Geometrie (Russland)

Geometrie (Russland)

Geometrisches Wissen in der „Alten Rus“ existierten in der Praxis beim Hausbau und der Landvermessung, über deren Funktionieren wir jedoch nur spekulieren können, da sie mündlich weitergegeben wurde. In der Schriftlichkeit war die Disziplin „Mathematik“ – und mit ihr die G. - wegen ihrer Nähe zur Astrologie verfemt. In Anlehnung an die Kirchenväter wurde sie von russischen Autoren abgelehnt und bekämpft.

Zu Praxis und Regeln der Landvermessung im 16. Jh. gibt es Auskünfte in den Handschriften (›sosnoje pismo‹) des 17. Jh. In dieser Zeit finden sich in handschriftlichen Überlieferungen auch „Ziffern- und Rechenweisheiten“. Sie sind eine Art von Handbüchern der Arithmetik mit einigen Elementen der G. Sie gehen auf Übersetzungen aus der westeuropäischen –vermutlich deutschen –Literatur mit Adaptionen zu den russischen Gegebenheiten zurück. Sie dienen v. a. praktischen Aufgaben und haben keinen entwickelten Sinn für das Wesen einer geometrischen Disziplin.

Für die kulturhistorisch problematische Position der G. in einem zu Beginn des 17. Jh. als soziales Milieu schwach ausgeprägten intellektuellen Umfeld ist der Fall der Übersetzung des Kriegsbuches von Leonhard Fronsperger mit umfangreichen Kapiteln zu geometrischen Themen, das nie als ganzes rezipiert wurde, besonders interessant. Einzelne Elemente in der handschriftlichen Überlieferung des 17. Jh. (z. B. Berechnung der Lage von nicht erreichbaren Punkten) lassen eine partielle Übernahme dieser Techniken vermuten, die für den russischen Staat und seine neue Artillerie im Kampf mit seinen westlichen Nachbarn überlebenswichtig war. Das ähnliche Schicksal des Handbuchs von Ivan Albertus Dalmackij demonstriert die häufig nur verdeckte Rezeption westeuropäischer Literatur am Hofe des Zaren im orthodoxen Moskau bis zur Mitte des 17. Jh.

Eine erste Etablierung der G. als Disziplin findet im Rahmen der ›Septem artes liberales‹ statt, die Teil des Ausbildungskanons einer neuen Art von Schulen im ostslawischen Raum waren, der sich von den orthodoxen Bruderschaften über die Akademie in Kiew bis nach Moskau ausbreitete. In dem 1703 für die Navigationsschule in Moskau gedruckten Lehrbuch ›Arifmetika‹ von Magnickij, Leontij Filippovič|Leontij F. Magnickij]], das auch über geometrische Teile verfügt, ist eine weitere Systematisierung und Normierung des geometrischen Wissens in Russland als Disziplin festzustellen.

(Stefan Schneck)

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