Chozrasčët
Chozrasčët (russ., eigentl. Chozjajstvennyj rasčët, „wirtschaftliche Rechnungsführung“)
Ch. war ein Instrument zur planmäßigen Leitung der Betriebe im sowjetischen Wirtschaftssystem wie auch in einigen anderen sozialistischen Volkswirtschaften. Ergänzend zur güterwirtschaftlichen Planung der volkswirtschaftlichen Prozesse sollte durch eine entsprechende Gestaltung der betrieblichen Finanzgrößen (Preise, Kosten, Gewinne, Kredite, Zinsen, Löhne und Prämien) gewährleistet werden, dass
1. die betrieblichen Ziele mit dem staatlichen Zentralplan übereinstimmten,
2. die den Betrieben zur Verfügung gestellten Mittel (Fonds) planmäßig verwendet wurden und
3. mit den Erlösen aus dem Absatz der Warenproduktion die Selbstkosten gedeckt und Gewinne erzielt wurden.
Dieser war nach zentral festgelegten Normativen an den Staat abzuführen sowie für geplante Investitionen und Prämienzahlungen an die Beschäftigten zu verwenden.
Ch. hatte somit im Rahmen der sozialistischen Ware-Geld-Beziehungen eine Mess-, Kontroll- und Stimulierungsfunktion: Anhand von Wertkennziffern wurden Aufwand und Ergebnis gemessen und hinsichtlich der Planerfüllung kontrolliert. Mittels Prämienzahlungen für die Erfüllung oder Übererfüllung bestimmter Leistungskennziffern (Nettoproduktion, Arbeitsproduktivität, Kostensenkung u. a.) sollten die Interessen der Beschäftigten materiell stimuliert werden.
Die politökonomische Einordnung und Funktionszuweisung von Ch. kann wie folgt beschrieben werden: In einer staatssozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft hat der „zentralistische“ stets Vorrang vor dem „demokratischen“ Aspekt. Die Betriebe sollten gegenüber den zentralen Planungsinstanzen nur über eine „relative ökonomische Selbständigkeit“ verfügen.
Die wirtschaftliche Rechnungsführung konnte nur in einem engen Zusammenwirken mit einem Vertragssystem wirksam werden. Dieses sollte den Leitern der Staatsbetriebe auferlegen, sowohl den Bezug der Produktionsmittel als auch den Absatz ihrer Produktion durch Verträge mit anderen Staatsbetrieben abzusichern. Solche Verträge waren aber a priori insofern ein rigides Instrument der zentralen Planung, da sie nur im Rahmen der zentralen Planaufgaben abgeschlossen werden durften.
Der Ch.-Prinzip wurde in der Sowjetunion erstmals in der NĖP-Periode angewandt und 1929 als Bestandteil des zentralwirtschaftlichen Systems eingeführt. Es fand nach Ende des Zweiten Weltkriegs auch in anderen sozialistischen Ländern Ostmittel- und Osteuropas Anwendung. In den 80er Jahren des 20. Jh. wirtschafteten in der Sowjetunion ca. 43 % der rd. 18.000 Produktionsbetriebe nach diesem Prinzip und verfügten somit über eine gewisse relative Selbständigkeit und Verantwortlichkeit („relative ökonomische Aussonderung“). Die übrigen sog. brutto-budgetierten Betriebe waren in die wirtschaftliche Rechnungsführung der übergeordneten Produktionsvereinigungen gänzlich eingebettet.
Nach dem Gesetz der UdSSR über den staatlichen Betrieb und die Produktionsvereinigungen von 1987, das im Sinne der 1985 eingeleiteten Perestroika-Politik eine größere Selbständigkeit der Betriebe vorsah, sollte das Ch.-Prinzip als sog. „vollständige wirtschaftliche Rechnungsführung“ durch die Prinzipien der Selbstfinanzierung und Selbstverwaltung erweitert werden, d. h. die Betriebe sollten über die Verwendung des erwirtschafteten Bruttogewinns selbstverantwortlich entscheiden können. Gleichwohl galten hierfür dennoch – gemäß der planmäßigen Leitung – administrativ festgelegte Normative, die den tatsächlichen Entscheidungsspielraum der Betriebe begrenzten. Erst mit dem Wegfall der zentralen Volkswirtschaftplanung ab 1991 wurde auch das Ch.-Prinzip de facto außer Kraft gesetzt.
Haffner F. 1978: Systemkonträre Beziehungen in der sowjetischen Planwirtschaft. Berlin.