Tacitus
Tacitus Publius (?) Cornelius; * um 55 † um 120 ?, Geschichtsschreiber.
Der wahrscheinlich aus Gallien stammende T. startete mit dem Amt des Prätors (88) die übliche römische Ämterlaufbahn. 97 wird er zum Konsul gewählt; 112 ist er Prokonsul in der Provinz Asia (Gebiet in der heutigen Türkei).
Sein Werk „Das Leben des Agricola“ (De vita Iulii Agricolae) ist eine Lobrede auf seinen Schwiegervater Gnaeus Iulius Agricola. Dabei versucht T. auch die nach der Ermordung Domitians aufgekommene Frage über das Verhältnis des Senats zum Kaiser zu beantworten. Das Werk behandelt die Tätigkeiten des Agricola als Statthalter in der Provinz Britannia (mit geographischen Beschreibungen). Agricola wird im Gegensatz zu Kaiser Domitian als Vorbild (exemplum) mit römischer Tapferkeit (virtus) dargestellt. Der Text ist z. T. wie eine Leichenrede aufgebaut (laudatio funebris).
In der einzigen bekannten länderkundlichen römischen Monographie „Ursprung und Lebensraum der Germanen“ (Germania/De origine et situ Germanorum) beschreibt T. die verschiedenen germanischen Stämme, ihre Gebräuche und Sitten, die er den dekadenten und korrupten Römern entgegenhält. Der Text entfaltet sich z. T. zu einer Lobrede der außenpolitischen Verdienste des Römischen Reiches.
„Dialog über die Redner“ (Dialogus de oratoribus) entstand 102–07 und erläutert die Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit (Rhetorik), die sich im Wandel von der Republik bis zur Kaiserzeit vollzog.
Die Kaisergeschichtsschreibung ›Historiae‹ (105–09) beschreibt die Herrschaft der flavischen Dynastie (69–96), von der sich bis heute die vier ersten und der Anfang des fünften Buches erhalten haben. Zeitlich entsprechen sie den Jahren 69–70 (sog. Vierkaiserjahr) und schildern in ausführlicher Form die Kämpfe um die Vorherrschaft zwischen Galba, Otho, Vitellius und Vespasian.
Die „Annalen. Vom Hinscheiden des göttlichen Augustus“ (Annales. Ab excessu divi Augusti) haben sich zum Teil erhalten: Die Bücher I–IV behandeln den Zeitraum des Regierungsantrittes und die Regierung des Kaisers Tiberius (und Germanicus). Die Bücher V, VI sind unvollständig erhalten.
Die Erzählung beginnt erneut mit dem (unvollständigen) IX. Buch Es behandelt das Jahr 47 und die Regierungszeit des Claudius (bis zum XI Buch; ebenfalls unvollständig). Ab dem XIII. Buch bis zum letztem Buch wird die Herrschaft Neros kurz vor seinem Tod (68) geschildert. Ob die Annalen mit dem 35. Kap. des XVI. Buches aufhörten oder weitergeführt wurden, kann heute nur spekuliert werden.
In jedem Buch ist ein festes Schema zu verfolgen: Nennung der jeweiligen Konsuln des beschriebenen Jahres, wichtigsten innenpolitische Ereignisse, Kriege und außenpolitische Ereignisse, große Feste, Todesfälle berühmter Persönlichkeiten werden angeführt. Bei den außenpolitischen Geschehnissen liefert T. nebenbei auch Informationen über andere Völker (z. B. Britannier, ausführlich Germanen, Parther). Dabei wird die Außenpolitik mit den innenpolitischen Berichten verknüpft.
Trotz der allgemeinen Meinung der Forschung, dass T. Geschichtsschreibung nicht unparteiisch bleibt, scheint er doch die Verdienste der Kaiser zu würdigen bzw. Fehler zu kritisieren. So wirft T. Tiberius, der umfangreichsten erhaltenen Schilderung, Neid gegen den Feldherrn Germanikus vor. Außerdem scheint sich dessen Herrschaft von Jahr zu Jahr zu verschlechtern. Doch wird der Kaiser auch gelobt (Afrika-Berichte; IV. Buch). Dadurch entsteht wiederum ein Gleichgewicht zw. seine positiven und negativen Eigenschaften. In ähnlicher Weise wird auch Claudius dargestellt. Zu einer vorbildlichen Persönlichkeit wird Germanikus stilisiert, der v. a. in den Berichten zur Außenpolitik im Vordergrund der Erzählung steht.
T. achtet entsprechend den zeitgenössischen Vorstellungen nicht nur auf die Schilderung der historischen Wahrheit, sondern auch auf die künstlerische Ausgestaltung seines Materials. Der komplizierte „taciteische“ Stil, der an Sallust anknüpft, sowie die Änderung der Reihenfolge von Ereignissen führen zu Schwierigkeiten bei der Lektüre seiner Texte.
Pfordt M. 1998: Studien zur Darstellung der Außenpolitik in den Annalen des Tacitus. Frankfurt a. M. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften). Borzsak St. 1992 (Hg.): Cornelii Taciti libri qvi svpersvnt. Ab exessu divi Augusti libri…Ps. 1. Annales I–VI. Leipzig. Baar M. 1990: Das Bild des Kaisers Tiberius bei Tacitus, Sueton, Cassius Dio. Stuttgart. Wellesley K. 1986 (Hg.): Cornelii Taciti libri qvi svpersvnt. Ab exessu divi Augusti libri…Ps. 1. Annales XI–XVI Leipzig. Flach D. 1985: Einführung in die römische Geschichtsschreibung. Darmstadt.