Saaremaa

Saaremaa (estn./russ., dt./russ./schwed. hist. Ösel, „Inselland“)

Inhaltsverzeichnis

1 Geographie

S. gehört zur Inselgruppe Väinamere (auch Moonsundi-Archipel) und ist mit 2673 km² die größte der 1521 Insel Estlands. Ihre Höhe erreicht nicht mehr als 54 ü. d. M. Die mittlere Temperatur beträgt im Januar –4 °C, im Juli 17 °C, die jährliche Niederschlagsmenge etwa 550 mm. S. ist zudem der Name eines Landkreises (auch S.-Landkreis genannt), zu dem S. als Hauptinsel (91,5 % des Landkreisterritoriums und 94,1 % der Landkreisbevölkerung) sowie andere kleinere Insel (u. a. Muhu, Ruhnu, Abruka, Vilsandi) gehören. Der Landkreis S. umfasst 2922 km² (6,5 % des estnischen Territoriums) und hat 34.978 Ew. (2006, 2,6 % der Gesamtbevölkerung). Mit 98,3 % Esten ist die Bevölkerung homogen, Integrationsprobleme sind unbekannt. Rund ein Drittel der Einwohner lebt in der einzigen Stadt des Landkreises, Kuressaare. S. hat eine reiche und vielfältige Flora und Fauna: 40 % des Landkreises besteht aus Wald (insbesondere Mischwald), über 200 Spezies (z. B. marmorierte Seehunde Phoca hispida) und 120 Pflanzen (z. B. Rhinanthus osiliensis, eine seltene kleine Blume) stehen unter Sonderschutz und jeden Frühling und Herbst halten dort Tausende von Zugvögeln. Der Landkreis kennt zwei Naturschutzgebiete, Viidumae auf S. und die Insel Vilsandi, sowie mehr als 200 geschützte Naturobjekte (Parks, Felsen, Bäume). Auf S. befindet sich in einer Landschaft von 30 Meteoritenkratern der größte Europas, der kreisrunde See Kaali (50 m Durchmesser, 16 m Tiefe), zwischen 700 und 800 v. Chr. entstanden. Ein 4 km langer Straßendamm verbindet S. mit der Insel Muhu.

2 Kulturgeschichte

Die in den altnordischen Sagas des 8.–10. Jh. ›Eysysla‹ genannte Insel wird seit rd. 5000 Jahren aufgrund der günstigen klimatischen und geographischen Bedingungen bewohnt. Die Bevölkerung lebte v. a. von Raub- und Sklavenhandel. Im Januar 1227 fiel die Insel an den Schwertbrüderorden. Die Bewohner wurden unter Zwang christianisiert und dem unter dänischer Herrschaft stehenden Bistum und Stift Ösel-Wiek (estn. Saare-Lääne) angegliedert. Es kam immer wieder zu Aufständen, u. a. 1343–45. 1346 verkaufte Dänemark S. an den Deutschen Orden. 1559 veräußerte der Bischof von Ösel-Wiek und Kurland, Johann v. Münchhausen, seine Bistümer dem dänischen König Frederik II. Bis zum Friedensvertrag von Brömsebro (1645) blieb S. hauptsächlich in dänischer Hand. Es folgte die schwedische Herrschaft, die wegen der raschen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen als „goldene Zeit“ bezeichnet wird. 1710 fiel S. während des Nordischen Krieges an Russland und erlebte eine lange Krise. Erst um 1840 zeichnete sich durch die Eröffnung einer Badestelle und eines Moorbades wieder ein Aufschwung ab, von dem insbesondere die Stadt Kuressaare profitierte. Nach dem Rückzug der russischen Truppen im Oktober 1917 wurde S. trotz heftigen Widerstands von den Deutschen besetzt. Die Ende des 19. Jh. begonnene Landreform wurde in den 20er Jahren fortgesetzt: 1939 gab es auf S. ca. 10.000 Bauernhöfe. Gleichzeitig aber halbierte sich die Anzahl der Kurgäste. Im Juni 1940 wurde die Insel von der Roten Armee besetzt und anschließend ca. 1000 Bewohner nach Sibirien deportiert. Von September 1941 bis Oktober 1944 währte die deutsche Okkupation, die – vor dem erneuten Einzug der Sowjetarmee – mit einer Massenflucht und der Deportation von etwa 3000 Bewohnern in das Deutsche Reich endete. Im März 1949 wurden durch die Sowjetregierung weitere Deportationen nach Sibirien veranlasst. Etwa Anfang 1950 war die Kollektivierung mit 199 Kolchosen im Landkreis S. abgeschlossen. Die Insel wurde aufgrund ihrer geostrategischen Lage nun militärisches Sperrgebiet. Im Oktober 1990 wurde S. schließlich zum ersten Landkreis des unabhängigen Estlands.

Das von dem Heimatdichter S.s, August Mälk (1900–1987), beschriebene ländliche Leben der Insel hat sich in Form charakteristischer Steinzäune, strohgedeckter Häuser, Volkstrachten, Dialekte und Blockmühlen noch weit erhalten. Insbesondere das aus einem Bändelteil und einem kurzen Oberhemdchen mit langen Ärmeln bestehende Hemd sowie die Langröcke mit vertikaler Rückennaht sind Einflüsse der auf S. ab dem 13. Jh. lebenden Schweden. Finnischer Herkunft wiederum ist eine spezifische Art der Schuhe und Stiefel. Bis heute auf der Insel lebendig ist die Erzählung vom Großen Tõll und dessen Kämpfen gegen den „Alten Heiden“ (estn. Vanapagan). Zu den Sehenswürdigkeiten S.s zählen die steinerne Kapelle von Valjala sowie zahlreiche Fragmente von Skulpturen und Wandmalereien vom Anfang des 13 Jh.

Masing V. (Hg.) 1990: Flora and vegetation of Saaremaa island. Tallinn. Saaremaa. http://www.saaremaa.ee [Stand 25.3.2004]

(Catherine-F. Gicquel)

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