Piłsudski, Józef Klemens

Piłsudski, Józef Klemens; *5.12.1867 Zułów (poln. hist., litau. Zalavas) bei Wilna †12.5.1935 Warschau.

P. wuchs in einer kleinadligen Familie auf. Prägend für seine Erziehung waren die Ideale des polnischen Freiheitskampfes. Nach Abbruch seines Medizinstudiums wurde P. wegen der Teilnahme an der Planung eines Attentates auf Zar Aleksandr III. 1887 für fünf Jahre nach Sibirien verbannt. Danach gelang ihm der Aufstieg in führende Positionen der konspirativen „Polnischen Sozialistischen Partei“ (poln. Polska Partia Socjalistyczna), er wirkte u. a. bei der Herausgabe des „Arbeiters“ (poln. Robotnik) mit. Im Februar 1900 wurde P. verhaftet. Nach seiner Flucht im Mai 1901 organisierte er bis 1906 illegale Kampfverbände, später in Galizien in legal gegründeten Schützenverbänden die Ausbildung von Kadern für eine polnische Nationalarmee.

Am 6.8.1914 überschritt P. auf eigene Initiative mit der sog. Ersten Kaderkompanie die Grenze des russischen Teilgebietes, musste sich jedoch österreichischem Oberbefehl unterstellen und begann daher im Herbst 1914, die geheime Polnische Heeresorganisation (poln. Polska organizacja wojskowa) aufzubauen.

Am 16.12.1916 wurde er als Referent der Militärischen Kommission Mitglied im Vorläufigen Staatsrat. Als 1917 die Lösung der sog. Polnischen Frage näher rückte, forderte P. die Legionäre auf, den Eid auf die Mittelmächte zu verweigern, daraufhin wurde er am 21./22.7.1917 bis Kriegsende inhaftiert. Am 10.11.1918 kehrte P. nach Warschau zurück, erhielt am 11.11. vom Regentschaftsrat die militärische und am 14.11.1918 die zivile Befehlsgewalt bis zur Konstituierung des Verfassungsgebenden Sejms übertragen, der ihn am 20.2.1919 als Staatschef und Oberbefehlshaber bestätigte. Am 19.3.1920 wurde ihm der Titel des Ersten Marschall Polens verliehen. P. war Verfechter der Jagiellonischen Idee, unter seiner politischen Führung weiteten sich die Konflikte um die polnischen Ostgrenze aus, die in dem zugunsten Polens entschiedenen polnisch-sowjetischen Krieg 1920 gipfelten, ohne dass die polnischen Territorialforderungen hier erreicht werden konnten. Aus Unzufriedenheit über die schwache Stellung des Präsidenten in der Märzverfassung und die politische Entwicklung Polens zog sich P. 1921 von seinen Ämtern und wegen Missbilligung der Organisation der obersten Militärbehörden 1923 von militärischen Würden zurück, blieb aber durch seine Kritik am System stets in der Öffentlichkeit präsent.

Im Mai 1926 unternahm P. unter der Losung „moralische Gesundung“ (›Sanacja‹) einen Staatstreich. Er blieb bis 1935 Kopf eines autoritären Regimes, obwohl nach 1928 gesundheitliche Krisen und seine häufig groben Äußerungen Zweifel an seiner geistigen Konstitution aufkommen ließen. P. übernahm bis 1935 das Ministerium für Militärische Angelegenheiten sowie das Generalinspektorat der Streitkräfte und zwei Mal das Amt des Premiers (2.10.1926-27.6.1928 und 25.8.-4.12.1930), interessierte sich hier aber vorrangig nur für das Militär und die Außenpolitik. Durch seine charismatische Ausstrahlung gelang es ihm, eine treue Anhängerschaft aufzubauen; insbesondere seine Tätigkeiten im Ersten Weltkrieg waren die Grundlage für den 1926 beginnenden politischen Kult um ihn.

P. ist der umstrittenste polnische Politiker des 20. Jh. Das kommunistische Regime der Volksrepublik Polen versuchte, sämtliche Erinnerungen an P. auszulöschen, während die Solidarność-Bewegung sich in den 1980er Jahren auf ihn berief.

Garlicki A. 1988: Józef Piłsudski. Warszawa. Hein H. 2002: Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung für den polnischen Staat 1926-1939. Marburg. Suleja W. 1995: Józef Piłsudski. Wrocław.

(Heidi Hein-Kircher)

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