Makedonier

Makedonier

Inhaltsverzeichnis

1 Definition

Die M. gehören zur ostsüdslawischen Völkerfamilie. Die Grenzen zwischen historischen Untergruppen wie Mijaci, Brsjaci und Šopi haben im Zuge der Verstädterung und Industrialisierung seit 1945 an Bedeutung verloren. Dagegen hat die neue Grenzziehung nach den Balkankriegen 1912/13 den Siedlungsraum der slawischen Bevölkerung der geographischen Region Makedonien auf mehrere Staaten aufgeteilt: den Norden Griechenlands (Ägäis-Makedonien), das Pirin-Gebirge im Westen Bulgariens (Pirin-Makedonien) und die Republik Makedonien, die bis zur Unabhängigkeit 1991/92 eine jugoslawische Teilrepublik war.

Anfang

2 Siedlungsgebiet

Der Siedlungsraum der M. ist eine in einem hohen Maße ethnisch gemischte Region. In der Republik Makedonien leben ca. 1,3 Mio. M. Nach der letzten Volkszählung 2002 stellen sie dort mit 64,18 % die Mehrheit der Bevölkerung. Im Westen und Nordwesten des Landes befinden sie sich jedoch häufig in einer Minderheitenposition gegenüber den Albanern, die 25,17 % der Bevölkerung des Landes ausmachen. Jeder zehnte Einwohner der Republik Makedonien zählt zu den Angehörigen der kleineren ethnischen Minderheiten wie Türken, Serben, Roma, Aromunen und Torbeši (slawische Muslime).

Im Norden Griechenlands kam es im Gefolge der Kriege (1912–22) zu einer grundlegenden Veränderung der ethnischen Verhältnisse. Seit dem auf der Lausanner Friedenskonferenz (23. 7.1923) zwischen der Türkei und Griechenland ausgehandelten Bevölkerungsaustausch besteht die Bevölkerung Nordgriechenlands ganz überwiegend aus ethnischen Griechen. Nur im Nordwesten Griechenlands, im Dreieck Flōrina/Edessa/Kastoria, lebt noch eine nennenswerte slawische Minderheit. Die Frage, wie groß die Zahl der slawischen Bewohner Nordwestgriechenlands ist, hat seit jeher die Statistiker in Griechenland, Bulgarien und seit 1944 auch in Makedonien beschäftigt. Die Schätzungen gehen dabei entsprechend der Interessenlage weit auseinander und reichen von 50.000 bis 200.000 Personen. Die Gründe für die unterschiedlichen Zahlenangaben hängen v. a. damit zusammen, welches Kriterium zur Bestimmung dieser Minderheit angewendet wird. Während in Griechenland die Religionszugehörigkeit als Basis für die Bestimmung der nationalen Identität genommen wird, bevorzugen Bulgaren und M. die Muttersprache. Die slawischsprachigen Anhänger des griechisch-orthodoxen Patriarchat werden deshalb im Unterschied zu den Angehörigen des bulgarischen Exarchats im einen Fall zu den Griechen, im anderen Fall zur slawischen Minderheit gerechnet, und zwar ungeachtet der nationalen oder ethnischen Selbstzuordnung der Mitglieder dieser Gruppe.

Emigrationswellen, u. a. als Folge des Abkommens zwischen Griechenland und Bulgarien über einen „freiwilligen Bevölkerungsaustausch“, das anlässlich des Friedensvertrages von Neuilly-sur-Seine 1919 unterzeichnet wurde, haben dazu geführt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Einwohner Bulgariens ihren Ursprung auf die slawische Bevölkerung Makedoniens zurückführt. Diese haben jedoch in aller Regel kein makedonisches sondern ein bulgarisches Nationalbewusstsein. Dies gilt auch für den größten Teil der christlich slawischen Bevölkerung Pirin-Makedoniens (bulgar./makedon. Pirinska Makedonija). Doch haben die freien Wahlen seit 1990 gezeigt, dass auch in Prin-Makedonien ein kleiner Teil der Bevölkerung nicht die offizielle bulgarische Nationalideologie teilt, wonach es sich bei den M.n um eine regionale Gruppe der bulgarischen Nation handelt. 8–10.000 Wähler haben durch die Wahl der Minderheitenpartei Obedineta makedonska organizacija „Ilinden“– PIRIN (OMO-Ilinden) ihr makedonisches Nationalbewusstsein zum Ausdruck gebracht.

Im Südwesten reicht das makedonische Siedlungsgebiet bis nach Albanien hinein. In den Dörfern am albanischen Westufer des Prespasees leben mehrere tausend M. Aufgrund der inneren Kolonisation in Jugoslawien nach 1945 gibt es auch einige tausend M. in der autonomen serbischen Provinz Vojvodina.

Als Folge des griechischen Bürgerkrieges sind mehrere zehntausend M. aus Nordgriechenland geflohen, die in Jugoslawien und im Bereich des gesamten Ostblocks angesiedelt wurden. Ein bedeutender Teil ihrer Nachkommen ist nach Australien ausgewandert. Dazu gesellte sich noch die ökonomische Emigration aus Nordgriechenland und seit den 1960er Jahren auch aus Jugoslawien, so dass heute eine große Gruppe M. aus Griechenland und dem ehemaligen Jugoslawien in Australien lebt. 40 % der Arbeiter in den größten Bauxitminen der Welt bei der westaustralischen Stadt Perth sind M. Als M. mit z. T. eigenen Symbolen („Stern von Vergina“) kämpfen sie um Anerkennung in der multikulturellen Gesellschaft Australiens.

Anfang

3 Geschichte und rechtliche Stellung

Mit der Gründung des Zweiten, sozialistischen und föderativen Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das jugoslawische Makedonien zu einer von sechs gleichberechtigten Republiken des Gesamtstaates. Damit ging eine forcierte Politik der Makedonisierung der Gesellschaft einher. Einen wichtigen Bestandteil dieser Politik bildeten Theorien über die Nationsbildung und Ethnogenese der makedonischen Nation, die nach der herrschenden Theorie mit der Einwanderung der Slawen in die Region im 6. und 7. Jh. begann. Von dem Prozess der Nationsbildung in der jugoslawischen Teilrepublik nicht unmittelbar betroffen, haben sich in dem Nationalismus der M. aus Nordgriechenland lokale Traditionen stärker erhalten und mit Elementen des griechischen Nationalismus vermischt. In Nordgriechenland und v. a. in der australischen Diaspora dominieren deshalb andere Geschichtserzählungen über die Ethnogenese. Im Unterschied zur offiziellen Nationalideologie werden dort die heutigen Bewohner Makedoniens als direkte Nachkommen der antiken M. aus der Zeit Alexander III. von Makedonien angesehen, während der slawische Charakter der M. bestritten wird.

Die historische Forschung steht diesen Legitimationstheorien, die von der Naturhaftigkeit der Nationenbildung ausgehen, jedoch kritisch gegenüber. Die Übertragung moderner Kategorien, wie Nation und Ethnie, auf die Zeit der slawischen Einwanderung macht wenig Sinn. Die Einführung des Kirchenslawischen durch die Slawen-Apostel aus Saloniki, Kyrillos und Methodios, im 9. Jh. war keine Maßnahme zur Festigung einer nationalen Identität. Die beiden Brüder, die dem ethnischen Ursprung nach vermutlich Griechen waren, wollten damit die religiöse Mission unter den Slawen bis hinauf nach Mähren erleichtern. Von dem 1767 von den Osmanen aufgelösten autokephalen orthodoxen Erzbistum im Kirchensprengel von Ohrid als makedonischer oder bulgarischer Nationalkirche zu sprechen, ist der historischen Realität nicht angemessen. Die christliche Bevölkerung in ihrem Einzugsbereich bestand aus Slawen, Griechen, Albanern und Aromunen und bis auf einen Bulgaren waren alle Erzbischöfe Griechen. Unter Demetrios Chomatenos (ca. 1216 – ca. 1236) fungierte es quasi als Patriarchat des epirotischen Reiches. Die Umgestaltung der orthodoxen Kirchen Südosteuropas zu Nationalkirchen ist ein Produkt des 19. Jh., während diese zuvor nach territorialen und nicht nach ethnischen Kriterien gegliedert waren. Bereits in byzantinischer Zeit hatte der geographische Begriff Makedonien einen Bedeutungswandel erfahren. Seit dem 9. Jh. bezeichnete ›Makedonia‹ eine Provinz im heutigen Thrakien, während das antike Makedonien eine Verwaltungseinheit (›thema Bulgaria‹) des Reiches bildete. Unter den Osmanen gerieten die Bezeichnung Makedonien und damit auch der Volksbegriff M. in Vergessenheit.

Die Entstehung nationaler Bewegungen unter der christlichen Bevölkerung Makedoniens ist eine Folge der in der Mitte des 19. Jh. entstandenen makedonischen Frage. Im Zusammenhang mit der europäischen Expansion in das Osmanische Reich und der Nationalstaatsbildung auf dem Balkan entwickelte sich eine scharfe Rivalität der neuen Nationalstaaten Bulgarien, Serbien und Griechenland um die zentralbalkanische Region. Gleichzeitig bildete sich mit der Einbeziehung der Balkanhalbinsel in das gemeineuropäische Wirtschaftssystem allmählich eine bürgerliche Gesellschaftsschicht unter den Christen Makedoniens. Wegen der blockierten Entwicklung im Osmanischen Reich fand die entstehende slawische Intelligenz weit eher in Russland oder den benachbarten Staaten eine Beschäftigung als im Dienst der Pforte. Zugleich führte die Reorganisation des osmanischen ›millet‹-Systems nach 1860 zu einer Aufwertung der Laien gegenüber dem Klerus in der Kirchenorganisation.

Anfang

Beeinflusst von der Aufklärung und dem Philhellenismus wurden in Westeuropa an der Wende vom 18. zum 19. Jh. wieder die antiken Begriffe gebräuchlich, um die geographischen Gegebenheiten der europäischen Türkei zu bezeichnen. Damit kam es auch zur Wiederverwendung des historischen Landschaftsnamen Makedonien. Händler und Studenten aus dem Balkan, die sich in den europäischen Zentren aufhielten, führten diese Begriffe seit dem Anfang des 19. Jh. in Südosteuropa ein. Damit setzte sich auch wieder M. als Volksbezeichnung auf dem Balkan durch. Lange Zeit wurde dieser Name in einer doppelten Bedeutung benutzt. Die Mehrheit der sich im ethnischen Sinne als Bulgaren fühlenden slawischen Intelligenz Makedoniens bezeichnete damit die slawischen Bewohner Makedoniens. Sowohl für die stark von panslawischen Gefühlen beeinflusste Generation, die sich in der Mitte des 19. Jh. gegen den dominieren griechischen Kultureinfluss wehrte, als auch für die Generation der Nationalrevolutionäre der 1892 gegründeten „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation” (bulg. Vătrešna Makedonska revoljucionna organizacija – VMRO), waren die M. eine regionale Gruppe der bulgarischen Nation. In diesem Sinne wird M. bis heute in Bulgarien gebraucht.

VMRO wollte durch Volksaufstände die Großmächte zur Intervention zu Gunsten der Christen Makedoniens bewegen. Deren Gründung war aber auch eine Reaktion auf die Unterdrückung des russophilen Lagers in Bulgarien nach der Wahl Ferdinand I. zum bulgarischen Fürsten (1887). Die Revolutionäre forderten eine Autonomie Makedoniens im Osmanischen Reich. Ursprünglich als Vorstufe zum Anschluss an Bulgarien gedacht, führten politische Konflikte mit Sofia und dem 1895 gegr. „Oberen Makedonischen Komitee“ (Vărhoven Makedonski Komitet) dazu, dass der linke Flügel der Organisation nun die Autonomie zum Ziel an sich erhob. Eine wichtige Rolle spielte dabei der starke sozialistische Einfluss, der eine Abkehr vom Panslawismus förderte und der seit 1902 zur Öffnung für andere Nationalitäten führte.

In diesem Zusammenhang wurde nun häufiger neben und parallel zu dem ethnischen Begriff der M. auch eine polyethnische Definition der M. benutzt, um damit alle Bewohner Makedoniens unabhängig von ihrer Nationalität zu bezeichnen. Insbesondere von den Sozialisten und von den Kommunisten wurde dieses Konzept einer „Politischen Nation Makedoniens“, bestehend aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen, bis in die Mitte der 1930er Jahre vertreten. Es wurde als Legitimationsgrundlage für die Forderung benutzt, dass Makedonien keinem der benachbarten Balkanstaaten angeschlossen werden sollte, sondern eine eigenständige Einheit in einer Balkanföderation bilden sollte. Die slawische Mehrheit der Bewohner Makedoniens betrachteten aber sowohl die linken Nationalrevolutionäre aus der osmanischen Zeit, wie Goce Delčev, Jane Sandanski und Dimo Hadžidimov, als auch die Kommunisten der 1920er und 1930er Jahre als Bulgaren.

Seit der Mitte des 19. Jh. gab es aber auch einzelne Stimmen, v. a. unter Emigranten, die die M. als eigenständige, von den anderen Balkannationen zu unterscheidende Nation ansahen. Dazu zählten u. a. Ǵorǵi Pulevski, die Zeitung ›Loza‹ (1892) und der Studentenverein ›Sveti Kliment‹ im russischen St. Petersburg. Krste Misirkov (1874–1926) betonte die Unterschiede der ökonomischen Interessen von M. und Bulgaren. Durch die Förderung einer makedonischen Sprache sollte sich eine makedonische Nation bilden. 1908 bezeichnete der serbische Geograph Jovan Cvijić auf einer ethnographischen Karte die Slawen Makedoniens zum ersten Mal als „Makedoslawen“. In ihnen sah er Slawen ohne Nationalbewusstsein in einer Übergangszone zwischen dem Bulgarischen und Serbischen. Damit sollte die serbische Expansion nach Süden gerechtfertigt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses Konzept von vielen Wissenschaftlern Westeuropas und in den USA übernommen. Obwohl damit die Herrschaft Jugoslawiens über Makedonien legitimiert werden sollte, wurden die slawischen Bewohner Makedoniens von Belgrad stattdessen als Südserben bezeichnet.

Anfang

Es waren die spezifischen Bedingungen im jugoslawischen Vardar-Makedonien der Zwischenkriegszeit, die die Grundlage für die Entwicklung einer eigenständigen makedonischen Nation legten. Unter der serbischen Herrschaft wurden die bulgarischen Schulen geschlossen. Serbisch bildete fortan die einzige offizielle Sprache in Schulen und in der öffentlichen Verwaltung. Gleichzeitig wurden die bisher ganz überwiegend zum bulgarischen Exarchat gehörenden Kirchenorganisationen in die 1920 gegründete Vereinigte Serbisch-Orthodoxe Kirche (Srpksa Pravoslavna Crkva) eingegliedert. Damit entfielen die beiden wichtigsten Transmissionsriemen, mit denen die Regierung in Sofia ihren politischen und nationalen Einfluss in Makedonien z. Z. des Osmanischen Reiches gesichert hatte.

Mit der im Januar 1929 errichteten Königsdiktatur in Jugoslawien ging zum ersten Mal der Versuch einher, eine systematische Entwicklungspolitik in den südlichen Landesteilen zu betreiben. Handel und Handwerk in den makedonischen Städten und Gemeinden hatte zudem in bescheidenem Maße von der Erholung der jugoslawischen Wirtschaft nach der weltweiten Depression seit 1935 profitiert. Anderseits hatte die politische Repression in Makedonien nicht nachgelassen, während die ganze jugoslawische Gesellschaft von politischen, nationalen und sozialen Krisen erschüttert wurde. Die politische Atmosphäre in Makedonien war deshalb stark durch das Anwachsen der vereinigten Opposition in Jugoslawien und ihrem Führer, dem Kroaten Vladimir Maček, geprägt. Dies trug wesentlich dazu bei, dass die kleine Schicht des lokalen Bürgertums, nicht mehr wie die nach dem Krieg in Bulgarien reorganisierte VMRO auf einen gewaltsamen Umsturz setzte, sondern seine Forderungen nun innerhalb das politischen Systems Jugoslawiens vortrug. Unter Autonomie oder einem „unabhängigen Makedonien“ wurde nicht mehr länger eine Abspaltung von Jugoslawien verstanden sondern ein Kampf für die nationalen Rechte der M. in einem föderativ geordneten Jugoslawien.

Seit der Mitte der 1930er Jahre gelang es deshalb der „Kommunistischen Partei Jugoslawiens“ (Komunistička partija Jugoslavije, KPJ) mit der Formel der eigenständigen makedonischen Nation eine kleine, aber hoch motivierte Gruppe der Gesellschaft an sich zu binden, die aus jungen Arbeitern, v. a. aber aus makedonischen Studenten an der Belgrader Universität bestand. Auf Initiative des Balkansekretariats der Komintern unter der Leitung des Polen Henryk Walecki hatte die Zeitung der kleinen prokommunistischen Abspaltung der „Inneren Makedonischen Revolutionären Organisation” (VMRO Obedinena) im April 1934 eine Resolution veröffentlicht, in der zum ersten Mal in einem Dokument der Komintern von einer makedonischen Nation die Rede war. Damit hatten sich die Kommunisten von dem bisher vertretenen Konzept der polyethnischen politischen Nation verabschiedet. Im Dezember desselben Jahres veröffentlicht Vasil Ivanovski, politischer Emigrant in der UdSSR und Mitglied der bulgarischen und russischen KP, in Bulgarisch einen programmatischen Artikel „Warum wir M. eine eigenständige Nation sind“, der in den Organen der Komintern in mehreren Sprachen, wie Deutsch, Englisch, Französisch und Griechisch publiziert wurde.

Anfang

1938 erschien in der “Großen Sowjetischen Enzyklopädie“ (Bolʹšaja Sovetskaja Ėnciklopedija) ein Artikel über die makedonische Nation und Sprache von dem sowjetischen Linguisten Samuil B. Bernštejn. Diese Definition der Nation der M. stand deutlich unter dem Einfluss des in den 1930er Jahren parteioffiziös gewordenen Nationenbegriff Stalins, der Sprache als eines der Merkmale einer Nation verstand. Hintergrund der Neuorientierung war die auf dem siebten Weltkongress der Komintern 1935 in Moskau beschlossene Volksfrontpolitik, die unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Gefahr den außenpolitischen Revisionismus Deutschlands bremsen sollte. Die KPJ begrüßte diese Kehrtwende in der makedonischen Frage, wurde damit doch der staatliche Status quo in Südosteuropa anders als bisher bestätigt, und Makedonien nicht mehr länger als Balkanfrage sondern innere Angelegenheit Jugoslawiens behandelt.

Im Partisanenkampf während des Zweiten Weltkrieges, als Jugoslawien von Deutschland erobert wurde und Makedonien in eine bulgarische und eine italienische Besatzungszone aufgeteilt wurde, wurde das Konzept der makedonischen Nation politisch wirkungsmächtig. Zunächst einmal waren die Bedingungen für einen Partisanenkampf in der bulgarischen Besatzungszone jedoch denkbar ungünstig. Nach eigenen Angaben der KP-Vertreter waren im Herbst 1942 erst 150–180 Partisanen in sechs Gruppen organisiert. Von einem Teil der Bevölkerung waren die Bulgaren als Befreier begrüßt worden und die bulgarische Besatzungsherrschaft war gegenüber der makedonischen Mehrheitsbevölkerung weit weniger repressiv als etwa die deutsche Besatzung gegenüber den Slowenen oder der kroatische Ustaša-Staat gegenüber den Serben. Erst die Ankunft des Montenegriners Svetozar Vukmanović-Tempo im Februar 1943 führte zu einer entscheidenden Wende. In Übertragung der bosnischen Erfahrung verlegte der Instrukteur des ZKs der KPJ die militärische Führung in eine abgelegene ländliche Region um die Stadt Kičevo in der italienischen Zone. Hier befanden sich die M. häufig in einer Minderheitenposition gegen über den Albanern, die die Zivilverwaltung unter den Italienern stellten und gemeinsam mit der Besatzungsmacht die slawische Bevölkerung verfolgten. Unter den Bedingungen des interethnischen Bürgerkrieges gelang, was bis dato in der bulgarischen Zone nicht geschafft wurde, mit Hilfe eines projugoslawischen makedonischen Nationalismus eine auf Bauern gestützte Partisanenarmee aufzubauen. Binnen eines halben Jahres wuchs die kleine Gruppe der Partisanen zu einer Streitkraft von ca. 5000 Mitgliedern. Grenzt sich die Nation der M. in der Ideologie v. a. von den Bulgaren ab, so erwies sich in der Praxis die makedonisch-albanische Rivalität als der entscheidende Motor der Nationsbildung. Auf dieser Basis kam es seit dem Frühjahr 1944 auch in der bulgarischen Besatzungszone zu einem massenhaften Zulauf zu den Partisanen.

Mit der Etablierung des zweiten, sozialistischen und föderativen Jugoslawiens nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die makedonische Nation zum ersten Mal eine staatliche Anerkennung als gleichberechtigte Nation in Jugoslawien. Alphabetisierung in der Ende 1944 kodifizierten makedonischen Sprache, Industrialisierung, Verstädterung und die sozialen Aufstiegsmöglichkeiten für M. im titoistischen Jugoslawien begünstigten die makedonische Nationsbildung. Heute ist nur noch ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung in der unabhängigen Republik Makedonien der Meinung, dass die M. keine eigenständige Nation mit einer weit zurückreichenden Geschichte sind.

Anfang

4 Gesellschaft und Kultur

Die ganz überwiegende Mehrheit der M. sind Christen der orthodoxen (byzantinischen) Konfession. In Bulgarien und Griechenland sind sie Mitglieder der dortigen Nationalkirchen. In Makedonien dagegen gehören sie zur 1967 autokephal erklärten „Makedonisch Orthodoxen Kirche“ (Makedonska pravoslavna Crkva). Diese wirkt auch in der Diaspora in Nordamerika, Westeuropa und Australien und betreut seit Ostern 1991 auch die makedonischen Gläubigen in Albanien. Die organisatorische Verselbständigung der makedonischen Kirchenorganisation reicht zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. 1943 hatten die Partisanen eine religiöse Kommission mit Veljo Mančevski, einem Priester und aktiven Partisanen, eingerichtet, um in ihrem Herrschaftsbereich das religiöse Leben zu kontrollieren. Ursprünglich war damit noch nicht die Absicht verbunden, eine eigenständige makedonische Kirche zu gründen. Vielmehr wollten die jugoslawischen Kommunisten die Gesamtstruktur der Orthodoxie entsprechend der staatlichen Ordnung föderal neu organisieren. Als diese Versuche an der antikommunistischen Hierarchie der serbischen Kirche scheiterten, förderte die Staatsmacht die Gründung einer autonomen makedonischen Kirche, was 1958 mit Billigung der „Serbischen Orthodoxen Kirche“(Srpksa Pravoslavna Crkva) geschah. Gegen den Widerstand der Serben erklärt sich diese 1967 für autokephal. Bisher hat noch keine andere orthodoxe Kirche die „Makedonisch Orthodoxen Kirche“ anerkannt.

Neben der vorherrschenden Orthodoxie gehörten noch jeweils kleine Gruppen von M.n von jeweils ca. 5000 Personen zur unierten katholischen Kirche mit byzantinischem, kirchenslawischem Ritus und zur methodistischen Kirche. Der prominenteste von ihnen war der 2004 bei einem Flugzeugunglück verstorbene frühere Präsident Boris Trajkovski (1999–2004), der methodistischer Prediger war. Sie wohnen v. a. im Südosten der Republik in den Gemeinden Gevgelija, Strumica und Bogdanci. Im 19. Jh. spielte die Drohung der Kirchenunion mit Rom eine wichtige Rolle im griechisch-bulgarischen Kirchenstreit um Makedonien, wurde damit doch die Forderung nach Ersetzung des Griechischen durch das Kirchenslawische als Liturgiesprache unterstrichen. Obwohl die Methodisten zur selben Zeit weit weniger Gläubige anzogen, spielte ihre Übersetzung der Bibel ins Bulgarische eine ähnliche Rolle.

Etwas komplizierte liegen die Dinge im Fall der ca. 80.000 M. muslimischen Glaubens (Torbeši und Gorani). Zwar gab es auch vor dem Abkommen von Ohrid (13.8.2001) keine privilegierte Stellung der Orthodoxen in der Verfassung. Aber die makedonische Nationaldoktrin ist stark von christlichen Elementen geprägt, so dass schon von daher die islamische Glaubensgemeinschaft kein vergleichbar enges Verhältnis wie die „Makedonisch Orthodoxen Kirche“ zu Staat und Nation unterhalten kann. Ohne größere Erfolge hat der Staat seit den 1970er Jahren Kampagnen zur Erweckung des makedonischen Nationalbewusstseins unter den zumeist ruralen islamisierten M. entfacht. Bedrängt von makedonischen und albanischen Nationalisten haben sich viele slawische Muslime insbesondere in der Umgebung von Skopje und in der westlichen Region an der Grenze zu Albanien um die Gemeinde Župa einfach zu Türken erklärt, während andere Gruppen auf ihr ethnisches Sonderbewusstsein als Torbeši und Gorani beharren. Verstärkt durch das Ohrider Abkommen erklären sich viele Torbeši auch zu Albanern.

Nicht zuletzt durch die erfolgreiche Alphabetisierung nach 1945 bedingt, hat sich die 1944 kodifizierte makedonische Standardsprache durchgesetzt. Während in Nordgriechenland lokale slawische Dialekte gesprochen werden, benutzt die Minderheitenpartei „OMO-Ilinden“ in Bulgarien in ihren Publikationen, die bulgarische Sprache und Schrift. Waren früher Russisch und Französisch, neben dem auch heute noch vielfach selbstverständlichen Serbisch, die wichtigsten Fremdsprachen, die gelernt wurden, so sind sie unter der jüngeren Generation mittlerweile vom Englischen verdrängt worden. Erst in jüngster Zeit gibt es allererste Ansätze auch Albanisch zu erlernen, das seit dem Abkommen von Ohrid in vieler Hinsicht zur zweiten Staatssprache geworden ist.

Die Modernisierung und Landflucht nach 1945 hat die Bedeutung vieler Traditionen schwinden lassen. So kann das traditionelle Mahl an den Gräbern zu den Jahrestagen des Todes der Verstorbenen in vielen ländlichen Regionen nicht mehr praktiziert werden. Aufgrund der hohen Migrationsrate kann nicht mehr die vorgeschriebene Anzahl an Teilnehmern erscheinen. Dagegen ist eine ursprünglich regionale Tradition zu einem in ganz Makedonien beachteten Ereignis geworden: die Hochzeit von Galičnik am 12.7., dem Tag des hl. St. Petrus. Aufgrund der hohen Rate von Gast- und Wanderarbeitern in der Region hatte sich diese Massenhochzeit zur Sommerzeit durchgesetzt.

Bernath M. 1970: Das mazedonische Problem in der Sicht der komparativen Nationalismusforschung. Südostforschungen 29, 237–248. Karakasidou A. N. 1997: Fields of Wheat, Hills of Blood. Passages to Nationhood in Greek Macedonia 1870–1990. Chicago. Szobries T. 1999: Sprachliche Aspekte des nation building in Mazedonien. Die kommunistische Presse in Vardar-Mazedonien (1940–1943). Stuttgart (= Studien zur modernen Geschichte 53). Troebst St. 2006: Das makedonische Jahrhundert. Von den Anfängen der nationalrevolutionären Bewegung bis zum Abkommen von Ohrid 1893–2001. München. Willemsen H. 2005: The Labour Movement and the National Question: The Communist Party of Yugoslavia in Macedonia in the Inter-War Period. Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 33, 99–121.

(Heinz Willemsen)

Anfang
Views
bmu:kk