Kreuzfahrerstaaten

Kreuzfahrerstaaten

Als K. bezeichnet man jene Staatswesen, die von Kreuzfahrern nach abendländischem Vorbild in den von ihnen eroberten Gebieten gegründet wurden. Beginnend mit dem Ersten Kreuzzug, entstanden zunächst die Grafschaft Edessa (1098–1159; Fall der Hauptstadt 1144) das Fürstentum Antiochia (1098–1287; Fall der Hauptstadt 1268), das Königreich Jerusalem (1099/1100–1291) sowie die Grafschaft Tripolis (1109–1289). Der Dritte Kreuzzug führte zur Gründung des Königreichs Zypern (1192/97–1489). Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer entstanden das lateinische Kaiserreich Konstantinopel (1204–61), das Königreich Thessaloniki (1204–24), das Fürstentum Achaia (1205–1432), das Herzogtum Athen (1204/80–1456), die Herrschaft Negroponte (1205–1390) und das Herzogtum des Archipel (1207–1566).

Die K. waren nach abendländischem Modell lehnsrechtlich organisiert. Dabei war der König in Jerusalem der Oberherr über die Grafschaften Edessa und Tripolis, während das Fürstentum Antiochia lose dem Papst unterstand. Die durch den Vertrag von Deabolis (alban. Devol) 1108 erfolgte lehnsrechtliche Unterstellung des Fürstentums unter den byzantinischen Kaiser konnte von diesem und seinen Nachfolgern nicht dauerhaft durchgesetzt werden. Das Königreich Zypern unterstand ab 1197 direkt dem Römischen Kaiser. Dem lateinischen Kaiserreich Konstantinopel war das Königreich Thessaloniki, das Fürstentum Achaia sowie das Herzogtum des Archipel untergeordnet. Negroponte und das Herzogtum Athen unterstanden zunächst dem Königreich Thessaloniki, dann dem Fürstentum Achaia bzw. Venedig. Im Vertrag von Viterbo (1267) kam die Oberherrschaft über das Fürstentum Achaia und die anderen K. in der Romania an die Dynastie der Anjou (Neapel). Auch nach innen waren die Staaten nach feudalen Gesichtspunkten eingerichtet, wozu mit Sicherheit der zwangsläufig militärische Charakter dieser ständig von außen bedrohten Herrschaften beitrug.

Trotz aller Bemühungen hatten die K. mit starkem Personalmangel zu kämpfen, da viele Kreuzfahrer ihr Erbe in der Heimat einer unsicheren Existenz in den K. vorzogen. Der Großteil der Bevölkerung bestand aus lokalen Christen und Muslimen. Im Fürstentum Achaia waren die byzantinischen Grundbesitzer als Archonten den französischen Rittern lehensrechtlich gleichgestellt. Dem König von Jerusalem stand ein adeliger Kronrat (Haute Cour) gegenüber, der auch Recht sprechen konnte. Der Kronrat im Kaiserreich Konstantinopel setzte sich aus dem venezianischen ›Podestá‹ (Statthalter) und seinem Rat, dem lateinischen Patriarchen sowie dem Rat der Vasallen zusammen. Das Gewohnheitsrecht der K. ist für die palästinensischen K. und das Königreich Zypern in den ›Assises du royaume de Jérusalem‹ (Mitte 13. Jh.) und für die griechischen K. in den ›Assises de Romanie‹ (Mitte 14. Jh.) kodifiziert.

Eine bedeutende Rolle spielten die Ritterorden. Der ca. 1118 entstandene Templerorden konnte sich allmählich eine fast gänzlich unabhängige Stellung innerhalb der Kirchenhierarchie verschaffen und unterstand direkt dem Papst. Dasselbe galt für die ca. 1070 gegründeten Johanniter und den Deutschen Orden. Die Ritterorden unterhielten praktisch als einzige Macht ein stehendes Heer im lateinischen Osten, bildeten dabei aber aufgrund ihrer Privilegien einen Staat im Staat. Nach dem Ende des Königreichs Jerusalem 1291 konnten die Johanniter Rhodos erobern und dort eine eigene Herrschaft errichten (1307–1522/23), die Templer wurden 1312 aufgelöst. Da die K. über keine eigenen Seestreitkräfte verfügten, erhielten Genua, Pisa und Venedig als Gegenleistung für militärische Unterstützung weitreichende Handelsprivilegien. Dabei war das Hauptquartier der Venezianer Tyrus, das der Genuesen und Pisaner Akkon (hebr. ‘Akko).

Im Vierten Kreuzzug (1202–04) konnte sich Venedig drei Achtel der eroberten Gebiete und damit die zentrale Rolle im Handel mit den K. in der ›Romania‹ sichern. Nach der Eroberung durch die Kreuzfahrer wurden in Jerusalem, Antiochia und Konstantinopel jeweils lateinische Patriarchen an die Spitze der Kirchenhierarchie gewählt. Sie waren der Herrschaft des Papstes unterworfen und fest in das römische System eingegliedert. In den K. der ›Romania‹ wurde der Großteil der byzantinischen Hierarchen durch lateinische ersetzt, während die unteren Ränge der Geistlichkeit unverändert blieben. Sie mussten statt des Zehnten nur ein Dreißigstel ihrer Einnahmen abgeben. In sämtlichen K. etablierten sich abendländische Mönchsorden. Kunst und Kultur folgten in den K. weitgehend französischen Vorbildern.

Mayer H. E. (2000): Geschichte der Kreuzzüge. Stuttgart. Setton K. (Hg.) 1955–1989: A History of the Crusades. Madison. Runciman S. 2001: Geschichte der Kreuzzüge. München.

(Lisa Mayerhofer)

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