Triest (Stadt)

Triest (ital. Trieste, ladin. Trièst, slowen. Trst).

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

Die Hafenstadt liegt im nordöstlichen Italien, am Golf von T., zwischen der Adria und dem Karst, unmittelbar an der Grenze zu Slowenien und hat 205.363 Einwohner (2006). T. hat eine Fläche von ca. 84,5 km² und erstreckt sich entlang einer halbkreisförmigen Bucht, zum Karsthinterland hin ansteigend. Charakteristisch für das Klima der Stadt ist die Bora, ein heftiger Nordost- oder Ostwind, der mitunter schwere Schäden anrichtet. Die mittlere Temperatur im Januar beträgt 5,1 °C, im Juli 24,0 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge erreicht 1045 mm. T. ist die Hauptstadt der Provinz T. und der Region Friaul-Julisch Venetien. Die Stadt ist Sitz bedeutender Schifffahrtslinien (›Lloyd Triestino‹), einer Universität (seit 1924), eines astronomischen (1851) und eines geophysikalischen (1817) Observatoriums.

Rathaus
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt zählen das Altstadtviertel und ehemalige Getto Cavana mit einer der größten Synagogen Europas, zahlreiche weitere Kirchen verschiedener Konfessionen (u. a. Santa Maria Maggiore – katholisch und San Spiridone – serbisch-orthodox), Museen und Palazzi im klassizistischen Stil des 19. Jh. v. a. am ›Canal Grande‹ (z. B. Palazzo Carciotti), Kaffeehäuser und bedeutende Bauten des Jugendstils und weiterhin das über der Stadt liegende Kastell und die Kathedrale von San Giusto und nicht zuletzt die lange Hafenpromenade (Lungomare). Darüber hinaus sehenswert sind der hochgelegene Villenvorort Villa Opicina (dt. hist. Optschenegg, slowen. Opčine), zu dem seit 1902 eine Zahnradbahn (die erste der Habsburgermonarchie) führt und das unweit T.s liegende Habsburgerschloss Miramare (1856–60 durch Erzherzog Maximilian, dem späteren Kaiser von Mexiko erbaut). Beliebte Ausflugsziele sind neben dem Karst (Carso Triestino) die Strände der T.er Riviera. Die T.er Küstenstraße zählt die ›World Tourism Organisation‹ (WTO) zu den 20 schönsten Straßen der Welt.

2 Kulturgeschichte

Die ersten befestigten Ringdörfer (Castellieri) in den Karsthügeln um T. gehen auf das Neolithikum (ca. 1500 v. Chr.) zurück. Wahrscheinlich nutzten die Römer eine dieser Befestigungen, um auf dem heutigen Territorium von T. Tergeste zu gründen (52 v. Chr.).

539 fiel die Stadt an Byzanz, 788 an das Fränkische Reich Karls des Großen, 1295 wurde sie freie Kommune; das erste Statut datiert auf 1318. Um dem Zugriff der aufstrebenden Seerepublik Venedigs zu entgehen, näherte sich T. in der Folge dem Habsburgerreich an: 1382 unterstellte sich die Stadt Herzog Leopold III. von Österreich, der T. eine rechtssprechende Souveränität bestätigte. Die Zahl der Einwohner am Ausgang des Mittelalters betrug etwa 9000 (1436). T. blieb mit kurzen Unterbrechungen durch französische Besetzungen (1797, 1805 und 1809–13 als Bestandteil der „Illyrischen Provinzen“, ›Provinces Illyriennes‹) bis 1918 bei Österreich (verwaltungstechnisch gehörte es von 1815–48 zum ›Königreich Illyrien‹, 1867 schließlich wurde T. eigenes Kronland und bildete im Verbund mit Görz und Istrien das Küstenland. T. war Sitz des kaiserlichen Statthalters für das Küstenland). Seit dem 17. Jh. wuchs die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt durch eine Reihe staatlicher Maßnahmen, die es T. ermöglichten, die venezianische Monopolstellung im Adriahandel zu brechen.

1719 wurde T. Freihafen, 1729 wurde die „T.er Messe“ (= Vorgängerin der seit 1948 bestehenden „Internationalen Mustermesse“) ins Leben gerufen, 1766 die gesamte Stadt und ihr Territorium zur Freihandelszone erklärt (die bis 1891 bestand). Im Zuge dieser Entwicklung kamen, insbesondere infolge des Toleranzedikts Joseph II. von 1781 v. a. jüdische, protestantische, griechische, armenische und balkanische international bedeutende Vertreter des Handels und der Banken nach T., deren Herkunftsorte von der Ägäis und Nordafrika bis zu den kontinentalen Zentren wie Frankfurt und Amsterdam reichten. Anfang des 19. Jh. hatten alle großen Handelshäuser Nordeuropas und der Levante in T. eine Filiale oder schickten sich an, eine zu eröffnen, und hier war der Umschlagplatz für die östlich gelegenen Märkte, v. a. für Gewürze, Getreide und Baumwolle. 1786 zählte T. ungefähr 15.000 Einwohner.

Canal Grande
Ein weitreichendes Städtebauprogramm gab T. sein heutiges Gesicht. Mit der Errichtung des ›Canal Grande‹ (1754) wurden die Waren mitten in der Stadt umgeschlagen. Es entstanden die Börse (1755) und die großen Versicherungsgesellschaften (1831 ›Assicurazioni Generali‹, 1838 ›Riunione Adriatica di Sicurtà‹). Die Gründung des ›Österreichischen Lloyd‹ (1836), die Eröffnung der Eisenbahnlinie T.–Wien (1857) und des Suezkanals (1869) gaben weitere wichtige wirtschaftliche Impulse und ließen die Stadt zwischen 1850 und 1900 von 55.095 auf 132.190 Einwohner anwachsen. Zwischen 1901 und 1913 wurde der Hafen ausgebaut. T. avancierte zur bedeutendsten Industriestadt und zum führenden Hafen des Habsburgerreiches. 1910 zählte man in T. und Territorium 229.510 Einwohner, von denen 51,8 % Italiener, 25,9 % Slowenen, 16 % sog. „Staatsfremde“, wovon wiederum mehr als drei Viertel Reichsitaliener waren, 5% Deutsche, sowie 1,2 % „Sonstige“ (Kroaten, Serben, Griechen etc.).

Der jüdische Anteil an der städtischen Bevölkerung betrug knapp 3 % (etwa 5000), die insbesondere vor der Aufhebung des Freihafens 1891 in die Stadt gekommen waren. Noch 20 Jahre später, in der Volkszählung von 1910, gaben nur wenig mehr als die Hälfte aller jüdischen Bürger italienisch als ihre Umgangssprache an. Gleichwohl diente das Italienische nicht nur in seiner ökonomischen Funktion als Lingua franca des öffentlichen Lebens als Scharnier unter den Juden verschiedener Herkunft, sondern förderte auch ihre Integration in die städtische Gemeinschaft.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde T. im Vertrag von St. Germain-en-Laye Italien zugesprochen. Die Konkurrenz der benachbarten italienischen Häfen in Fiume (heute Rijeka) und in Venedig, die zentraleren Häfen in Livorno, Genua oder Bari sowie die durchbrochene Verkehrsanbindung an das Hinterland brachten T. große wirtschaftliche Nachteile. Der Faschismus organisierte sich hier im ethnisch-gemischten Gebiet rasch. Der T.er „Kampfbund“ (›Fascio di Combattimento‹) wurde bis 1921 zur größten faschistischen Organisation in Italien (18 % aller Mitglieder, 14.756 Personen). Die Zwischenkriegsjahre waren durch eine rigorose Italianisierungspolitik gegenüber der slawischen Bevölkerung gekennzeichnet.

Im Zweiten Weltkrieg wurde T. von September 1943 bis Mai 1945 Teil der deutsch besetzten ›Operationszone Adriatisches Küstenland‹ unter dem Kommando des Gauleiters Friedrich Rainer und des Höheren SS- und Polizeiführers Odilo Globočnik. In einem Vorort von T. richteten die Besatzer das einzige Konzentrationslager (›Risiera di San Sabba‹) auf italienischem Boden ein, in dem 3000–5000 Juden und Partisanen ermordet wurden. Am 1.5.1945 befreiten militärische Einheiten des mit den Alliierten verbündeten jugoslawischen Partisanenführers Josip Broz Tito T., einen Tag vor dem Eintreffen britischer und amerikanischer Kräfte. Da sowohl Italien als auch Jugoslawien Anspruch auf T. erhoben, schufen die Allierten einen in zwei Zonen geteilten entmilitarisierten Freistaat T. 1954 kam im Londoner Abkommen die nördliche Zone an Italien, die südliche an Jugoslawien. Erst im Abkommen von Osimo (10.11.1975) anerkannte Italien die (heute italienisch-slowenische) Grenze als endgültig (T.er Frage).

In den 1960er Jahren gelang T. ein neuerlicher wirtschaftlicher Aufschwung. Mit der Errichtung der Ölpipelines nach Ingolstadt (1966) und Wien (1968) entwickelte sich T. zu einem bedeutenden Industriehafen. In der Bucht von Zaule (slowen. Žavlje) unweit T. entstanden Erdölraffinieren, Tanklager, Eisen-, Stahl-, und Zementwerke. T. ist weiterhin dank steuerlicher Konzessionen ein Zentrum des italienischen Finanz- und Versicherungswesen.

E. Apih 1988: Trieste. Bari.

(Sabine Rutar)


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