Rum
Rum (Sultanat)
Der Ausdruck „Rum“ bezieht sich auf Kleinasien bzw. Anatolien. Die Bezeichnung ist auf Byzanz (hist. Romaioi; Romania) zurückzuführen, das bis zum 11. Jh. über Anatolien herrschte. Am 26. 8. 1071 trafen bei Manzikert in Armenien die Byzantiner unter dem Kommando des Kaisers Romanos IV. Diogenes auf die Seldschuken unter der Führung ihres Sultans Alp Arslan. Es gelang den Seldschuken, den Byzantinern aufgrund eines Verrats in den eigenen Reihen eine vernichtende Niederlage beizubringen und den Kaiser gefangen zu nehmen. Dieses Ereignis öffnete in Folge Anatolien der türkischen Eroberung und Besiedelung. Die Seldschuken beherrschten zu diesem Zeitpunkt bereits ein großes Reich, dessen Schwerpunkt im Iran lag. Nach dem Tode von Alp Arslans Nachfolger Malik Schah (1092) machten sich die in Anatolien ansässigen Seldschuken unabhängig und gründeten das Sultanat der Rum-Seldschuken. Sie besetzten fast ganz Kleinasien und machten das nur etwa 100 km von Konstantinopel entfernte Nikäa zu ihrer Hauptstadt. Im Verlauf des ersten Kreuzzuges (1095–99) ging Nikäa den Seldschuken wieder verloren. Unter Sultan Kiliç Arslan I. (1092–1107) besiegten die Seldschuken mehrere Kreuzfahrerheere und sicherten sich ein Reich im Inneren Anatoliens. Ikonion wurde nun zu ihrer Hauptstadt. Die Seldschuken behandelten die Bevölkerung der neu eroberten Gebiete mit Toleranz. Obwohl sie als fromme Muslime in jeder eroberten Stadt eine Moschee erbauen ließen, durften Christen und Juden ihre Religion auch weiterhin ausüben. Verwaltungssprache war zunächst das Persische; erst in späterer Zeit fand auch das Türkische Verwendung. Die Seldschuken entwickelten eine rege Bautätigkeit, deren Überbleibsel sich bis heute in vielen Städten Anatoliens finden lassen. Neben Moscheen und Karawansereien (Herbergen für Händler) wurden auch Krankenhäuser und andere karitative Gebäude errichtet, die das ausgeprägte Sozialethos der Seldschuken unter Beweis stellen. Im späten 12. Jh. eroberten die Rum-Seldschuken Sinope (türk. Sinop) und Amisos (türk. Samsun) am Schwarzen Meer, und Attaleia (griech., heute türk. Antalya) am Mittelmeer und stiegen so auch zu einer bedeutenden Seemacht auf. Den Höhepunkt seldschukischer Macht in Kleinasien stellte die Herrschaftszeit Sultan ’Alā al-Dīn Kayqubād bin Kaykā’ūs (Alâeddin Keykubad) I. (1219–36) dar.
1243 unterlagen die Seldschuken den Mongolen, die aber noch große Gebiete unter seldschukischer Kontrolle beließen. Die seldschukischen Emire waren nun den Ilchanen, die die Herrschaft über Iran und Anatolien errungen hatten, lehenspflichtig. Den endgültigen Todesstoß erhielt das Sultanat von Rum 1307 durch die ursprünglich von den Seldschuken mit dem Lehen Söğütlü (bei Eskişehir) belehnte aufsteigende Dynastie der Osmanen. Die Seldschuken waren rege Förderer von Kunst und Wissenschaft. Der bekannteste, am Seldschukenhof lebende Wissenschaftler war der Mathematiker ’Omar-e Chayyām, der auch wegen seiner humoristischen, oft derben Vierzeiler Berühmtheit erlangte. Bekannteste Persönlichkeit auf religiösem Gebiet ist der aus Afghanistan stammende Mystiker Moulānā Ǧalāl al-Dīn Muhammad Rūmī; (1207–73), dessen sufistische Bewegung unter dem Namen Mevlana oder Mevlevi-Orden bis heute besteht. Er lebte und wirkte in Konya, wo sich noch heute das Stammkloster des Ordens, sowie die Gräber Rumis und seiner Nachfolger als Scheiche (Çelebis) des Ordens befinden.
Rice T. T. 1961: The Seljuks of Asia Minor. London.