Makedonisch (Überblick)

Makedonisch


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

Die m.e Standardsprache ist Amts- und Verwaltungssprache der Republik Makedonien. Verwandte Dialekte werden in angrenzenden Teilen Albaniens, Bulgariens und Griechenlands gesprochen. Die slawischsprachigen Makedonier bilden in der Republik Makedonien nur eine knappe Mehrheit (64,2 %). Die Landschaft Makedonien wurde als Ergebnis der Balkankriege von 1912/1913 sowie des ersten Weltkriegs auf die Staaten Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland verteilt, wobei eine Anzahl slawo-makedonischer Dörfer an Albanien fiel. Innerhalb Jugoslawiens wurden die Makedonier 1944 als eigene Nation anerkannt. In Griechenland gibt es offiziell keine slawisch-m.e Minderheit, inoffiziell werden deren Angehörige als ›entopioi‹ „Einheimische“, als „Slawo-Makedonen“ oder – verächtlich – als ›Voulgaroi‹ „Bulgaren“ bezeichnet. Die Zahl der „slawischsprachigen Griechen“ dürfte zwischen 100.000 und 250.000 liegen. Für Bulgarien setzt Eurominority ca. 160.000. Makedonier und Pomaken an (nach INTEREG, Schätzung 1994); in der letzten Volkszählung 2001 gaben 5071 Personen in Bulgarien die makedonische Nationalität an.

2 Entstehungsgeschichte

Die antiken Makedonen verwendeten das Griechische als Schriftsprache, hatten aber eine eigene Sprache (bzw. einen eigenen Dialekt), die bzw. der von den Griechen nicht verstanden wurde, weswegen diese die Makedonier als Barbaren betrachteten. Die heutigen Makedonier übernahmen später den Namen des antiken Volkes. Es gibt aber keine Verbindung zwischen der (nur bruchstückhaft überlieferten) altm.en Sprache und der heutigen, m.en Sprache. Als es im 19. Jh. auch innerhalb des östlichen Christentums zu einer Differenzierung nach Nationalitäten kam, identifizierten sich die Makedonier mehrheitlich mit den Bulgaren. Nach der Teilung Makedoniens, die im Vertrag von Versailles 1919 bestätigt wurde, stellte die Komintern ein Programm auf, das die Bildung einer m.en Nation vorsah. Im Rahmen der allgemeinen Gleichsetzung von Nation und Sprache bedeutete dies zwangsläufig die Notwendigkeit einer als solche erkennbaren m.en Sprache. Hieraus erklärt sich die große Bedeutung der Sprache und Literatur im nationsbildenden Prozess: die Komintern-Entscheidung von 1934 forcierte die Schöpfung einer m.en Schriftsprache deutlich. Am 2.8.1944 fand im Kloster Prochor Pčinski die Gründung der „Antifaschistischen Versammlung der Volksbefreiung Makedoniens“ (makedon. Antifašističko sobranie na narodnoto osloboduvanje na Makedonija, ASNOM) statt. Der Rat beschloss die Einführung der „m.en Sprache“ als offizieller Sprache des neuen m.en Staates.

Die erste slawische Schriftsprache – das sog. Altkirchenslawische bzw. Altbulgarische – entstand im 9. Jh. auf der Grundlage des altostsüdslawischen Dialekts der Umgebung von Saloniki, als die christlichen Schriften zu Missionszwecken ins Slawische übersetzt werden mussten. Diese Sprache bzw. ihre spätere Entwicklungsstufe, das Kirchenslawische, diente den orthodoxen Slawen neben dem Griechischen noch tausend Jahre lang als Mittel der schriftlichen Kommunikation. Da sich im Laufe der Zeit die in Makedonien gesprochenen slawischen Dialekte von dieser grammatisch, auch phonologisch und lexikalisch, sehr weit entfernt hatten, war das Kirchenslawische in Makedonien im 19. Jh. für die einfachen Menschen unverständlich geworden. Wer diese Menschen in literarischer oder erbaulicher Absicht erreichen wollte, musste sich ihrer Mundarten bedienen oder zumindest eines Idioms, das deren grammatische und lexikalische Merkmale widerspiegelte. Aus dem späten 18. und dem 19. Jh. sind verschiedene Texte in m.en Mundarten überliefert. Ferner erschienen mehrsprachige Lexika bzw. Sprachführer, z. B. das „viersprachige Lexikon“ (griech. Tetragloson) des Daniil von Moskopole (aromun. Daniil Moscopoleanul) vom Ende des 18. Jh., eigentlich ein Lehrbuch des Griechischen für Kinder anderer Muttersprache.

Die Brüder Dimităr (?1810–62) und Konstantin Miladinov (1830–62) aus Struga sind v. a. als Herausgeber einer Sammlung von Volksliedern aus Bulgarien und Makedonien bekannt, sie waren aber auch als Publizisten und Schriftsteller tätig. Partenij (Partenija) Zografski (weltlich Pavel Chadživasilkov Trizloski, 1818–76), ein Schüler Dimităr Miladinovs, publizierte zwei Schulbücher, „Kurze heilige Geschichte der Kirche des Alten und Neuen Testaments“ (bulg. Kratka Svjaštenna Istorija na Vetcho-i- Novozavetna-ta Cʹrkovʹ, 1857) sowie „Anfangsunterricht für Kinder“ (bulg. Načálnoe učénie za děca-ta, 1858). In seinem Artikel „Gedanken über die bulgarische Sprache“ (makedon. Misli za bolgarskij-ot jazik) von 1858 plädiert Partenij Zografski für eine m.e Variante innerhalb der bulgarischen Literatursprache als Vorstufe auf dem Weg zu einer einheitlichen gesamtbulgarischen Standardsprache unter Einschluss des M.en.

Grigor S. Părličev (griech. Grigorios Stavridis, 1830-93) verfasste zunächst eine preisgekrönte Dichtung auf griechisch (›Ho Armatolos‹, Athen 1860), die er später in eine m.e Schreibsprache übertrug. Er übersetzte auch die Ilias und die Odyssee; ferner schrieb er eine Autobiographie. In seinen Schriften versuchte sich Părličev an der Schaffung einer gemeinslawischen Sprache auf kirchenslawischer Grundlage mit Elementen der russischen Schriftsprache und der ostsüdslawischen (bulgarischen bzw. m.en) Mundarten. Daneben entfaltete Părličev eine rege Vortragstätigkeit mit Reden zu kulturpolitischen Themen. Diese Vorträge sind an den gesprochenen westm.en Mundarten orientiert. Auch Kuzman Šapkarev (1834–1909) gab Schulbücher in einer westm.en Ohrider Schreibsprache mit Elementen des Kirchenslawischen, des Russischen und der bulgarischen Literatursprache heraus. Auch der Veleser Rajko Žinzifov (1839–77) publizierte in einem künstlichen Gemisch aus m.en, bulgarischen, russischen und kirchenslawischen Elementen, das literarisch wenig zu überzeugen vermochte. Von 1892-94 gab die „Jungmakedonische Literaturgesellschaft“ (bulg. Mlada Makedonska Knižovna Družina) in Sofia die literarische Zeitschrift „Rebe“ (bulg. Loza ) heraus, wobei die Gruppe jedwede separatistischen Neigungen leugnete. Die ersten vier Ausgaben der Zeitschrift waren in einer besonderen Orthographie mit einigen auffälligen Makedonismen (z. B. lautet der Artikel bei männlichen Substantiven im Sg. /-ot/) gehalten. Diese Praxis hörte danach ohne Erklärung (aber offenbar aufgrund politischen Drucks) auf.

Der erste Schriftsteller, der bewusst und eindeutig für eine eigene m.e Schriftsprache eintrat, war Ǵorǵi Pulevski (Georgi Pulev). Pulevski veröffentliche ein m.-albanisch-türkisches Wörterbuch (Belgrad 1875). In der Einleitung schreibt er (auf serbisch): „Von daher schrieb ich es [dieses Buch] auf s.-m. Denn in dieser Gegend [in Makedonien] versteht man das Bulgarische nicht“. Die Bezeichnung ›s.-m.‹ konnte als „slawisch-m.“ oder aber auch als „serbisch-m.“ gelesen werden – mit diesem Trick sollte die serbische Zensur überlistet werden. Pulevski veröffentlichte 1880 auch eine Grammatik.

1903 erschien in Sofia nach dem gescheiterten Ilinden-Aufstand ein Buch von Krste P. Misirkov (1874–1926) mit dem Titel „Zu den m.en Angelegenheiten“ (makedon. Za makedonckite raboti). Misirkov fordert die Schaffung einer m.en Nation mit eigener Standardsprache. Sein Buch stellt bereits ein Dokument der geplanten Schriftsprache dar. Als dialektale Basis für seinen Standardisierungsvorschlag wählt Misirkov den zentralm.en Dialekt, allerdings unter Einschluss gewisser Merkmale der Ohrider Mundart. Misirkov legte großen Wert auf einen Abstand der neuen Literatursprache zu den benachbarten südslawischen Standardsprachen, der heute aber wesentlich geringer ist. Misirkovs Buch konnte keine größere Wirkung entfalten, da die meisten Exemplare auf Betreiben der bulgarischen Behörden hin eingestampft wurden, zwei der wichtigsten m.en Literaten der Zwischenkriegszeit, Kočo Racin und Kole Nedelkovski, sollen es allerdings gekannt haben.

Racin sollte im Auftrag der kommunistischen Partei eine Literatur in m.er Sprache schaffen. Seine dichterische Sprache spiegelt neben Eigenarten seiner eigenen, Veleser Mundart auch bewusst interdialektale Elemente wider. Racin veröffentlichte 1939 in Zagreb „Weiße Morgendämmerungen“ (makedon. Beli mugri), eine kleine aber durchaus beeindruckende Sammlung von Gedichten.

Auch Kole Nedelkovski und Venko Markovski, die in Sofia „westbulgarische Mundartdichtung“ in bulgarischer Orthographie publizierten, orientierten sich am zentralm.en Dialekt. Nikola Vapcarov, aus Bansko in Pirin-Makedonien, der auch bisweilen als m.er Dichter reklamiert wird, schrieb standardbulgarisch, wie auch der Strugaer Romancier Dimităr Talev. Während sich Racin um Neologismen auf autochthon-m.er Grundlage bemühte, griff Markovski zu Entlehnungen aus dem Bulgarischen, Russischen oder Serbischen. Daneben florierte in Vardar-Makedonien auch eine reiche Dramenliteratur in m.en Mundarten bzw. Schreibsprachen. Dazu zählen die Stücke Vasil Iljoskis, etwa „Die Ausreißerin“ (makedon. Begalka, 1928) und „Der reiche Teodos“ (makedon. Čorbadži Teodos, 1936). Die Amts- und Verwaltungssprache war zwar das Serbische, die Mundartliteratur – und als solche galten ja diese Dramen – wurde aber nicht behindert. Dadurch bildete sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jh. tendenziell eine Norm heraus, die auf den zentralm.en Mundarten basierte. Die Verwendung der neuen Literatursprache in der Sachliteratur, also in den Propagandaschriften der nationalen Befreiungsbewegung ab 1940, erwies sich als weit schwierigeres Unterfangen.

3 Merkmale

Das südslawische Dialektkontinuum lässt sich grundsätzlich in eine westsüdslawische (slowenisch-kroatisch-bosnisch-serbische) und eine ostsüdslawische (m.-bulgarische) Gruppe aufteilen.

Man unterscheidet eine westm.e und eine ostm.e Dialektzone. Ein wichtiger Zug der westm.en Dialektzone ist die feste Betonungsstelle, im Gegensatz zur freien Betonung im Ostm.en. Innerhalb der westm.en Dialektzone bilden die zentralm.en Mundarten um Prilep (teilweise einschließlich der Mundarten von Kičevo, Veles, Bitola und Florina (makedon. Lerin) eine besondere Gruppe. Bereits im 19. Jh. schälte sich das Zentralm.e als Grundlage einer möglichen m.en Literatursprache heraus. Krste P. Misirkov definierte Prilep und Bitola als den Mittelpunkt – auch den symbolisch-geistigen – von Makedonien. Koneski weist zur Begründung auf den höheren Entwicklungsstand der Städte Veles, Prilep, Bitola und Ohrid im 19. Jh. hin. Die Literatursprache ist zunächst allgemein eine städtische Erscheinung, insofern sich die Sprache des wirtschaftlichen Zentrums vielfach auch als Literatursprache durchzusetzen vermag, denn der höhere wirtschaftliche Stand ermöglicht auch tendenziell einen kulturellen und intellektuellen Aufschwung. Es gibt eine klare Beziehung zwischen Modernisierung, ›nation building‹ und der Herausbildung der europäischen Standardsprachen. Die führenden Gestalten der m.en Kultur im 19. Jh. stammten aus dem westm.en Gebiet. Hier wurde auch der größte Teil der m.en Volkspoesie gesammelt.

Auf der Tagung des ASNOM vom 2.8.1944 wurde beschlossen, die „m.e Volkssprache“ bzw. die „nationale Sprache der Makedonier“ (makedon. narodniot makedonski jazik) in der Volksrepublik Makedonien „als Amtssprache“ einzuführen. Selbstverständlich kann „die Volkssprache“ nicht den Anforderungen einer modernen Gesellschaft entsprechen, sie dient lediglich als Basis für eine Standardsprache. Die Empfehlungen einer Orthographie-Kommission wurden am 5.5.1945 veröffentlicht und am 7.6. verkündet. 1948 wurde die Kodifikation leicht modifiziert und 1950 erschien ein orthographisches Wörterbuch, womit die Phase der Kodifikation abgeschlossen und der Ausbau begonnen bzw. fortgesetzt werden konnte. Einige Punkte der Kodifikation wurden erst in der Grammatik von Koneski 1952–54 ausführlich beschrieben. Die autochthone Lexik der m.en Standardsprache stammt aus verschiedenen Dialekten, viele Realien werden mit Turzismen bezeichnet. Türkische Bezeichnungen abstrakter Begriffe sind hingegen durch slawische (häufig letztlich kirchenslawische) Ausdrücke ersetzt worden. Andere Kirchenslawismen oder Ausdrücke aus dem Russischen oder der bulgarischen Standardsprache sind wiederum durch autochthon m.e ersetzt worden. Charakteristisch für die m.e Standardsprache ist die feste Betonung auf der drittletzten Silbe (Proparoxytonie). Die m.e Sprache ist zudem stark „balkanisiert“. Charakteristische Züge des Balkansprachbunds sind: Zusammenfall von Genitiv und Dativ; Verlust der Kategorie des Kasus beim Substantiv; nachgestellter bestimmter Artikel; Verlust des Infinitivs; Objektverdoppelung. Die Bildung des Verbs ist formenreich und kompliziert (neben Präsens, Imperfekt, Aorist, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur, Futur Exaktum und Admirativ gibt es noch einen sog. Narrativen Modus – eine besondere Form des Nacherzählens).

Die m.e Standardsprache wird in der serbischen Variante der Kyrilliza geschrieben. Die m.e Orthographie ist – anders als die der meisten europäischen Sprachen – grundsätzlich phonologisch, d. h., es wird derjenige Laut geschrieben, der auch gesprochen wird. Das Graphem <љ> hat allerdings einen anderen Wert als in der serbischen Orthographie. Über die serbische Graphie hinaus hat die m.e Standardsprache ihre eigenen Sonderzeichen <ѓ> und <ќ >. Es fehlt ferner das Zeichen <ъ> für den mittleren Vokal ([ə]). Wenn der mittlere Vokal im Anlaut auftritt, wird er mit einem Apostroph dargestellt: <’>.

Während die kodifizierte Standardsprache in amtlichen Domänen obligatorisch verwendet wird, ist in weniger förmlichen öffentlichen Bereichen auch der ›razgovoren stil‹, die Alltagssprache, zulässig. Im nichtöffentlichen Bereich wird auch der Substandard verwendet. Dieser basiert auf dem Stadtdialekt von Skopje, der einen Übergang zu den benachbarten serbischen Dialekten darstellt, aber außerdem vieles aus der serbischen Standardsprache übernommen hat. Der Substandard begann als Studentenjargon und integrierte Elemente aus anderen Dialekten, da die Hauptstadt aufgrund der Landflucht viele Menschen aus anderen Teilen der Republik aufnahm. Absolventen der Universität Skopje wurden zu Journalisten und übernahmen Elemente des Substandards in den publizistischen Stil.

Seit der Unabhängigkeit der Republik ist die Kodifizierung der Standardsprache Gegenstand z. T. scharfer Auseinandersetzungen gewesen („bulgarophil“ versus „serbophil“). Die m.e Standardsprache ist heute polyvalent. Sie hat in weniger als 50 Jahren die Entwicklungsstadien vollzogen, die anderswo teilweise Jahrhunderte erforderten. Die Verfassung der Republik (›Ustav na Republika Makedonija‹) ist ein beeindruckendes Dokument des vollausgebildeten Verwaltungsstils.

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(Peter M. Hill)


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