Griechische Sprache (Diglossie und Verbreitung)

Griechische Sprache. Diglossie und Verbreitung: ein kulturgeschichtlicher Abriss

Die Hauptschwierigkeit, den kulturgeschichtlichen Abriss einer Sprache zu zeichnen, liegt v. a. in der Widersprüchlichkeit, sich mit der Sprache als Kulturträger, aber nicht mit den einzelnen Kulturformen zu befassen. Im Falle des G.en beinhaltet eine außerlinguistische Auseinandersetzung mit der Sprache zwei Punkte: erstens, dass die Griechen sehr früh, bereits in der Antike, eine eigentümliche Identitäts- und Selbstwertproblematik auf die Sprache projizierten, die bald zu einer Divergenz zwischen gesprochener und geschriebener Sprache und dann zur Herausbildung zweier Sprachvarianten führte; ein Phänomen, das unter dem Begriff „Diglossie“ bekannt geworden ist. Zweitens, dass das G.e, sei es als Kulturgut, sei es als Sprachinstrument, im größten Teil seiner Geschichte weit über seine üblichen Sprachgrenzen hinausging, so dass sein Einfluss auf andere Sprachen und seine Rezeption von anderen Sprach- und Kulturgemeinden ein kulturgeschichtliches Kapitel darstellt. Der nachfolgende Abriss will versuchen, diesen zwei Punkten gerecht zu werden. Allerdings macht die Größe und die Vielschichtigkeit gerade des zweiten Punktes einen solchen Abriss zwangsläufig entweder sehr allgemein oder mangelhaft.

Inhaltsverzeichnis

1 Sprachtradition, Diglossie und Identität

Die Niederlage Athens (und seiner Verbündeten) 338 bei Chairōneia gegen Philipp II. von Makedonien hatte weit weniger Konsequenzen für die Stadt als etwa 65 Jahre zuvor jene gegen Sparta. Athen musste diesmal weder seine langen Mauern niederreißen noch ein Besatzungsregime erdulden. Dass in der Folgezeit das athenische „Reich“ schlagartig in eine machtpolitische Bedeutungslosigkeit versank, hat mit dieser Niederlage und der „Weltherrschaft“ der Makedonen wohl überhaupt nichts zu tun.

Mehrere Jahrhunderte später, in der Zeit des Klassizismus, griff man allerdings eben dieses Ereignis wieder auf und postulierte eine Zäsur in der griechischen Geschichte und Kultur. Danach habe Athen und somit auch das restliche Griechenland seine politische Freiheit in Chairōneia verloren und unter Fremdherrschaft mit den sich daraus ergebenden machtpolitischen Folgen leben müssen. Das von dem Klassizismus für 338 postulierte Ende des klassischen Griechentums hing allerdings mit einer in der Zeit des Attizismus (Ende des 2. Jh. v. Chr.) und der sog. Zweiten Sophistik (zwischen dem 1. und 3. Jh. n. Chr.) allgemeinen Vorstellung zusammen, dass die eigentliche (sprich klassische) griechische Kultur etwa mit der Zeit von Demosthenes geendet habe. Danach habe für die Griechen eine Zeit der politischen und kulturellen Dekadenz eingesetzt. Diese Vorstellung formulierte man zwischen der Renaissance und dem 19. Jh. entsprechend um, so dass das „Danach“ (also die Zeit nach dem eigentlichen Griechentum, welches so die Zeit zwischen Homer und Demosthenes umfasste) auch die Byzantiner und die modernen Griechen mit einschloss. Es ist überaus aufschlussreich, diesen außergewöhnlichen Lauf näher zu verfolgen und zu sehen, welche Rolle die Sprache in dieser ganzen Problematik einnahm und inwiefern sie sie auch beeinflusste bzw. von ihr beeinflusst worden ist.

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Der Umstand, dass Alexander der Große das Attische (in einer schlichten Version) zur offiziellen Sprache seines Reiches deklarierte, hatte zur Folge, dass die Regionen, in denen sich das makedonische Reich etwa in den darauffolgenden zwei bis drei Jahrhunderten erstreckte, d. h. vom nördlichen Kleinasien und Ägypten bis Mesopotamien, derart vom G.en als Kultur- und Administrationssprache geprägt wurden, dass im gesamten östlichen Mittelmeerraum eine zweisprachige Welt entstand, die sich neben der jeweiligen Regionalsprache, welche v. a. auf dem Land viel stärker vertreten war, des G.en bediente. Diese Situation hat sich durch den Machtwechsel (Römer) nicht nur nicht geändert, sondern sogar weiter gefestigt. Auf diese Weise konnte die griechische Welt ihre politische Randstellung durch eine für antike Verhältnisse einzigartige sprachliche und kulturelle Verbreitung kompensieren. Unter diesem Hintergrund kann man nachvollziehen, welche enorme Bedeutung dem G.en in der Zeit zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. allmählich zukam.

Die Verbreitung des G.en, der Umstand, dass es jetzt auch von Nicht-Muttersprachlern verwendet wurde, und seine Funktion als Kommunikationssprache trugen u. a. entscheidend dazu bei, dass die bisweilen bereits in der klassischen Zeit auftretenden Entwicklungstendenzen des G.en (bezüglich des Lautsystems könnte man sogar von einer phonologischen Variabilität sprechen, die nicht erst in der hellenistischen Zeit, sondern bereits in der klassischen Zeit das G.e kennzeichnete) in den darauffolgenden Jahrhunderten sich stetig entfalteten und zu einer merklichen Gesamtveränderung der Sprache führten (in allen Bereichen: Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexik). Das bedeutet, dass der Unterschied zwischen einer hauptsächlich gesprochenen (oder nur für „alltägliche“ Zwecke geschriebenen: Verschriftung) Sprache und einer v. a. geschriebenen Sprache (Literatur, Wissenschaft, Administration etc.: Verschriftlichung für uns zum ersten Mal während der hellenistischen Zeit fassbar wird, ohne ausschließen zu können, dass dieser Unterschied (in weit vereinfachter Form) schon früher existiert haben könnte (man könnte hier vielleicht die Sprache hauptsächlich attischer ›defixiones‹ und Vaseninschriften heranziehen).

Die wachsende Distanz zwischen diesen beiden Sprachstufen war allerdings in jener Zeit weder außergewöhnlich noch mit Problemen behaftet. Die starken Klassen- oder Vermögensunterschiede innerhalb der antiken Gesellschaft trennten die Gebildeten (›literati‹) von den Ungebildeten (›illiterati‹) innerhalb einer Gemeinde scharf voneinander, so dass die Benutzung der Administrationssprache, die Beschäftigung mit der Literatur oder der Wissenschaft und allgemein die (aktive) Teilnahme an der Schriftkultur die entsprechende (Sprach-)Bildung voraussetzte. Das Aufgeben der „traditionellen“ Sprache, so wie sie in den Werken der klassischen Prosaliteratur vorlag, widersprach (zumindest in der griechischen Gesellschaft) der allgemeinen Bildungsvorstellung und war somit undenkbar. Die Frage war lediglich, inwiefern man sich von dieser standardisierten Sprache entfernen durfte und entweder zeitgenössischere Ausdrücke benutzte oder es mit den verschiedensten rhetorischen Mitteln übertrieb. Wie auch immer, strebte man bereits zu dieser Zeit eine möglichst treue Fortsetzung der literarischen Genera (auch in sprachlicher Hinsicht) der klassischen Zeit an. Dennoch konnte man ein einfacheres G. schreiben, wie z. B. Epikur oder Polybios es taten.

Etwa im 2./1. Jh. v. Chr. setzte eine geistige Bewegung ein, der sog. Attizismus, der zur Nachahmung der klassischen attischen Autoren aufrief und sie (v. a. die Redner) zu Stil- und Sprachvorbildern erklärte. Obwohl Dionysios von Halikarnassos (1. Jh. v. Chr.) auf den Unterschied zwischen einer attischen (= nachahmungswürdigen) und einer asianischen (= dekadenten) Rhetorik hinwies, spiegelte diese Auseinandersetzung ein Problem der römischen und nicht der griechischen Literaturkritik wieder. Auch der zuerst im Lateinischen belegte Begriff ›Attici‹ bezeichnete den lateinischen Sprachpurismus, der auf ganz konkrete Sprachvorschriften hinauslief, die den „literarischen“ Sprachgebrauch normieren wollten. Der Umstand, dass in der griechischen Welt Rhetorik und Grammatik zunächst zwei unterschiedliche Bereiche darstellten, ließ dort eine solche Entwicklung nicht gedeihen. Somit war der Attizismus zunächst keine auf konkrete (im weiteren Sinne) grammatische Regeln bezogene Bewegung, sondern eher eine soziokulturelle Stilrichtung, die die griechische Intelligenz von der Masse der G. Sprechenden und Schreibenden abheben wollte.

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Das eigentliche Problem rührte daher, dass das G.e nun eine Reichssprache war und die Last (sprich Veränderungen und „Abnutzung“) einer internationalen Sprache tragen musste, nämlich von unterschiedlich gebildeten oder meist nicht gebildeten Reichsangehörigen sowohl mündlich als auch schriftlich verwendet zu werden. Der „Bruch“ mit der (attischen) Tradition kam wie so oft in solchen Fällen von außerhalb, von Leuten, die sich an diese Sprachtradition nicht so stark gebunden fühlten. Die Übersetzung der des Alten Testaments ins G.e für die gräzisierten Juden Alexandriens (›Septuaginta‹), obwohl als Ganzes sprachlich sehr inhomogen, bricht in ihren Hauptteilen mit der Prosatradition des klassischen G., indem sie eine weit einfachere Sprache verwendet, als man es bis dahin von einer Literatursprache gewohnt war (die Übersetzung der ersten fünf Bücher wird ins erste Viertel des 3. Jh. v. Chr. datiert). Eine Alltagssprache war sie freilich auch nicht. Die frühchristliche Literatur setzte dieses Beispiel fort, und wir können es in der Sprache des Paulus oder der Evangelien sehr gut verfolgen. Obwohl dieses G. für lange Zeit als eine Sprache niederer Qualität betrachtet wurde, ist seine Ausdrucksstärke und Schlichtheit imposant. Die frühchristliche Literatur, Privatbriefe und allgemein die nicht literarischen Zeugnisse geben uns eine Vorstellung von der einfachen Alltagssprache. Das Wort Vorstellung ist hier zu betonen, da es aus der gesamten griechischen Antike kaum etwas gibt, das man als „reines“ Zeugnis einer Alltags- oder Volkssprache bezeichnen könnte. Haupt- und Nebenquellen reichen dennoch als Beweis dafür aus, dass die Divergenz zwischen der gesprochenen, der natürlichen Sprache einerseits und der gepflegten Literatur- und Wissenschaftssprache andererseits immer größer wurde, so dass etwa in der Zeit zwischen der frühen Kaiserzeit (1. Jh.) und der Spätantike (4.–6. Jh.) diese künstlich gepflegte Literatursprache von den einfachen Leuten nicht mehr verstanden wurde.

Die Benutzung einer einfachen Sprache war zunächst die Voraussetzung dafür, dass das „Wort des Herren“ verbreitet werden konnte. Bald aber konnten die „heidnisch“ gebildeten Apologeten und endgültig die Kirchenväter dem Druck der heidnischen Intelligenz nicht standhalten, die das Christentum als Religion der Ungebildeten kritisierten, so dass auch sie die hohe Sprachvariante benützten, um damit jeglichen Zweifel an der Bedeutung sowie der sprachlich-philosophischen Tiefe des Christentums auszuräumen. Ein im nachhinein teuer erkaufter Sieg, da die schwerwiegendste Konsequenz dieses Erfolges war und mutatis mutandis bis heute bleibt, dass für die einfachen Gläubigen und sogar den einfachen Klerus diese Sprache trotz ihres Prestiges zum großen Teil unverständlich war/ist.

Was den Attizismus betrifft, zeichnete sich in der Zwischenzeit eine Entwicklung ab. Die frühchristliche (in einfacher Sprache geschriebene) Literatur und das „falsche“ bzw. vereinfachte G., das man nun fast überall hörte, der wachsende Gegensatz zwischen Gebildeten und Ungebildeten, die immer größer werdende Distanz von der „ruhmreichen“ klassischen Vergangenheit und die aufgrund der Ökumenisierung der Gesellschaft immer größer werdende Gebundenheit an die Sprache führten dazu, dass die G. sprechende Intelligenz zur Zeit der sog. Zweiten Sophistik (1.–3. Jh.) einen Sprachpurismus entwickelte, der nicht nur den allgemeinen Stil, sondern ganz konkrete sprachliche Ratschläge, Regeln und Vorschriften aufstellte. Das Bedürfnis, ein „korrektes“, d. h. attisches G. zu schreiben und somit einer bestimmten Kulturklasse anzugehören, machte die attische Sprachkultur noch starrer und künstlicher.

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Es ist an dieser Stelle notwendig, diese „Künstlichkeit“ etwas näher zu erläutern. Die griechische Literatur- und Wissenschaftssprache (Administration und andere Bereiche mit eingeschlossen) wurde zunehmend eine künstliche Sprache, indem sie nicht mehr das ungezwungene Produkt einer mündlichen Überlieferung innerhalb der aufeinander folgenden Generationen darstellte, sondern lediglich ein Sprachinstrument, dessen Grundlinien erst erlernt werden mussten. Diese Prozedur empfand man allerdings noch bis etwa zum Ende der byzantinischen Zeit als „natürlich“ und selbstverständlich, weil man die Schriftkultur eben ausschließlich mit diesem oder einem ähnlichen Prosastil in Verbindung brachte. Das bedeutet – und dies ist ein Punkt von enormer Bedeutung für das Verständnis der griechischen Sprachgeschichte und Diglossie –, dass man sich, sobald man G. schrieb, bewusst oder unbewusst einem „hochsprachlichen“, den schriftsprachlichen Normen unterworfenen und zunehmend starren Stilschema verpflichtet fühlte; das führte wiederum mit der Zeit zu einer völligen Erstarrung der Schriftsprache, und je weiter sich die Schriftsprache von der gesprochenen Sprache distanzierte, desto mehr gewann die gesprochene Sprache an Bedeutung und kristallisierte sich heraus. Und ab dem Zeitpunkt, wo den Menschen zwei „selbständige“ und sich eindeutig von einander unterscheidende Sprachvarianten zur Verfügung standen, wies man, wie zu erwarten, jeder von ihnen eine andere Funktion zu. Die „hohe“ Sprachvariante (= attischer oder attizistischer Prosastil) war das Merkmal der mehr oder weniger Gebildeten (Beamte, Fürsten, Sekretäre, Könige und Kaiser, Literaten, Philosophen usw.), während die „niedrige“ Sprachvariante das Merkmal der mehr oder weniger Ungebildeten war, die zunächst in der Regel gar nicht oder ungenügend schreiben konnten. Wann genau diese Situation anzusetzen ist, lässt sich nicht leicht sagen; für die späte Kaiserzeit können wir es mit Sicherheit annehmen, aber auch die Sprache des Neuen Testaments, die anscheinend einen Mittelweg zwischen geschriebener und gesprochener Sprache seiner Zeit darstellt, zeugt davon, dass um Christi Geburt eine ähnliche Situation vorlag.

Obwohl die Charakteristika einer Diglossie für die Kaiserzeit ohne weiteres vorliegen ist diese Situation mit jener der „neugriechischen“ Diglossie nicht gleichzusetzen:
Griechisch_Kaiserzeit
erstens weil die Alltagssprache der Kaiserzeit noch nicht über diese ausgeprägte Eigenfunktionalität verfügte, die für die Neuzeit typisch ist, und zweitens weil die niedrige Variante in der griechischen Kaiserzeit und Spätantike (das gilt ebenso für den größten Teil der byzantinischer Zeit) nur in mündlicher Form existierte, während in der neugriechischen Diglossie eine ausgeprägte schriftliche Überlieferung vorlag. In Anbetracht dieses Unterschiedes entsteht zugleich auch die Frage, für welche Zeit der griechischen Sprachgeschichte (Spätantike und Mittelalter einerseits, Neuzeit andererseits) der Begriff Diglossie zutreffender wäre.
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Der Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache würde die Situation im G.en bis zum 12. Jh. vielleicht doch treffend beschreiben, obwohl für mehrere Jahrhunderte Schriftlichkeit und Mündlichkeit unabhängig voneinander und in der Regel problemlos koexistieren konnten. Was die geschriebene Sprache betrifft, sollte man hier zu Recht zwischen Verschriftung und Verschriftlichung unterscheiden (s. oben); d. h. wenn wir im G.en zwischen dem 3. Jh. v. und dem 12. Jh. n. Chr. von Stilstufen sprechen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass wir bis auf bestimmte Ausnahmen über Abstufungen innerhalb der Verschriftlichung sprechen. Die in den letzten Jahrzehnten aufgestellte These allerdings, dass in der byzantinischen Zeit keine wirkliche Diglossie, sondern lediglich eine „literarische Diglossie“ (d. h. ein Unterschied zwischen Verschriftung und Verschriftlichung) vorlag , ist abzulehnen, da sie die mündliche Sprache (die eigentliche Volkssprache) völlig ausschließt, weil sie im Grunde nicht in schriftlicher Form überliefert ist. Dabei wird man anscheinend von der neugriechischen Diglossie irregeführt, die hauptsächlich eine schriftliche Auseinandersetzung darstellt, und verkennt den Umstand, dass es sich bei Diglossie eben um zwei im Grunde gegensätzliche und in der Regel nicht überbrückbare „Systeme“ (meist eines schriftlichen gegenüber einem mündlichen) handelt; ein Umstand, der in der byzantinischen Zeit für den Gegensatz – grob gesagt – zwischen gesprochener und geschriebener Sprache galt und nicht für die verschiedenen Stilstufen der Schriftsprache. Für diese wäre alternativ der Terminus „Mehrschriftlichkeit“ passender, aber eine Diglossie, so wie der Begriff von der Linguistik definiert wird, kann für diese Situation nicht verwendet werden, weil sie den dem Begriff Diglossie anhaftenden Charakteristika widerspricht.

Die Teilnahme immer mehr „einfacher“ Leute an der Schriftkultur und der Verschriftlichung sowie die Entstehung einer mündlichen Literatur stellte diese „natürliche“ und stabile Situation vor eine neue Tatsache: Man begann die einfache Alltagssprache, die man in der Regel „Volkssprache“ zu nennen pflegt, gemischt mit manchen Elementen aus der Hochsprache, zu schreiben. So begann in der spätbyzantinischen Zeit (12.–15. Jh.) eine neue Phase in der griechischen Sprach- bzw. Schriftlichkeitsgeschichte, die ihren ersten Höhepunkt in der Zeit des Buchdrucks (15. Jh.) findet.

In Europa verbreitete sich nun der Kreis der Lesenden schlagartig und somit wurde auch das Buch in den nächsten zwei Jahrhunderten zu einem allgemeinen Kulturgut. Die sozialen Folgen dieser revolutionären Erfindung brauchen hier nicht näher erläutert zu werden, sie sollten aber in Verbindung mit der Veränderung der sozialen Struktur, die der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markiert, die Charakterzüge der Neuzeit eindeutig prägen. Mittelstand, Aufklärung und industrielle Revolution kristallisierten schließlich eine soziale Mittelschicht heraus, die auch sprachlich völlig neue Wege ging.

Bereits ab dem 15./16. Jh. machte sich überall in Europa der Wunsch bemerkbar, eine dem Volk verständliche Sprache zu benutzen bzw. eine solche erst zu „schaffen“, so dass sich in der Folgezeit aus den hauptsächlich mündlichen Lokalidiomen allmählich Schrift- und „Nationalsprachen“ entwickelten; eine Prozedur, die nicht überall einfach war. Im Falle des G.en wurde diese Prozedur aus mehreren Faktoren erheblich erschwert und verzögert. Die Auflösung der staatlichen Existenz (Byzanz) und die Unterbrechung der kulturellen Entwicklung in den besetzten Gebieten (osmanische Herrschaft) brachte eine erhebliche kulturelle Rückständigkeit mit sich, zumal die Jahrhunderte zwischen der Erfindung des Buchdruckes und dem frühen 19. Jh. durch einmalige und gewaltige kulturelle Ereignisse für die Entwicklung und das Zusammenwachsen von Westeuropa kennzeichnend geworden waren. Obwohl es in der Zwischenzeit die griechische Volkssprache mit großem Erfolg zu einer Verschriftlichung gebracht hatte (Literatur, Übersetzungen, Grammatiken etc.) und sie auf dem besten Weg zu einer Nationalsprache war (das entstandene Schrifttum zwischen dem 16. und dem Ende des 18. Jh. ist überwiegend in der Volkssprache oder einer Sprache, die einen gepflegteren Stil bevorzugte, geschrieben), hatte zu gleicher Zeit Westeuropa die griechische Antike entdeckt.

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Der westeuropäische Klassizismus idealisierte die griechische Antike und die (alt)griechische Sprache, die bald als die Quintessenz der Bildung galten. Der Vergleich zwischen Altg. und modernem G. war gegeben und ungleich, denn nicht nur der Umstand, dass es bis dahin kein literarisches Monument in der griechischen Volkssprache gab, das als solches allgemeine Anerkennung genießen konnte, sondern v. a. die starre Meinung, dass die griechische Antike, die mit Alexander dem Großen zu Ende ging, die Wiege der westlichen Kultur sei und nun ein „Waisenkind“ darstelle, prägten ein klassizistisches und somit attizistisches Bild, wonach das Neug.e lediglich oder gar im besten Fall ein Epigone des altgriechischen Erbes sei. Der historische Umstand, dass sich die griechische Welt seit der Antike stets an der Schwelle zwischen Westen und Osten befand, wurde zugunsten der stereotypen Vorstellung, Griechenland und Rom seien das Fundament und somit ein fester (und zunächst ausschließlicher) Bestandteil der westlichen Zivilisation, völlig verkannt. In diesem Bild gab es natürlich keinen Platz weder für das „theokratische“, „orientalische“ Byzanz noch für das moderne Griechenland, dessen „Kultur“ und Sprache entschieden vom Einfluss des Orients geprägt worden sei. Somit war das bis dahin positiv auf Griechenland wirkende Beispiel Westeuropas, nämlich die Volkssprachen aufzuwerten, praktisch neutralisiert. In diesem politisch-kulturellen Klima war es nun selbstverständlich, dass das 1830 gegründete Königreich Griechenland seine Affinität zum westlichen Kulturkreis zur absoluten Staatsdoktrin erklärte, ein Umstand, der bis heute für eine nicht ganz unproblematische nationale Identität sorgt, in der nur sehr langsam und vereinzelt die nicht westeuropäischen Kulturelemente herausgearbeitet werden.

In diesem Zusammenhang war der Umstand verheerend, dass sowohl die klassizistische Vorstellung Westeuropas von Griechenland als auch das negative Bild der europäischen Aufklärung über Byzanz trotz der europäischen Romantik letzten Endes auf die Verherrlichung der Antike und die Verdrängung allen Volkstümlichen und Nicht-Klassischen zusammentrafen, so dass die Verbindung des antiken mit dem modernen Griechenland ohne historische Übergänge überbrückt werden musste. Jakob Fallmerayers Behauptung (1830) aus dem Nationalgeist des 19. Jh., die modernen Griechen seien nicht „reinen Bluts“, d. h. keine echten Nachfahren der alten Griechen, sondern ein Mischvolk (mit Albanern und Slawen), führte zwar in Griechenland zur Aufwertung der volkstümlichen Quellen und zur Entwicklung eines kontinuierlichen, geschichtlichen Selbstverständnisses , verstärkte aber zugleich die Unsicherheit über die „nationalen Wurzeln“, die für viele nur durch eine archaisierende Sprache, die sich unmittelbar an das Altg.e lehnte, de facto bewiesen werden konnte.

Während also bis zum Ende des 18. Jh. eine ungezwungene Freiheit unter den in der Diaspora oder in den besetzten Gebieten lebenden Griechen herrschte, entweder ein archaistisches (also an der attischen Sprache orientiertes) oder meistens ein einfacheres (an der Volkssprache orientiertes) G. zu schreiben, entfachte dann ein Sprachenstreit (in unterschiedlichen Phasen), der sich mit der Gründung des griechischen Staates weiter verschärfte. Inzwischen war die archaistisch-puristische Sprache aufgegeben und man verwendete dafür einen schlichteren und von Fremd- sowie als ungebührlich empfundenen Wörtern gereinigten Sprachstil, den man etwas später (1796) „Reinsprache“ (›Katharevusa‹) nannte, die wie die „Volkssprache“ (erst 1818 ›Dimotiki‹ genannt) in mehreren Stilstufen vorkam. Die Frage, welche „Sprache“ die Nationalsprache werden sollte, die als Kommunikationsmittel und Bildungsinstrument der in kulturelle Rückständigkeit geratenen Nation dienen sollte, wurde verhängnisvoll, als sie sich mit nationalen und soziopolitischen Überlegungen verband und kein linguistisches Problem mehr darstellte. Die Sprache blieb nach wie vor ein Indikator des Sozialstandes oder unter Umständen sogar der politischen Ideologie, aber es waren v. a. nationalhistorische Gründe gewesen, die den Sprachenstreit ausufern ließen. Nach Toynbee ist die „Katharevusa das Produkt des Misstrauens, das die Neugriechen gegenüber sich selbst empfinden, wenn sie ihre antiken Vorfahren betrachten und sich ihnen weit unterlegen fühlen. Die Entwicklung der Dimotiki in den Werken der berühmten neugriechischen Dichter ist das Ergebnis der Überzeugung, dass die Neugriechen den alten Griechen gleichwertig entgegentreten können und in der Lage sind, die Herausforderung… anzunehmen, sich einen sicheren Platz in einer schrecklich schwierigen neuen Welt erkämpfen zu müssen“.

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Das eigentliche Dilemma, Volks- oder Hochsprache, war schließlich insofern irreführend, da sowohl die Annahme einer künstlichen Sprache als Nationalsprache absurd und gegen jegliche Logik war, als auch die einer reinen Volkssprache, so wie sie von einfachen, oft ungebildeten Leuten verwendet wurde, mit diversen Komplikationen verbunden war. Sicherlich gab es auch diverse Missverständnisse beiderseits, letztlich war es aber ein Zusammenwirken von mehreren Faktoren gewesen, das zur Beendigung der Diglossie führte: u. a. der Aufklärungsgeist, die Entwicklung der Linguistik und der Erforschung des Neug.en, der Mut mehrerer Personen, die „Volkssprache“ zu unterstützen oder in ihr zu schreiben, schließlich der Faktor Zeit, welcher die verschriftlichte „Volkssprache“ nur begünstigen konnte. In dieser Phase waren für diese Entwicklung die Hilfe der „Reinsprache“, die Verwendung zahlreicher Elemente aus älteren Sprachphasen und eine Menge Lehnübersetzungen notwendig und „natürlich“ gewesen, da diese Entwicklung mutatis mutandis jede westeuropäische Sprache auf dem Weg zu ihrer „Modernisierung“ und Nationalisierung durchmachte. Diesen „legitimen“ Aneignungsprozess verzögerte im G.en die Polarisierung der Parteien im Sprachenstreit, die eine Schwarz-Weiß-Perspektive förderte, wonach entweder die „Volks“- oder die „Reinsprache“ durchgesetzt werden sollte. Die Sprache der sog. Generation der 30er Jahre (des 20. Jh.) exorzierte schließlich endgültig die Geister des 19. Jh. und schmiedete einen ausdrucksstarken Sprachtypus, der sich auch Elemente aus älteren Sprachphasen sowie der Katharevusa „Reinsprache“ einverleibte. Seit 1976 ist die Diglossie in Griechenland offiziell aufgehoben, es dauerte aber noch etwa zwei Jahrzehnte, bis die „Volkssprache“ die nötige Erfahrung, z. B. als Wissenschafts-, Administrations- oder Mediensprache, sammelte und eine weitere Standardisierung erfuhr. Der Beitrag zu dieser Standardisierung, den die starke soziokulturelle Profilveränderung der griechischen Gesellschaft in den letzten 30 Jahren geleistet hat, ist als nicht gering einzuschätzen.

2 Verbreitung, Einfluss und Rezeption

2.1 Hellenismus und Imperium Romanum

Mit J. G. Droysen und seiner „Geschichte des Hellenismus“ (1836) wurde nicht nur eine ganze Epoche (Hellenismus) als solche zum ersten Mal historisch erfasst, sondern es wurde auch ihre bedeutende Rolle als Fundament der europäischen Kultur erkannt. Im Laufe des 19. und 20. Jh. untermauerte (und modifizierte zum Teil) die Geschichtsforschung (mit Hilfe von Nachbardisziplinen) Droysens Bild, so dass die hellenistische Zeit (konventionelles Beginnsdatum 323 v. Chr., Todesjahr Alexanders, Ende 31 v. Chr.) heute im Großen und Ganzen als die Epoche gilt, in der eine Verschmelzung des Westens mit dem Osten stattgefunden hat. Dass die rein schematische Gegenüberstellung Westen – Osten, die die griechische Antike als westliches Kulturgut impliziert, einer neuzeitlichen, klassizistischen Vorstellung entspricht, mag zunächst dahin gesagt sein. Das Wesentliche an Droysens Bild bleibt, dass in der hellenistischen Zeit die antike Welt um das Mittelmeer und im Nahen Osten tatsächlich zu einem Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen wurde, wofür die griechische Sprache und Kultur eine sehr bedeutende, im Sinne von einflussreiche, Rolle innehatte.

Alexanders Reich, das einen Raum von Makedonien und Ägypten bis etwa zum Indus umfasste, wurde von seinen Diadochen aufgeteilt und regiert. Die zahlreichen Städte¬gründungen Alexanders und vor allem der Diadochen sowie die vielen griechischen Kolonisten, die sich in Kleinasien, Ägypten und im Nahen Osten niederließen, brachten eine ganz neue Lebensart mit, an der die Einheimischen, vor allem in den Städten, allmählich großen Gefallen fanden. Die Grundelemente der griechischen Polis, etwa die Agora, das Gymnasion oder das Theater, gestalteten in den neuen Städten sowie in nicht griechischen Stadtgemeinden (›politeumata‹) das Leben entsprechend um, so dass man ohne weiteres von einer weit verbreiteten gräzisierten Lebensart in der hellenistischen Welt sprechen kann, die aber auch Züge der einheimischen Kulturen trug. Der Stellung des Gymnasion als kultureller Mittelpunkt und die damit zusammenhängende griechische Erziehung waren bezeichnend für die „Formung“ des hellenistischen Bürgers. In diesem Sinne scheint es nicht befremdlich, dass der Ausdruck ›οἱ ἀπὸ γυμνασίου‹ (= „die [Leute] vom Gymnasion“) gerade eine Bildungsschicht charakterisierte, die ihre besondere Stellung auf ihre griechische Erziehung und Lebensart gründete.

Der Umstand, dass G. die offizielle Sprache der hellenistischen Königtümer und somit des gesamten östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens war sowie das Prestige, das G. als Kultursprache genoss, führten nun dazu, dass zum ersten Mal in der Antike eine Sprache „internationalen“ Charakter annahm. So entwickelte sich eine zweisprachige Welt, in der das Griechische eine überregionale Administrations-, Kommunikations- und Kultursprache wurde, während die einheimischen Sprachen vor allem unter Stammesgleichen verwendet wurden. Obwohl zunächst die griechische Oberschicht mit den Einheimischen kaum in Berührung kam, erfolgte zunehmend eine ethnische und kulturelle Vermischung, die spätestens dann immer mehr griechische Muttersprachler nicht gänzlich griechischer Herkunft hervorbrachte. Das bedeutete, dass in den nächsten Jahrhunderten das G.e nicht nur eine „internationale“ Sprache im östlichen Mittelmeerraum war, sondern teilweise auch tiefe Wurzeln bei der einheimischen Bevölkerung schlug, deren ethnische Zusammensetzung nicht mehr „eindimensional“ war. Die zahlreichen Privatbriefe aus der hellenistischen Zeit zeugen von G. als Muttersprache, auch wenn Orthographie und Grammatik oft nicht dem entspricht, was man sich unter (attischem) G. vorstellt. Es herrschte weit und breit ein Bilingualismus (G. und Regionalsprache), der in mehreren Fällen einer Diglossie ähnelte, im Sinne, dass die eine Sprache (G.) die hohe Variante und die andere Sprache (Regionalsprache) die niedrige Variante repräsentiert; darauf weisen auch Faktoren wie das Prestige, die Stabilität dieser Situation sowie der Umstand, dass jeder Sprache eine andere Funktionalität zugewiesen wurde, hin.

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Aus kulturgeschichtlicher Sicht sollte man hier kurz auch die Rezeption des griechischen Alphabets erwähnen. Etwa im 7. Jh. v. Chr. übernahmen die Römer, sei es direkt von westgriechischen (chalkidischen) Kolonisten oder indirekt über die Etrusker, das griechische Alphabet und haben es an die eigene Sprache angepasst. Eine ähnliche Prozedur ist auch für das Lydische anzunehmen, das in einer ganzen Reihe von Inschriften etwa ab dem 7. bis zum 4. Jh. v. Chr. sich ebenso das griechische Alphabet angeeignet hat. Von den Fällen abgesehen, wo verschiedene Völker sich gelegentlich der griechischen Schrift bedienten, wie z. B. phrygische, keltische oder thrakische Inschriften zeigen , seien hier nur noch die Fälle erstens der Kopten (des christlichen Teils der ägyptischen Bevölkerung), die ab dem 2. Jh. für ihre Sprache (= demotisches Ägyptisch) ein Alphabet aus den 24 griechischen Buchstaben und aus sechs dem Altägyptischen (der demotischen Version) entlehnten Zeichen zusammengestellt haben, und zweitens der Goten angeführt, deren arianischer Bischof Wulfila im 4. Jh. ein Alphabet aus 19 griechischen, sechs lateinischen Buchstaben und zwei Runenzeichen schuf, um die Bibel zu übersetzen. Auf die Kontakte des G.en mit anderen Sprachen, etwa verschiedenen später ausgestorbenen anatolischen Sprachen sowie dem Hebräischen, dem Persischen, dem Keltischen, dem Syrischen, Armenischen u. v. a. (und seines Einflusses auf sie) in der Antike und vor allem in hellenistischer und späterer Zeit kann hier nicht eingegangen werden; Man sollte hier vielleicht lediglich noch erwähnen, dass der Kontakt zur griechischen Sprache und Kultur mehrere Sprachen zu einer Verschriftung und dann auch Verschriftlichung sozusagen „antrieb“ (wie es z. B. im Äthiopischen, Syrischen oder Armenischen der Fall war), die dann vom griechischen Schrifttum dementsprechend beeinflusst wurden.

Als das römische Imperium die Gebiete der hellenistischen Königtümer besetzte, fand es eine ausgebildete Welt vor, die trotz der starken ethnischen und sprachlichen Unterschiede auch starke Gemeinsamkeiten aufwies, welche zwischen dem Ende des 4. Jh. und dem 2./1. Jh. v. Chr. geschmiedet worden waren. Allein der Umstand, dass man mit allen diesen Völkern in einer einzigen Sprache kommunizieren konnte, vereinfachte für einen ausgeklügelten Verwaltungsapparat wie den römischen die Situation gewaltig. Die Anziehungskraft des G.en auf die Römer war andererseits so groß, dass diese schnell selbst zweisprachig wurden. Es ist sehr bezeichnend für den römischen Verwaltungsapparat, dass im Osten des Imperiums die Reskripte an Privatpersonen, auch wenn diese Römer waren, sowie die kaiserlichen Erlasse, die für öffentliche Publizierung bestimmt waren, auf G. geschrieben wurden. Der Wunsch nach „literarischer“ Kommunikation mit einem breiten Publikum außerhalb der eigenen Sprachgrenzen setzte nun das G.e auch als „literarische“ (im weitesten Sinne) Sprache im gesamten Reichsgebiet endgültig durch. So schrieben z. B. der Ägypter Manethon (3. Jh. v. Chr.) und der Jude Flavius Josephus (1. Jh. n. Chr.) ihre Geschichtswerke, die sich ausschließlich mit der eigenen Stammesgeschichte befassten, auf G. Für das christliche Schrifttum war es umso selbstverständlicher, sich des G.en zu bedienen, zumal die christliche Lehre primär außerhalb der jüdischen Sprachsphäre gedeihen sollte.

Über die Beziehung der Römer zu den Griechen, ihrer Literatur und ihrer Sprache wäre vieles zu schreiben, und ich sehe hier von konkreten sprachlichen Einwirkungen ab, d. h. inwiefern die griechische Terminologie, sei es in Philosophie, Literaturkritik, Grammatik u. ä. von den Römern aufgenommen und verarbeitet wurde. Als einziges Beispiel würde vielleicht die Erwähnung der traditionellen Sprachterminologie ausreichen, d. h. der lateinischen Übersetzung griechischer grammatikalischer Begriffe (etwa Substantiv, Verb, Kasus, Partizip, Tempus u. v. a.), die bis zum Aufkommen der modernen Linguistik im 20. Jh. (und natürlich auch danach), unser Bild und allgemein auch unsere Vorstellung von Sprachanalyse und –beschreibung bestimmten. Die Anziehung der griechischen Sprachkultur auf die Römer ist allgemein bekannt und die philhellenische Einstellung des jeweiligen römischen Kaisers verdient eigene Behandlung, da sie auch auf unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt wurde. Dass die Kenntnis der griechischen Sprache ein wesentliches Identitätsmerkmal des gebildeten Menschen dieser Zeit darstellte, wurde bereits im vorigen Abschnitt erwähnt. In diesem Sinne war es unvorstellbar für einen römischen Kaiser, Konsul, Literaten oder einfachen Magistraten kein G. zu können. Der typische Ausdruck utraque lingua (= in jeder der beiden Sprachen) ist bezeichnend für die Zweisprachigkeit der römischen Oberschicht. Aber auch im sog. Vulgärlatein ist der Einfluss des G.en, auch in sehr formalen Fällen, wie dem Modusgebrauch, erstaunlich präsent und nachwirkend gewesen.

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Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass der Einfluss des Lateinischen sowie weiterer Sprachen (z. B. Arabisch, Venezianisch, Türkisch, Französisch etc.) auf das G. im Laufe der Jahrhunderte ebenfalls stark gewesen ist; ein Punkt, der im Rahmen der hier vorliegenden Thematik nicht näher erläutert werden kann.

2.2 Griechisch im osteuropäischen Mittelalter

Dass das Byzantinische Reich inhomogen war und die unterschiedlichsten Völker und somit auch Sprachen umfasste, braucht hier nicht betont zu werden. In sprachlicher Hinsicht hatte sich die Situation, die im Imperium Romanum der augusteischen Zeit herrschte, nicht sehr geändert. Es herrschte nach wie vor ein Bilingualismus, G. im Osten, Latein im Westen, den die unterschiedlichsten Regionalsprachen (v. a. im Osten) ergänzten. Der wesentliche Unterschied zur Antike war allerdings, dass nun die Kenntnis des G.en im Westen
Griechisch_Frühbyzanz
immer mehr abnahm. Dennoch konnte man noch im 6. Jh. etwa vom heutigen Frankreich bis nach Syrien reisen und sich dabei überall mit G. oder Latein im Großen und Ganzen verständigen. Die Sprachgrenze zwischen den beiden Sprachen lag auf dem Balkan, etwa an der imaginären Linie, die Dyrrhachion (das heutige Durrës am Ionischen Meer) und Warna (am Schwarzen Meer) verband. Für die verschiedenen Völker des byzantinischen Reiches (Armenier, Syrer, Araber, Juden, Isaurier u. a.) war das G.e stets ein Verbindungsmerkmal, zumal die (griechische) Sprache nicht unbedingt mit einem Identitätsbewusstsein verbunden war, das viel mehr von der Religion herrührte. Diese Sprachsituation änderte sich nach dem 7. Jh., als die Araber Teile des Byzantinischen Reiches eroberten, die noch griechisch(sprachig) geprägt waren, wobei das G.e dort anscheinend doch nicht so tief verwurzelt war.

Die Frage nach dem kulturellen Einfluss des Byzantinischen Reiches auf seine Verbündeten, Feinde oder Untertanen ist sehr umfangreich, selbst wenn man sie auf eine lediglich auf die Schriftkultur bezogene Thematik reduziert. Eine besondere Erwähnung verdient hier der Umstand, dass die Balkan- und Ostslawen den Beginn ihrer verschriftlichten Kultur byzantinischer Initiative verdanken, zunächst durch das sog. glagolitische Alphabet, das etwa 863 Kyrillos frei erdachte, und in der die altkirchenslawische Literatur niedergeschrieben wurde. Dieses wurde etwa im 10./11. Jh. durch das sog. kyrillische Alphabet abgelöst (nicht überall, wie z. B. in seiner eckigen Variante des Kroatischen), dessen meiste Buchstaben der griechischen Unzialschrift entnommen waren. Das kyrillische Alphabet, das trotz seines Namens seine Entstehung nicht Kyrillos verdankt, wuchs allmählich über seine Funktion als Schriftmittel der altkirchenslawischen Literatur hinaus und wurde später für alle Schriftsprachen der orthodoxen Slawen angewandt (der Bulgaren, Slawen-Makedonen, Serben, Russen, Ukrainer und Weißrussen). Die meisten der ersten schriftlichen Zeugnisse der altkirchenslawischen Literatur stellen zunächst Übersetzungen byzantinischen Schrifttums dar, wie etwa der Bibel, liturgischer Texte, Viten sowie profaner Texte. Inwiefern die byzantinisch-griechische Literatur durch Übersetzungen auf die Entstehung und Entwicklung literarischer (im weitesten Sinne des Wortes) und nicht literarischer Stoffe der slawischen (und anderer) Völker gewirkt hat, ist ein Thema, das neben dem rein sprachlichen Einfluss noch nicht in seinem ganzen Umfang erforscht worden ist.

Der sprachliche Einfluss des G.en auf die Balkansprachen (hauptsächlich auf Bulgarisch und Slawisch-Makedonisch, aber auch auf Rumänisch, Serbisch und Kroatisch) beschränkt sich nicht nur auf den Wortschatz, dessen Einfluss mehrere Bereiche umfasst, wie etwa die Kirchen-, Administrations- und Militärsprache, die Landwirtschaft, das Meer, die Namengebung mitsamt gewisser Diminutive usw. (z.B. gr. ζωγράφος > maked./bulg. zograf; gr. βρύση > maked. vris; gr. χρυσόβουλλον > bulg. und serb.-kroat. hrisovul; gr. Κωνσταντῖνος > Ντίνος > bulg. Dino), sondern erstreckt sich auch auf grammatikalische Erscheinungen, die syntaktische Struktur und die Phraseologie, z. B. den Verlust oder die Reduktion des Infinitivgebrauchs, die periphrastische Bildung des Futurs durch „wollen“ oder eine daraus erstarrte Partikelform + dass-Satz usw.; Im Falle des Rumänischen ist an dieser Stelle die verlegerische und Bildungstätigkeit der Phanarioten zu erwähnen, durch die griechische Sprache, Literatur und Gedankengut weit verbreitet wurden.

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Viel weniger erforscht ist hingegen der sprachliche Einfluss des G.en auf die Araber und die Türken (Seldschuken und Osmanen). Der rege kulturelle Austausch zwischen Byzantinern und Arabern und die aktive Auseinandersetzung der letzteren auch mit dem griechischen Schrifttum (neben der Philosophie v. a. mit den Naturwissenschaften) wirkte zwangsläufig auch auf die arabische Sprache. Interessanter¬weise fungierten die Araber etwa zwischen dem 9. und 13. Jh. als Vermittler griechischen Gedanken- und Sprachguts in das westliche Europa, das bis zum 13. und 14. Jh. eher sproradisch das Griechische und sein literarisches Schaffen kannte. Wörter wie dt. Alchemie < mlat. alchimia/span. alquimia < arab. al-kimiya < gr. χυμεία/χημεία; dt. Elixier, fr. élixir < mlat. elixirium < arab. al-iksir < gr. ξηρίον (ξηρός); dt. Amalgam, fr. amalgame < mlat. amalgama < arab. al-malgam < gr. μάλαγμα; dt. Gitarre < span. guitarra < arab. qitare < gr. κιθάρα) zeugen von diesem für das Hoch- und Spätmittelalter typischen Umweg.

Trotz der erwähnenswerten Bemühungen in den letzten Jahrzehnten bleibt der Einfluss des G.en auf das Türkische ein noch relativ dunkles Kapitel, da man sich bis jetzt eher für die entgegengesetzte Einflussrichtung interessierte. Nicht nur der Wortschatz, sondern auch die Phraseologie zeugt (in den west- und mittelanatolischen Dialekten) von starkem Einfluss des G.en (in der Botanik, Zoologie, Hauswirtschaft etc.), die das langjährige Zusammenleben v. a. in Kleinasien und in der nördlichsten Zone Griechenlands bewirkten. Oft gibt es allerdings Gemeinsamkeiten, die auf die Frage, welche Sprache als Vorlage diente, keinen sicheren Schluß erlauben, wie etwa im Fall von ›καλώς ορίσατε/ήρθατε‹ (= „Seid willkommen“) und ›καλώς σας βρήκαμε‹ (frei: „schön euch zu sehen“), einer in beiden Sprachen typischen Begrüßungsformel. Der Umstand allerdings, dass ›καλώς ορίσα¬τε/ήρθατε‹ in der „volkssprachlichen“ Literatur der Byzantiner vorkommt (häufig z. B. in der Chronik von Morea Anfang des 14. Jh. oder im Apollonios-Roman), spricht eher dafür, dass hier der Ausdruck vom G.en ausging, sei dieses die Quelle oder der Vermittler aus einer (vielleicht westlichen) Sprache gewesen. Der volkstümlichen stehen noch eine hochsprachliche Ebene (sei es aus byzantinischer oder späterer Zeit; nicht zu vergessen wäre hier die Rolle der zweisprachigen Phanarioten und die Benutzung des G.en als Diplomatensprache durch die Sultane) und das Wortgut griechischen Ursprungs oder griechischer Prägung zur Seite, das erst durch die Einwirkung des westeuropäischen Sprach- und Kulturguts im Türkischen während des 20. Jh. in die Sprache eindrang (›telegraf‹, ›demokrasi‹ usw.). Dazu kommt noch ein weiterer indirekter Einfluss, der über das Arabische auf das Türkische eingewirkt haben muss.

2.3 Griechisch im westlichen Mittelalter

Die Stellung des westeuropäischen Mittelalters zum G.en könnte man als gespalten bezeichnen. Einerseits gilt der Spruch ›Graeca non leguntur‹ (= „das Griechische kann man nicht lesen“), der die Abnahme der G.kenntnisse im westlichen Mittelalter und somit das Unvermögen ausdrückt, einen anspruchsvollen griechischen Text zu verstehen, und andererseits verfügen wir über Zeugnisse wie ›esse velim Graecus‹ (= „ich möchte Grieche sein“) von Ekkehard IV. (10./11. Jh., in seiner Klostergeschichte ›Casus S. Galli‹), die auf die Bewunderung, aber auch Ratlosigkeit hinweisen, mit denen man dem G.en im Westen begegnete. Es ist sicher richtig, dass der Kontakt des westlichen Mittelalters zur griechischen Sprache in einzelnen Klöstern aufrechterhalten wurde und dass bis zum frühen Humanismus eine Reihe von Übersetzungen griechischsprachiger Texte (meist philosophischen und theologischen Inhalts) angefertigt wurde. Die Bedeutung von Dionysius Areopagita z. B. (übersetzt ins Lateinische im 9. Jh.) ist für die westliche Kirche grundlegend gewesen, wobei man auch in einfacherem Zusammenhang, wie z. B. in der Liturgie, versuchte, das G.e mit einzubeziehen und auf diese Weise den Ursprung der christlichen Lehre zu bewahren. Sehr bezeichnend bleiben griechische liturgische Texte in lateinischer Umschrift, wie etwa das lat. Antiphonarium ›Adorna thalamum tuum‹, das mit dem Vers „Catacosmyso thon nimphōna du, Siōn“ (›Κατακόσμησαι τὸν νυμφῶνα σου Σιών‹) beginnt.

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Dennoch war die Kenntnis des G.en hauptsächlich ein innerkirchliches „Privileg“, das aber selbst der Mehrzahl der Geistlichen und Mönche verschlossen blieb. Gut kannte man im Grunde lediglich das griechische Alphabet, das in bedeutenden, z.B. den „Etymologien“ des Isidor von Sevilla (6./7. Jh.) oder dem Werk ›De temporum ratione‹ von Beda Venerabilis (7./8. Jh.) oder auch weniger bedeutenden Werken immer wieder vorkam und oft einen mystischen Charakter aufwies.

Obwohl neben Latein und Hebräisch G. seit etwa dem 6./7. Jh. zu den „heiligen Sprachen“ (›tres linguae sacrae‹) gehörte, eine Vorstellung, die das ganze Mittelalter durchzog, ist mit Recht gesagt worden, dass man im westlichen Mittelalter das G.e mehr verehrte als studierte.

G. zu lernen blieb im Westen schwierig und wurde immer schwieriger, zumal es fast während des gesamten Mittelalters kaum ein Lehrbuch für G. im Abendland gab. Die Grammatik von Roger Bacon (13. Jh.) ist, wenn nicht die erste „vollständige“, zumindest die wichtigste griechische Grammatik, die ein Abendländer im Mittelalter schrieb. Dennoch fand sie keine Verbreitung. Eine „Erschließung“ des G.en erfolgt erst im frühen Humanismus, als die ersten Byzantiner nach Westen kommen. Der erste bedeutende G.-Lehrer des Abendlandes ist der Byzantiner M. Chrysoloras, in dem die frühen Humanisten die Autorität wiederfanden, die sie lange suchten. Seine „Griechische Grammatik“ (1484) wurde „das erste weit verbreitete griechische Unterrichtswerk im lateinischen Abendland“, das nur durch die umfangreiche „Grammatische Einleitung“ von Theodoros Gazes (1495) übertroffen wurde. Es blieb dennoch für einige Zeit weiterhin kompliziert, G. zu lernen, da solche Unterrichtswerke immer noch eines Lehrers bedurften; ein Problem, das z. B. sowohl Petrarca als auch Boccaccio sehr stark empfunden hatten. Sehr bezeichnend hierfür ist der Fall von Petrarca, der ein ihm aus Konstantinopel 1353/54 geschenktes Homermanuskript nicht lesen konnte und seinen Hunger nach griechischer Literatur in literarischem Stil ausdrückte: ›O magne vir, quam cupide te audirem! ‹ (= „O großer Mann, wie gern möchte ich dich hören!“).

Die mittelalterliche Lerntechnik, G. aus bilingualen theologischen Texten zu lernen, wird noch eine Weile die übliche Methode bleiben, der griechischen Sprache näher zu kommen. Das Beispiel Petrarcas markiert allerdings die Verschiebung der Interessenperspektive, die der Humanismus mit sich brachte. Während das westliche Mittelalter sich mit griechischen Texten hauptsächlich philosophischen, theolo¬gischen und naturwissenschaftlichen Inhalts beschäftigte, wandte sich das humanistische Interesse eindeutig der „schönen Literatur“ zu, die zwangsläufig das klassische Altertum in den Vordergrund rückte und eine für das 14. Jh. typische Attitüde hervorrief, nämlich die zeitgenössischen Griechen und die byzantinische Literatur gering oder gar nicht zu schätzen. Eine Haltung, die nicht ohne Fortsetzung bleiben sollte.

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2.4 Griechisch als Bildungs- und Wissenschaftssprache

In der Zeit der Renaissance wurde die klassische Antike zur kulturellen Autorität erklärt und somit wurden auch die klassischen Sprachen, G. und Latein, nicht nur als höchstes Bildungsideal, sondern auch als Mimesis-Objekte angesehen. Die verlegerische Tätigkeit der byzantinischen Intelligenz (z. B. in Venedig), ihr Beitrag zur allgemeinen Verbreitung der griechischen Literatur und somit die Impulse, die sie der italienischen Renaissance gaben, bilden ein Kapitel für sich. Als die erste Generation der aus Konstantinopel geflüchteten Byzantiner starb, war bereits die griechische Tradition in Westeuropa angebahnt, und die Humanisten verbreiteten ihre Begeisterung für die klassische griechische Welt weiter. Die Auseinandersetzung mit der griechischen Sprache und Kultur, die immer größere Zahl der Übersetzungen aus dem G.en, aber v. a. der Umstand, dass nun auch G. zum Grundbestandteil des gebildeten Westeuropäers gehörte, bereiteten den Weg für einen sehr nachhaltigen Einfluss des G.en auf die Bildungs- und Nationalsprachen der westeuropäischen Völker. Zunächst erfolgte dieser Einfluss durch das Lateinische, das während des gesamten Mittelalters und bis zum Aufkommen der Nationalsprachen die einheitliche Bildungssprache im Abendland war und in der Renaissance eine Aufwertung erfuhr. Die Herausbildung aber von Nationalsprachen brachte das Lateinische (als Literatur-, Wissenschafts- und Kommunikationssprache) ins Wanken, und sobald griechische Literatur nicht über das Lateinische bekannt wurde, sondern in die eigene Nationalsprache übersetzt wurde, wurde auch der Einfluss des G.en direkter.

Von nun an und bis etwa zur Mitte des 20. Jh. blieb die klassische oder humanistische Bildung die Voraussetzung für jeden gebildeten Menschen, ganz gleich ob dieser sich später der Literatur, der Politik, dem Rechtswesen, der Medizin oder sonst einem Bereich des Kulturlebens widmete. In diesem Sinne ist weder die
Griechisch_19.Jh.
Vertrautheit des westlichen Kulturkreises mit dem G.en noch seine Tendenz, G. (und Latein) als Sprachmaterial für Neologismen zu verwenden, befremdlich. Heute scheint es selbstverständlich, Wörter wie catalogue, comédie, étymologie, pharmacie, pédagogie, tragédie usw. im Französischen oder analogy, paradox, emphasis, autograph usw. im Englischen zu finden, es setzt aber eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Griechischen voraus, die von einem langen und dauerhaften kulturellen Einfluss zeugt.

Der Fall der Neologismen, der neu gebildeten Wörter, ist darüber hinaus sehr interessant, weil sie nicht nur die Funktionalität, sondern auch das Ansehen des G.en (und Lateinischen) offenbaren, in einer Welt, die immer mehr gemeinsame Züge entwickelt. Sobald ein Neologismus (entweder aus griechischem oder lateinischem Wortgut, oder auch aus beiden Sprachen) entstand – in dieser Hinsicht waren es vor allem das Englische und Französische in den letzten zwei Jahrhunderten, die für reichliche Neubildungen gesorgt haben –, wurde das Wort rasch auch von anderen westlichen (und nicht nur) Sprachen übernommen, so dass heute ein wichtiger Teil des Wortschatzes der meisten europäischen Sprachen aus „universalen“ Begriffen besteht. Wörtern wie Telefon, Psychoanalyse, Television, Automobil, Mikroskop usw. steht eine sehr große Zahl an Präfixen und Suffixen zur Seite, die in jeder westeuropäischen Sprache ebenso von allgemein verständlichen Derivaten zeugen, wie z. B. aero-, panto-, zoo-, tetra-, hyper-/hiper-, -plasie/-plasia, -logie/-logia, -graphie/-grafia usw. Die Liste mit den aus dem G.en kommenden oder griechisch gebildeten oder griechische Morpheme beinhaltenden Wörter ist gerade in den europäischen Sprachen sehr lang; das Wesentliche in diesem Punkt ist allerdings nicht die Quantität, sondern der Umstand, dass sie eine sehr wichtige Stellung in der Funktionalität und dem Profil der jeweiligen Sprache einnehmen, da sie im Grunde, vom Spezialwortschatz der jeweiligen Disziplinen abgesehen, einen anspruchsvollen Teil der semantischen Bedürfnisse jeder modernen Sprache abdecken.

Ein Gebiet, das allerdings bis heute wenig erforscht worden ist, sind die Lehnübersetzungen. Von klassischen Fällen wie z.B. gr. πτῶσις > lat. casus > dt. Fall, gr. ἐπίρρημα > lat. adverbum > fr. adverbe, dt. Adverb oder gr. δύναμις (als mathematischer Ausdruck) > lat. potentia > dt. Potenz u.ä. abgesehen, gibt es eine Menge interessanter Beispiele (etwa gr. ναυάγιον > lat. naufragium > dt. Schiffbruch; gr. φαινόμενον > dt. Erscheinung; gr. ἱππο¬πόταμος > dt. Flusspferd; gr. ῥινόκερως > dt. Nashorn; gr. κλείς > dt. Schlüsselbein; gr. σωφρονιστήρ > dt. Weisheitszahn etc.), die ihren griechischen Ursprung meist leicht verraten.

Der griechische (und lateinische) Wortschatz in den europäischen Sprachen, ganz gleich wie die einzelnen Wörter in die einzelnen Sprachen eingedrungen sind, zeugt heute nicht nur von einer gemeinsamen Kulturgeschichte, sondern auch von einer aktuellen Kulturinterferenz, die trotz der großen Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Völkern und Sprachgemeinden auch auf die ebenso großen Gemeinsamkeiten hinweist.

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(Christos Karvounis)

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