Autokratie
Autokratie (russ. samoderžavie)
Der Begriff A. ist eine aus dem Griechischen abgeleitete Bezeichnung für die monarchische Regierungsform in Russland und bedeutet „Selbstherrschaft“. Im Gegensatz zum Titel des „Autokraten“ (›samoderžec‹) ist der Begriff der A. eine neuzeitliche Schöpfung, leitet sich jedoch von jenem Titel ab. Er wurde erstmals im Manifest zur Thronbesteigung der Zarin Anna Ivanovna 1730 verwandt. Historiker wenden die Bezeichnung als Herrschaftskonzeption aber auch auf das Moskauer Reich des 16. und 17. Jh. an. Daher muss zwischen dem historischen, quellengebundenen Begriff der A. bzw. des „Autokraten“ und jenem Konzept unterschieden werden, das als wiss. Erkenntniskategorie dient. Hier gibt es wesentliche Unterschiede.
Als theoretische Kategorie der Neuzeit wird die A. als eine Regierungsform verstanden, bei der Gott die gesamte staatliche Macht direkt in die Hände eines Menschen übergibt – in die des Großfürsten, Zaren oder Imperators –, der in der Ausübung seiner Macht von keiner anderen Person oder Institution beschränkt wird. Typologisch ist die A. vom Absolutismus zu unterscheiden, da der Absolutismus gemeinhin jene monarchische Regierungsform in West- und Mitteleuropa beschreibt, die vom Sieg des Fürsten über die Stände bestimmt wurde und deren Entstehen eng mit der Erfahrung der Konfessionskriege verbunden ist. Die russische A. hingegen wird von ihrer Entstehung im 15. Jh. an mit einem spezifisch sakralen Nimbus in Verbindung gebracht: Ihr kam als einzigem Staatswesen, das nach dem Fall von Konstantinopel noch mit der „Rechtgläubigkeit“ (Orthodoxie) verbunden war, eine heilsgeschichtliche, religiöse Bedeutung zu. Zusammen mit der Achtung vor dem historischen Recht (›starina‹) sowie jener vor der Erblegitimität des Herrschers ist in dieser religiösen Bindung zugleich der wichtigste Unterschied zur Despotie zu sehen. Die beiden einzigen Versuche, die A. vor dem 20. Jh. institutionell zu beschränken – die Wahlkapitulation der Bojaren für den polnischen Thronkandidaten da der Absolutismus gemeinhin jene monarchische Regierungsform in West- und Mitteleuropa beschreibt, die vom Sieg des Fürsten über die Stände bestimmt wurde und deren Entstehen eng mit der Erfahrung der Konfessionskriege verbunden ist. Die russische A. hingegen wird von ihrer Entstehung im 15. Jh. an mit einem spezifisch sakralen Nimbus in Verbindung gebracht: Ihr kam als einzigem Staatswesen, das nach dem Fall von Konstantinopel noch mit der „Rechtgläubigkeit“ (Orthodoxie) verbunden war, eine heilsgeschichtliche, religiöse Bedeutung zu. Zusammen mit der Achtung vor dem historischen Recht (›starina‹) sowie jener vor der Erblegitimität des Herrschers ist in dieser religiösen Bindung zugleich der wichtigste Unterschied zur Despotie zu sehen. Die beiden einzigen Versuche, die A. vor dem 20. Jh. institutionell zu beschränken – die Wahlkapitulation der Bojaren für den polnischen Thronkandidaten Władysław IV. Waza 1610 und für die Zarin Anna Ivanovna 1730 – scheiterten. Unter den führenden Schichten gab es ein zu großes Interesse daran, das besondere System des Interessensausgleich und der Macht- und Ehrverteilung in der russischen A. zu erhalten.
Der Einfluss westlichen Gedankenguts veränderte Ende des 17. Jh. die Gestalt der A. Sie schlüpfte gleichsam in das modernisierende Gewand des Absolutismus. Aus dieser v. a. sozialgeschichtlich bestimmten Sicht hat Hans-Joachim Torke eine Periodisierung vorgenommen, die nicht länger die russischen Staatsformen von über fünf Jahrhunderten unterschiedslos mit A. tituliert. Stattdessen schlägt er vor, von „reiner“ Autokratie nur für die frühe Zeit, ab Ende des 17. Jahrhunderts hingegen von verschiedenen Formen des Absolutismus im Russländischen Reich zu sprechen. Diese Periodisierung hat sich bislang jedoch nicht durchgesetzt. Dies liegt nicht nur an der Schwierigkeit, die westlich geprägte Semantik des Begriffes Absolutismus auf das Russländische Reich anzuwenden. Das größere Hindernis stellen die Begriffe der Quellen dar.
Die quellentheoretische Problematik beginnt damit, dass der im 15. Jh. aufkommende neue Würdentitel des „Autokraten“ für den Moskauer Großfürsten ausdrückte, fortan von fremden Mächten unabhängig zu sein, nicht jedoch die Bedeutung hatte, die Machtfülle des Herrschers nach innen zu charakterisieren. Aus diesem Grund sollte der Titel des Autokraten für den Großfürsten von Moskau auch nicht für die Zeit vor 1480, dem Ende der Tatarenherrschaft, verwandt werden. Konstant und universell wurde der Titel erst eingesetzt, als 1654 die linksufrige Ukraine durch das Abkommen von Perejaslav mit dem Moskauer Reich unter einem gemeinsamen Monarchen vereint wurde. Es galt, die Prärogative und Souveränität des russischen Zaren gegenüber einer Bevölkerung zu betonen, die zuvor einem in seiner Machtfülle stark eingeschränkten polnischen König unterstanden hatte.
Der theoretisch fruchtbare Vorschlag, wonach ab dem späten 18. Jh. aufgrund einer sich im Ansatz herausbildenden ständischen Gesellschaft der Begriff der A. gar nicht mehr verwandt werden solle, findet in der Sprache der Quellen keinen Rückhalt. Vielmehr gewinnt der Begriff der A. im 18. und v. a. im 19. Jh. den Status einer Staatsideologie. Selbst die faktischen Einschränkungen der nur theoretisch gegebenen Allmacht des Herrschers durch die zunehmende Bürokratisierung sowie erst recht durch die Grundgesetze von 1906 änderten nichts daran, dass dem Zaren weiterhin die autokratische Gewalt zugesprochen wurde. Die Biegsamkeit des A.-Begriffs in den Quellen lässt sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass die russische A. zwar praktisch geschaffen, ihr Aufbau aber im Gegensatz zum Absolutismus nicht programmatisch erfasst wurde und damit eine politisch-theoretische Diskussion weitgehend entfiel. Umstritten ist in der Forschung die Frage, in welchem Ausmaß genuin russische Wurzeln, Einflüsse aus Byzanz und solche aus der Tatarenherrschaft zur Ausbildung der russischen A. beigetragen haben.
Neubauer H. 1964: Car und Selbstherrscher. Beiträge zur Geschichte der Autokratie in Russland. Wiesbaden. Philipp W. 1970: Die gedankliche Begründung der Moskauer Autokratie bei ihrer Entstehung (1458–1522). Wiesbaden, 59–118 (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 15). Szeftel M. 1979: The Title of the Muscovite Monarch up to the End of the Seventeenth Century, Canadian American Slavic Studies 13, 1/2, 59–81. Torke H.-J. 1986: Autokratie und Absolutismus in Altrußland – Begriffsklärung und Periodisierung, Halbach U., Hecker H., Kappeler A. (Hg.): Geschichte Altrußlands in der Begriffswelt ihrer Quellen. Festschrift zum 70. Geburtstag von Günther Stökl. Stuttgart, 32–49 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 26).