Salonbolschewismus

Salonbolschewismus. Der Begriff S. (russ. salonnyj bolʹševizm) gehört zu den abwertenden Bezeichnungen (wie Salonkommunismus), welche den ideologischen Gegner als Sympathisanten einer kommunistischen Gesellschaftsordnung diffamieren. Er unterstellt, dass es sich dabei um ein reines Lippenbekenntnis handelt, das die realen Bedingungen dieser Gesellschaftsform ignoriert. Seinen Ursprung hat dieses Phänomen in der seit den 30er Jahren des 20. Jh. insbesondere in Westeuropa und den USA unter Intellektuellen verbreiteten Neigung, aufgrund idealistischer Annahmen und v. a. blind gegenüber den Opfern mit dem System der Sowjetunion zu sympathisieren; eine Haltung, die im sozialutopischen Denken des 19. Jh. wurzelt. Dabei kursierten der Begriff und seine Varianten in verschiedenen Kontexten, einerseits in eindeutig diffamierender Absicht im konservativen Milieu, andererseits aber auch unter russischen Emigranten als Ausdruck der Enttäuschung über das Unverständnis, das ihnen aus westlichen Intellektuellenkreisen entgegenschlug. Insbesondere die Schriftsteller, die nicht bereit waren, am „sozialen Experiment“ des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft teilzunehmen, und nicht müde wurden, gegen die sowjetische Zensur, die Repressionen und die Liquidierung von Autoren zu protestieren, empfanden diese Auffassung als entwürdigend, weil sie ihrer eigenen Erfahrung ein idealistisches Konstrukt entgegenstellte. In diesem Zusammenhang werden Namen wie George Bernard Shaw, Theodore Dreiser, André Gide und Thomas Mann genannt. Die Ernüchterung darüber ist bis heute in vielen Memoiren und literarischen Werken von nicht nur russischen Emigranten dokumentiert; hin und wieder taucht der Begriff auch in der aktuellen politischen Diskussion auf.

Karlinsky S. Appel Jr. A. (Ed.) 1973: The Bitter Air of Exile: Russian Writers in the West 1922-1972. Berkeley. Struve G. 1956: Russkaja literatura v izgnanii. New York.

(Ulrike Goldschweer)


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