beziehungen)
China (Russisch/Sowjetisch-chinesische Beziehungen)
Der Beginn der russisch-chinesischen Beziehungen fällt in die Mitte des 17. Jh., als – im Zuge der Kolonialisierung Sibiriens – russische Kosaken den Amur erreichten. Die indigenen Völker der Region standen zu der Zeit unter chinesischer Tributherrschaft. Für die russischen Herrscher waren nicht nur die für Landwirtschaft geeigneten Böden und Goldvorkommen des Amurbeckens, sondern auch die Aussicht auf lukrative Handelsbeziehungen mit Ch. verlockend. Im Grenzvertrag von Nerčinsk (1689) konnte Ch. zunächst als verhandlungsstärkere Seite seine Ansprüche auf die sibirischen Gebiete südlich des Jablon- (russ. Jablonovyj chrebet) und des Stangebirges (russ. Stanovoj chrebet) bis zur Mündung des Amurs in das Ochotskische Meer für anderthalb Jahrhunderte festschreiben. 1727 folgte indessen bereits der Vertrag von Kjachta, der die Einrichtung einer russisch-orthodoxen Mission in Peking zusagte und die Zollfreiheit russischer Waren regelte, die vorzugsweise gegen Tee, der anschließend nach Westeuropa transportiert wurde, eingetauscht wurden.
Die innenpolitische Schwäche Ch.s führte dann ab Mitte des 19. Jh. zu einem Wettlauf der Großmächte um wirtschaftliche Einflusssphären in Ostasien. Im Schatten der sog. Opiumkriege setzte das Zarenreich in den Verträgen von Aigun (Mai 1858), Tianjin (Juni 1858) und Peking (1860) die Annexion des Amurgebiets und eine wirtschaftliche Vormachtstellung in Ch.s nördlichen Provinzen Mongolei und Mandschurei durch. Nach dem chinesisch-japanischen Krieg von 1894/1895 erreichte Russland Konzessionen in der mandschurischen Montanindustrie sowie für den Bau der Ostchinesischen Eisenbahn. Den antikolonialistischen Boxeraufstand nahm Russland 1900 schließlich zum Anlass, die Mandschurei mit den eisfreien Häfen Port Arthur (heute chin. Lüshun) und Dalian zu besetzen. Die Besetzung löste den Russisch-Japanischen Krieg von 1904/1905 aus, der mit einer verheerenden russischen Niederlage endete. Die im Zusammenhang mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn ab den 1890er wachsende Zahl legaler chinesischer Wanderarbeiter in Sibirien erreichte bis zum Ersten Weltkrieg geschätzt ca. 250.000.
Nach der Oktoberrevolution schlug die 1911 gegründete Republik Ch. zunächst einen antisowjetischen Kurs ein. Die Ostchinesische Eisenbahnlinie wurde besetzt und russischen Kaufleuten in der Mandschurei, v. a. in Harbin, die Handelsprivilegien entzogen. Im Januar 1918 beteiligte sich Ch. an der alliierten Wirtschaftsblockade, indem es den Warenverkehr nach Sibirien einstellte. Chinesische Soldaten nahmen während des russischen Bürgerkrieges an der Besetzung von Wladiwostok, Chabarovsk und Transbaikalien teil. Es kam kurzzeitig zu einer massiven Rückwanderung chinesischer Wanderarbeiter. Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1924 gewann Ch. dann jedoch eine wichtige Bedeutung für die sowjetische Kominternpolitik in Ostasien, die maßgeblichen Einfluss auf die kommunistische Entwicklung Ch.s nahm. Allein 1925/1926 erhielt die chinesische Partei ›Guomindang‹ von der Komintern eine finanzielle Hilfe von 11 Mio. Rubel. In der Armee kamen sowjetische Militärberater zum Einsatz und auch die Parteistruktur orientierte sich nach sowjetischem Vorbild.
Während des japanisch-chinesischen Krieges 1937–45 festigten sich die Beziehungen der Sowjetunion zu Ch. kraft eines Nichtangriffspaktes und eines Handelsabkommens weiter. Stalin forderte die chinesischen Kommunisten auch zur Bildung einer Einheitsfront gegen Japan auf, das mit seinem Truppenaufgebot in der Mongolei und Mandschurei Sibirien bedrohte. Am 8.8.1945 trat die UdSSR schließlich in den Pazifischen Krieg ein und besetzte die Mandschurei. Kurz darauf unterzeichnete sie mit der chinesischen Nationalregierung einen „Freundschafts- und Beistandspakt“, der ihr den Zugriff auf die Ostchinesische Eisenbahn und die eisfreien Häfen sicherte und damit eine wirtschaftliche Vormachtstellung in der Mandschurei für 30 Jahre einräumte. Aufgrund dessen kam es zu einer Distanzierung der kommunistischen Parteien beider Länder. Mao Zedongs Sieg im chinesischen Bürgerkrieg im Oktober 1949 erfolgte ohne sowjetische Unterstützung. Nach der Zentralisierung der Wirtschaft nach sowjetischem Vorbild in den 50er Jahren setzte schließlich eine von der UdSSR unabhängige kommunistische Entwicklung des Landes ein. Nikita Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU vom 25.2.1956 und seine Kritik am Personenkult Stalins stellten nicht zuletzt eine Provokation für Mao dar, der zu der Zeit die ideologische Führungsrolle im Weltkommunismus für sich beanspruchte und die sowjetische These von der „friedlichen Koexistenz“ mit den kapitalistischen Staaten ablehnte. Der Bruch der Beziehungen zeichnete sich ab. Im Mai 1968 – während der „Kulturrevolution“ – forderte der chinesische Außenminister Chen Yi die Rückgabe der vom Zarenreich annektierten einst chinesischen Amurregion. Die Grenzzwischenfälle am Ussuri-Fluss vom 2. und 15.3.1969 markierten die ersten militärischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden kommunistischen Großmächten. Die 70er und frühen 80er Jahre waren daraufhin von der Annäherung Ch.s an die USA gekennzeichnet. Der sowjetisch-chinesische Handel sank von 2000 Mio. US-Dollar 1959 auf 45 Mio. US-Dollar 1976.
In Michail Gorbatschows außenpolitischem Konzept hatte die Entspannung mit Ch. dann eine pazifische Dimension. Die Ankündigung einer nuklearen Abrüstung richtete sich nicht allein an Ch., sondern auch an Japan, Südkorea und die USA. Der Handel nahm einen erneuten Aufschwung. Das sowjetisch-chinesische Handelsvolumen lag Ende der 80er Jahre bei fünf Mrd. US-Dollar. In der Innenpolitik gab es allerdings Differenzen. Gorbatschows Reformprozess in der Sowjetunion und die Entwicklung in Osteuropa wurde von der chinesischen Regierung abgelehnt. Der fortschreitenden Demokratisierung in der Sowjetunion stand die anhaltende kommunistische Einparteiendiktatur in der Volksrepublik Ch. gegenüber.
Nach einem Anstieg auf 750.000 in den Jahren 1991–93 leben derzeit geschätzt ca. 250.000 Chinesen in Sibirien und im Fernen Osten. Überwiegend handelt es sich um männliche Wanderarbeiter, die zu ihren Familien nach Ch. zurückkehren. Nach russischen Schätzungen belief sich der Handel mit Ch. (einschließlich des Grenzhandels) im Jahr 2000 auf ca. 20 Mrd. US-Dollar.
Chen V. 1966: Sino-Russian Relations in the Seventeenth Century. The Hague. Paine S. C. M. 1996: Imperial Rivals. China, Russia, and Their Disputed Frontier. Armonk, New York. Stolberg E.-M. 1997: Stalin und die chinesischen Kommunisten 1945–1953. Eine Studie zur Entstehungsgeschichte der sowjetisch-chinesischen Allianz vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Stuttgart (=Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 48). Wishnick E. 2001: Mending Fences: The Evolution of Moscow’s China Policy from Brezhnev to Yeltsin. Seattle.