Gutsherrschaft (Begriff)

Gutsherrschaft

Der Begriff der G. entfaltete sein volles Eigengewicht in der Wissenschaft erst mit der Formulierung des agrarischen Dualismus durch Georg Friedrich Knapp. Dieser nahm an, dass auf Grund der unterschiedlichen Besiedlungszeiträume in Altdeutschland die Grundherrschaft und in dem deutschen Kolonisationsgebiet die G. herrschen würde. Geographisch machte er die Trennung an dem Verlauf der Elbe fest und nannte dieses Gebiet dasjenige der ostelbischen G. Zwar wurde schon in der vorhergehenden Literatur häufig von G. gesprochen, wie z.B. im „Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten“ (1794), doch wurden keine Untersuchungen zum Verhältnis bezüglich anderer ländlicher Herrschaftsformen vorgenommen.

Bezüglich der geographischen Verortung läßt sich feststellen, daß der Begriff „ostelbische G.“ zu kurz greift. In Nordelbien läßt sich Schleswig und Holstein als G.sregion nachweisen, gleichfalls haben wir es westlich des Mittellaufes der Elbe in der Altmark mit einem Gebiet der G. zu tun, z. T. weitet sich dieses Gebiet bis ins Hannoversche Wendland aus. Im südlichen Ostelbien, auf dem Territorium des ehemaligen Kursachsen, finden wir hingegen die mitteldeutsche Grundherrschaft als maßgebende ländliche Besitzform vor. Doch auch außerhalb des derzeitigen deutschen Staatsgebietes lassen sich G.sregionen nachweisen, neben den baltischen Staaten auch in Polen, Böhmen, Ungarn und der Ukraine.

In der Hauptsache versteht man unter G. die in einer Hand des Landadligen vereinte Grund- und Gerichtsherrschaft über die Untertanen und den von diesen bewirtschafteten Boden. In seltenen Fällen finden wir jedoch auch Angehörige des bürgerlichen Standes oder selbst Kommunen im Besitz von G.en. Die Vereinigung dieser Herrschaftsrechte ermöglichte es den Gutsherren, ihre Wirtschaftsordnung maßgeblich für den Verkauf auf den Märkten zu organisieren. Für die untertänige Bevölkerung bedeutete dies, eine Beschneidung ihrer Freiheiten, verbunden mit Schollenbindung und ungemessenen Herrendiensten, streckenweise sogar der Einführung des Gesindezwangdienstes für die hörigen Kinder. Da sich die von der Herrschaft beanspruchten Rechte zeitlich und territorial stark unterschieden, ist es schwer möglich, verbindliche Verallgemeinerungen zu treffen. Selbst in Gebieten mit einer stark ausgeprägten G.sverfassung kam es streckenweise im 17. und 18. Jh. zur Ablösung der ungemessenen durch gemessene Herrendienste, z.T. konnten diese auch durch Geldzahlungen abgelöst werden. Dem Begriff der G. wird man nur gerecht werden, wenn er eingebettet in die ökonomischen, sozialen und kulturellen Umfelder verstanden wird. Die enorme Verdichtung von Herrschaftsrechten auf der einen Seite bedingte auf der Seite der Untertanen zwangsweise eine relativ große Abhängigkeit von der jeweiligen Herrschaft. Dieses Verhältnis darf aber nicht als ein ausschließlich bipolares verstanden werden. Das ländliche Leben kannte vielfältigste Formen von Abstufungen. Einfallsreichtum, Möglichkeiten des gegenseitigen Ausspielens – besonders dort, wo mehrere Herren Rechte an einem Dorf zu besitzen meinten- und wechselseitige Hilfestellungen vermochten den Hintersassen Freiräume zu schaffen, um sich den Anforderungen der G.en zu entziehen. Durch die Beachtung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Untertanen konnten die Gutsherren aber auch den Respekt und Formen der Anerkennung von Seiten der Untertanen erlangen. Die G. verwirklichte die in der frühneuzeitlichen Herrschaftsausprägung so oft in der Wissenschaftstheorie thematisierte Sozialdisziplinierung. Die Art und Weise der Ausprägung der G. hing wesentlich davon ab, wie sich ihre Vertreter möglichst vollständig die ökonomischen und öffentlich-rechtlichen Befugnisse sichern konnten. Hierzu zählte ebenso die Kontrolle des religiösen und moralischen Lebenswandels der Untertanen. Was die Polizeiordnungen auf Seite der Landesregierungen für den Territorialstaat durchzusetzen versuchten, das ahmten die Gutsherren mit ihren Haus- und Hofordnungen für ihre Herrschaftsbereiche nach. Besonders günstig erwies es sich hierbei, wenn der herrschaftliche Eigenbetrieb den Punkt bildete, um den sich die anderen Besitzungen konzentrisch anschlossen.

Zeitlich läßt sich die Entwicklung der Gutsherrschaft in drei Etappen gliedern. Am Anfang steht die Zeit von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg (1517-1648). Begünstigt durch die häufigen Geldverlegenheiten der Territorialfürsten und das Steuerbewilligungsrecht der Stände vermochte der Landadel den Landesherren zu weitgehenden Zugeständnissen bezüglich seiner Rechte gegenüber den Hintersassen zu bewegen. Wirtschaftlich profitierten sie von der einsetzenden Agrarkonjunktur. In der Zeit davor haben wir es nur mit unterschiedlich ausgeprägten Varianten der Grundherrschaft zu tun. Die zweite Phase reicht bis ca. in die Mitte des 18. Jh. Sie ist gekennzeichnet durch eine Ausweitung der gutsherrschaftlichen Zugriffsmöglichkeiten, bedingt durch die Notlagen in Folge des Endes des Dreißigjährigen Krieges und der gesunkenen Macht der Landesfürsten. Riesige wüstgefallene landwirtschaftliche Flächen konnten vom Landadel den Eigengütern einverleibt werden. Die dritte Etappe zieht sich bis zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit fort. Für Preußen, in dem oftmals das zentrale G.sgebiet gesehen wird, ist die Bauernbefreiung untertrennbar mit den Stein-Hardenbergschen Reformen in den Jahren zwischen 1807-15 verbunden.

Kaak H. 1991: Die Gutsherrschaft. Theoriegeschichtliche Untersuchungen zum Agrarwesen im ostelbischen Raum. Berlin (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 79). Peters J. (Hg.) 1997: Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich. Berlin. Peters J. (Hg.) 1995: Gutsherrschaft als soziales Modell. Historische Zeitschrift, Beihefte (Neue Folge) 18. München.

(Eberhard Borrmann)

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