Olʹga

Olʹga (russ., ukrain. Olha, altnord. Helga, Taufname russ. Elena) *ca. 890/94 Pskov ?, †969 Kiew. Regentin der Rus 945–962.

Der „Erzählung von den vergangenen Jahren“ (altkirchenslaw. Pověstʹ vrěmennych lět, auch: Nestorchronik) zufolge stammte O. aus einer slawischen Fürstenfamilie. Ihr nordischer Name deutet aber auf enge Beziehungen zu den Warägern hin. 903 wurde sie Igorʹ, angeblich ein Sohn des legendären Rjurik, zur Frau gegeben. Igorʹ, seit 912 Fürst von Kiew, kam 945/46 beim Versuch, den „Drewljanen“ einen überhöhten Tribut abzupressen, ums Leben. O. übernahm nun für ihren erst kurz zuvor geborenen Sohn Svjatoslav die Regentschaft. Zu ihren ersten Maßnahmen gehörten ein grausamer Rachefeldzug gegen die „Drewljanen“, deren Hauptburg Iskorostenʹ (heute ukrain. Korostenʹ) zerstört wurde, und eine grundlegende Änderung des Verfahrens für das Eintreiben von Tributen. Anstelle der bisherigen „Rundreisen“, (russ. poljudʹe) – von befestigten Orten ausgehende Beutezüge des Fürsten in das Umland zur willkürlichen Abgabenerhebung – richtete O. Tributbezirke (altruss. pogosti) ein, in denen die unterworfenen Stämme Steuern in festgesetzter Höhe an fürstliche Bevollmächtigte zu entrichten hatten. Dies bedeutete einen wichtigen Schritt hin zu einer territorialen Herrschaft. O. nahm als erste Herrscherin der Rus das Christentum an. Unklar ist, ob dies bereits 955 in Kiew oder erst zwei Jahre später während ihrer Reise nach Byzanz erfolgte. O.s Taufe führte noch nicht zur Christianisierung der Rus. Zwar befanden sich schon zuvor einige Christen in ihrer Gefolgschaft, ihr Sohn Svjatoslav blieb aber den angestammten Gottheiten treu. O.s Schritt war v. a. politisch motiviert: Mit ihrer Byzanzreise wollte sie die ungünstigen Bedingungen des Handelsvertrages von 944 verbessern. Diese Bemühungen scheiterten. Um politisch und kirchlich einen größeren Spielraum gegenüber Byzanz zu erhalten, schickte sie 959 eine Gesandtschaft zu Otto d. Gr. (936–973) und bat ihn um Entsendung von Priestern und einen Bischof. Adalbert von Trier (†981), später Erzbischof von Magdeburg, traf jedoch erst Ende 961 in Kiew ein, als Svjatoslav bereits die Regierung übernommen hatte, so dass sein Aufenthalt ohne Folgen blieb. O. war die erste weibliche Herrscherin der Rus – erst Ende des 17. Jh. sollte mit Sofʹja Alekseevna (1682–89) eine weitere Regentin folgen. Aufgrund ihrer weitblickenden Politik gehört sie zu den bedeutendsten Herrschergestalten der Rus. Seit dem 12. Jh. wird O. in der russischen Kirche als Heilige verehrt (11. Juli).

Tschižewskij D. (Hg.) 1969: Die Nestor-Chronik. Wiesbaden, 45–66 (= Slavistische Studienbücher VI); Rüss H. 1981: Das Reich von Kiev. Hellmann M. (Hg.): Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. I.1. Stuttgart, 292–294.

(Wolfram von Scheliha)


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