Burgenland (Juden)

Burgenländisches Judentum

Seit dem 13. Jh. siedelten auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes jüdische Familien. Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus der Steiermark und Kärnten (1496) und aus ungarischen Städten nach 1526, fanden sie Zuflucht auf westungarischem – heute burgenländischem – Gebiet. Nach der Ausweisung aus Wien, Niederösterreich und Oberösterreich im 17. Jh. kam es zu einem weiteren Zuzug jüdischer Familien. Zu dieser Zeit entstanden unter dem Schutz der ungarischen Magnatenfamilie Esterházy die so genannten „Sieben-Gemeinden“ (hebr. Schewa Kehilloth), autonome jüdische Gemeinden, in deren adminstrativ-rechtlichen Verband die jüdische Gemeinde von Eisenstadt im Zentrum stand. Weitere drei jüdische Gemeinden gründeten sich im Süden des Burgenlandes unter dem Schutz der Magnatenfamilie Batthyány. Schutzbriefe der grundherrschaftlichen Familien sicherten den jüdischen Gemeinden gegen finanzielle Leistungen Autonomie in der Selbstverwaltung und protektionistische Wirtschaftsbereiche. In den jüdischen Gemeinden von Eisenstadt, Mattersburg und Deutschkreutz unterrichteten über die Grenzen hinweg bekannte Talmudhochschulen. Nach der formellen bürgerlichen Gleichstellung in Ungarn (Staatsgrundgesetz 1867) wurde den jüdischen Gemeinden von Eisenstadt und Mattersburg ein selbstständiges politisches Statut als Gemeinden zugestanden. Die politische Autonomie der jüdischen Gemeinde von Unterberg-Eisenstadt konnte bis 1938 erhalten werden.

Nach der Angliederung der deutschsprachigen Gebiete Westungarns als Bundesland Burgenland an Österreich (1921), schlossen sich die zehn burgenländischen jüdischen Gemeinden im Verband der ›Autonomen orthodoxen israelitischen Kultusgemeinden des Burgenlandes‹ zusammen. Die orthodoxen Gemeinden unter ihnen, die jüdischen Gemeinden im Süden des Burgenlandes waren dem Reformjudentum zuzurechnen, stellten eine Besonderheit in Österreich dar. In der Gemeinde Unterberg-Eisenstadt wurde das jüdische Viertel bis 1938 durch eine Kette symbolisch wegen der Sabbatruhe abgesperrt. In manchen Familien in den orthodoxen Gemeinden wurde ein Jiddisch burgenländischer Prägung gesprochen und Traditionen des orthodoxen Judentums fanden eine für das Burgenland typische Ausprägung. In den zwanziger Jahren des 20. Jh. begannen Traditionen der burgenländischen Orthodoxie in Teilen der jüdischen Bevölkerung an Wert zu verlieren und das geschlossene Bild orthodoxer Lebensführung im Burgenland veränderte sich und nahm neben der Orthodoxie auch Züge eines modernen Bürgertums an.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich am 12.3.1938 und den anschließenden Plünderungen, Demütigungen und Verhaftungen, wurden die burgenländischen Juden und Jüdinnen aus dem Burgenland unter Androhung der Deportation des Landes verwiesen. In einigen Fällen verschleppten NS-Behörden jüdische Familien über die Grenzen nach Ungarn und Jugoslawien. Der Fall jener auf einem Schleppkahn auf der Donau vier Monate lang auf Einreisevisa wartenden burgenländischen Juden und Jüdinnen ging durch die Weltpresse. Weitere Hauptzufluchtsländer waren die USA, England, Argentinien und Palästina. Nach Ungarn geflüchtete Familien waren 1944 neuerlich durch den Nationalsozialismus bedroht und wurden nach Auschwitz deportiert.

1857 lebten im Gebiet des heutigen Burgenlands ca. 8400 Personen jüdischer Religionszugehörigkeit, im Jahr 1934 waren es ca. 3600. Nach 1945 kehrten vereinzelte Familien zurück. Etwa 2500 burgenländische Jüdinnen und Juden wurden in den Vernichtungslagern der NS-Zeit ermordet. Das ›Österreichische Jüdische Museum‹, 1972 als erstes nach 1945 in Österreich eröffnet, befindet sich im ›Wertheimerhaus‹ im ehemaligen jüdischen Viertel von Eisenstadt.

Gold H. (Hg.) 1970: Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden des Burgenlandes. Tel Aviv. Lang A., Tobler B., Tschögl G. (Hg.) 2004: Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden und Jüdinnen. Wien. Reiss J. 2001: „...weil man uns die Heimatliebe ausgebläut hat.“ Ein Spaziergang durch die jüdische Geschichte Eisenstadts. Eisenstadt.

(Gert Tschögl)


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