Memel (Gebiet)

Memelgebiet (dt. hist., auch: Memelland, litau. Klaipėdos kraštas); Bezeichnung für den nordöstlich der Memel (litau. Nemunas) gelegenen Landstrich, der 1919 durch den Versailler Vertrag (Artikel 99) von der Provinz Ostpreußen des Deutschen Reiches abgetrennt und zunächst unter alliierte Verwaltung gestellt wurde, bis er 1924 einen autonomen Status erhielt. M., das sich als schmaler Keil am Unterlauf der Memel von Tilsit ausgehend bis nach Memel (litau. Klaipėda) erstreckte, umfasste rd. 2829 km² und wurde in der Zwischenkriegszeit von ca. 140.000 Menschen, Deutschen und Kleinlitauern, bewohnt. Als sich Ende 1922 abzeichnete, dass mit der Gründung eines Freistaates analog dem Danziger Beispiel zu rechnen war, lancierte die litauische Regierung einen „Aufstand“ im M. und ließ bewaffnete Freischärler nach Memel marschieren. Die Entente trat schließlich 1924 die Souveränität an Litauen ab, verankerte aber im sog. Memelstatut die Autonomie des Gebietes, mit einem demokratisch gewählten Landtag und den Amtssprachen Deutsch und Litauisch. Dieser Status ermöglichte in Folge die wachsende Einflussnahme des Deutschen Reiches, denn die Wahlen im M. führten regelmäßig zu einer klaren Mehrheit der „deutschen“ Parteien. Nach 1933 wurden nationalsozialistische Einflüsse immer bestimmender, bis schließlich im März 1939 das „Dritte Reich“ die Rückgabe des M. erzwang. Es zählt zu den historischen Paradoxa, dass sich ausgerechnet das nationalsozialistische Deutschland zum Bewahrer der Autonomie und Demokratie im M. aufschwang – und so machte der sog. Volkstumskampf in den 30er Jahren auch vor dem M. nicht halt. Sowohl litauische als auch deutsche Historiker sehen heute in der Autonomie eine historische Chance, die, weil beide Seiten nicht bereit waren, den Status quo zu akzeptieren, vergeben wurde; für die deutsche Seite galt die Devise „Heim ins Reich“, während die litauische Politik darauf abzielte, M. zu einem normalen Rayon des eigenen Staates zu machen. Anfang 1945 wurde das M. von der Sowjetarmee besetzt und am 7.4.1948 offiziell in die Litauische SSR eingegliedert. Die heutigen Verwaltungsgrenzen entsprechen nur teilweise denen des historischen M.

Žalys V. 1993: Ringen um Identität. Warum Litauen zwischen 1923 und 1939 im Memelgebiet keinen Erfolg hatte. Lüneburg.

(Joachim Tauber)


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