Kriegsgefangenschaft

Kriegsgefangenschaft

Kriegsgefangene gab es in Russland seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West. So nahmen bereits im 16. Jh. unter Ivan IV. Groznyj livländische und polnische Gefangene am Aufbau von Siedlungen in Sibirien teil. Eine große Zahl von feindlichen Soldaten, darunter viele Deutsche, fiel zur Zeit der Napoleonischen Kriege in die Hände der Zarenarmee.

Zu einem Massenphänomen wurde die K. in Russland bzw. der UdSSR im 20. Jh. Im Ersten Weltkrieg teilten nach Angaben der offiziellen Auskunftsämter für Kriegsgefangene in Deutschland und Österreich 2.111.146 österreichisch-ungarische, 158.104 reichsdeutsche und 51.000 türkische und bulgarische Soldaten das Schicksal der Gefangenschaft. Von den in russische Gewalt geratenen deutschen Armeeangehörigen starben 9,97 %, das Schicksal von 33,02 % blieb ungeklärt. Die Zahlen für die österreichisch-ungarischen Gefangenen sprechen von 9,24 % Toten und 9 % ungeklärten Fällen. Es verloren fast ausschließlich Mannschaftsangehörige ihr Leben, wobei die Todesursache vor allem epidemische Krankheiten – in erster Linie Flecktyphus – waren. Das hatte seinen Grund darin, dass die russischen Behörden auf eine solche Masse von Gefangenen nicht vorbereitet waren und sie zunächst in unzureichenden Unterkünften in Sibirien und Zentralasien zusammenpferchten. Zudem war die Verpflegung in den allermeisten Fällen mangelhaft. Den Typhusepidemien der Winter 1914/5 und 1915/6 sollen beispielsweise in einem Lager in Novonikolaevsk (heute Nowosibirsk) 80 % der Insassen zum Opfer gefallen sein, in Tockoe (Gouvernement Samara) 17.000 von 25.000. Ab dem Sommer 1915 wurden die gefangenen Mannschaftsangehörigen zur Arbeit herangezogen und häufig aus Asien in das europäische Russland zurücktransportiert. Hier machten sie sehr unterschiedliche Erfahrungen. Beim Bau der Murmanbahn von Petrozavodsk bis zu dem heutigen Murmansk war eine große Zahl von Gefangenen eingesetzt. Bedingt durch vitaminarme Ernährung, harte Arbeit und grausame Wachmannschaften starb ein beträchtlicher Teil, etwa 25–28.000 von rund 80.000 arbeitenden Gefangenen. Die Arbeit in der Landwirtschaft hingegen galt als Privileg, das zunächst den von den Russen als befreundet eingestuften Slawen vorbehalten war. In den kleinbäuerlichen Betrieben wurden die Gefangenen meist als Familienangehörige behandelt und besaßen eine beträchtliche persönliche Freiheit. Im Januar 1917 waren 496.917 Mann in der Landwirtschaft eingesetzt. Demgegenüber waren die Offiziere entsprechend den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung, die von den zaristischen Behörden sorgfältig beachtet wurde, von der Arbeitspflicht befreit. Sie lebten getrennt von den Mannschaften und verbrachten oft die gesamte Zeit ihrer Gefangenschaft in den Lagern. Sie waren daher im Gegensatz zu den arbeitenden Mannschaftspersonen weit mehr gefährdet, der „Stacheldrahtkrankheit“ zum Opfer zu fallen. Durch das jahrelange Zusammenleben auf engstem Raum steigt die Reizbarkeit der Gefangenen, ihre Lebensweise wird ruhelos.

Um ihrem Leben einen Inhalt zu geben, entfalteten die Offiziere eine Vielzahl gemeinschaftlicher Aktivitäten. Es entstanden Sportgruppen, Chöre und Orchester, Theatergesellschaften und Bildungskurse.

Die Machtergreifung der Bolschewisten im November 1917 brachte für die Gefangenen eine wesentliche Veränderung mit sich, ein Teil wurde gänzlich freigelassen. Allerdings stellten die Russen nun an vielen Orten die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln ein, so dass viele Soldaten der Mittelmächte verhungerten, so in Caricyn sowie in Zolotaja Orda und Skobelev (heute Farḡona) in Turkestan. Auf der anderen Seite nutzten viele Gefangene die neu erworbene Freiheit und gründeten Gewerbebetriebe. So kamen manche in dem Land ihrer Internierung zu Wohlstand. In der Folge des Brest-Litovsker Friedensvertrags vom 3.3.1918 wurden zwischen den Mittelmächten und Sowjetrussland Protokolle über den Austausch der Kriegsgefangenen abgeschlossen. Aus dem europäischen Russland wurden bis Ende 1918 tatsächlich alle Gefangenen heimtransportiert. Die in Sibirien befindlichen 400.000 Gefangenen gerieten jedoch unter die Herrschaft der „Weißen“ und Tschechoslowaken, die einen Aufstand gegen die Sowjetmacht begonnen hatten. Sie erkannten den Frieden von Brest-Litovsk nicht an und stellten die Gefangenen wieder unter ein hartes Lagerregime. Deren Heimkehr wurde teilweise erst nach dem Sieg der Sowjetarmee 1920 möglich.

Das Bild der Gefangenschaft in Russland wird heute v. a. durch die Erfahrungen der Gefangenen des Zweiten Weltkriegs geprägt. Nach den Berechnungen des deutschen Historikers Böhme starben von etwa 3.155.000 Deutschen und Österreichern in der Sowjetunion etwa 1.110.000 Mann.

Die Geschichte der K. in Russland im Zweiten Weltkrieg begann schon im September 1939, als die Sowjetarmee Ostpolen besetzte. Bis zum 2.10.1939 fielen 452.536 Polen, darunter 18.789 Offiziere, in sowjetische Gewalt. Die Gefangenen unterstanden dem NKVD („Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten“). Am 19.9.1939 wurde gemäß einem Befehl Berijas eine „Verwaltung für Kriegsgefangene“ (UPV) gebildet. Am 22.6.1941, dem Tag des deutschen Überfalls, befanden sich im Bestand der im Dezember 1939 umbenannten „Verwaltung für Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten“ (UPVI) des NKVD acht Lager mit 40–45.000 Plätzen, in denen 27.435 polnische Kriegsgefangene lebten.

Am 1.7.1941 wurde eine „Verordnung über die Kriegsgefangenen“ vom Rat der Volkskommissare angenommen. Offiziere sollten nur bei ihrem Einverständnis zur Arbeit herangezogen werden. Die hauptsächlichen Punkte der Verordnung entsprachen der Genfer Konvention von 1929, obwohl diese von der Sowjetunion nicht unterzeichnet worden war. Damit war die Hilfe für die Gefangenen durch neutrale Schutzmächte und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz nicht möglich. Die Verordnung enthielt weniger Bestimmungen zum Schutze der Gefangenen als die Genfer Konvention. Diese Lücke wurde mit der Zeit durch verschiedene Instruktionen und Regeln, Befehle und Verfügungen des NKVD gefüllt. Am 11.1.1945 wurde die UPVI in die Hauptverwaltung des NKVD für die Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten (GUPVI) umgewandelt. In den Unionsrepubliken wurden Einrichtungen für die Verwaltung der Kriegsgefangenen geschaffen, ebenso in den Kreisen und Gebieten der RSFSR. Wegen der Verringerung der Zahl der Kriegsgefangenen wurde am 20.6.1951 die GUPVI in die Verwaltung für die Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten (UPVI) umgewandelt. Am 20.4.1953 liquidierte dann die Sowjetführung im Zusammenhang mit der Repatriierung der Internierten und der Hauptmasse der Gefangenen die UPVI und übergab ihre Funktionen der Gefängnisverwaltung des MVD, des Ministeriums des Innern der UdSSR, das die Stelle des NKVD eingenommen hatte.

In der Anfangszeit des Krieges fielen nur sehr wenige Soldaten der Wehrmacht in sowjetische Gewalt, bis 1.1.1942 waren es etwa 9000. Auch 1942 stieg die Zahl der Gefangenen langsam, bis 19.11. gerieten 10.635 Wehrmachtsangehörige in sowjetische Hand. Gegen Ende des Jahres 1942 kam es dann aber zu einem massenhaften Transport von Gefangenen in die Lager. Bis Ende 1942 gelangten 80.000 feindliche Soldaten in die Empfangsstationen für die Gefangenen, was sich auch in den ersten Monaten des Jahres 1943 fortsetzte. An der Südfront, wo die Rote Armee die eingekesselten Streitkräfte der Achsenmächte in Stalingrad liquidierte, fielen 151.246 Personen in Gefangenschaft. In der Stadt allein ergaben sich 91.000 Mann. Die Zahl der Gefangenen stieg von 189.683 Anfang März 1943 über 252.028 im März 1944 auf immerhin 680.921 am 5.12.1944.

Während bis 1945 lediglich ungefähr 1 Mio. Gefangene in das System der GUPVI eintraten, vervielfachte sich ihre Zahl in diesem Jahr. Nach der Kapitulation Deutschlands gerieten 1.366.298 Gefangene in den Machtbereichs Berijas. Am 8.6.1945 gab es bereits 206 Gefangenenlager auf dem Gebiet der UdSSR. Im Laufe des Jahres 1945 wurden 222 Lager und 2713 Lagerabteilungen neu organisiert.

Mitte 1946 befanden sich in der UdSSR 3.038.374 Kriegsgefangene, darunter 1.571.877 Deutsche und 466.497 Japaner. Im Laufe des Jahres 1947 verringerte sich die Zahl der Gefangenen von 1.793.255 auf 1.200.604 Menschen. Anfang 1949 waren 542.576 Gefangene, darunter 450.964 Deutsche in den Lagern verblieben, von ihnen waren etwa 25.000 Frauen, die zum Wehrmachtsgefolge gehört hatten. Im Sommer 1951 lebten noch 20.956 Personen in den Lagern der UPVI.

Die Gefangennahme war für viele Soldaten der Wehrmacht ein traumatisches Erlebnis. Durch die nationalsozialistische Propaganda indoktriniert, rechneten sie mit ihrer Ermordung. Sie waren dann überrascht, am Leben zu bleiben, auch wenn es zu Übergriffen der Rotarmisten kam. Zunächst wurden sechs Frontverteilungsstellen für Kriegsgefangene organisiert, in denen die Gefangenen einer dreiwöchigen Quarantäne unterlagen. Mit der Zeit bildete sich ein Frontlager-Netz, bestehend aus den Aufnahmepunkten und den Front-Aufnahme-Durchgangslagern (FPPL) heraus, das dann bis Jahresende 1945 aufgelöst wurde. Bereits der Transport in die Lager kostete vielen Gefangenen das Leben. Dies galt in besonderem Maß für die Deutschen und ihre Verbündeten, die Anfang 1943 bei den Kämpfen und der Kapitulation von Stalingrad in sowjetische Gewalt gerieten. Die Stadt war zerstört, weshalb die oft unter Erfrierungen und Schwäche leidenden Soldaten gezwungen wurden, Fußmärsche von 200–300 km im Laufe von 7–10 Tagen zu neuen Unterbringungsorten zurückzulegen, was zu einer hohen Sterblichkeit unter ihnen führte. Von den rund 91.000 Überlebenden der Schlacht starben in der ersten Zeit der Gefangenschaft etwa 27.000. Der große Zustrom von Gefangenen 1944 führte zu einem Ausbau des Empfangs-, Evakuierungs- und Lagersystems.

Die ersten Lager wurden in ehemaligen Klöstern und auf dem Areal von NKVD-Lagern und -Heimen eingerichtet. Offiziere und Mannschaftspersonen wurden getrennt, erstere erhielten Betten und Bettzeug. Eine große Anzahl von Gefangenen war unzureichend untergebracht. Sie hatten statt der vorgesehenen 2 m² nur 1,2 m² Raum zur Verfügung. Die sanitären Verhältnisse waren völlig unzureichend, für 1000 Gefangene gab es nur einen Wasserhahn. Nach 1947 verbesserten sich die Lebensbedingungen fast überall. Nun erhielten die Gefangenen russische Filzstiefel, Wattejacken und Wolldecken. Oft fehlten in den Lagern Badehäuser und Desinfektionsanlagen. Die Verhaltensvorschriften für die Gefangenen orientierten sich grundsätzlich an der Disziplinarordnung und dem Militärstrafrecht der Sowjetstreitkräfte. 1947 wurden Rumänen, Ungarn und Österreicher in gesonderten Lagern untergebracht und erhielten einige Privilegien wie neue Wäsche. Ab Frühjahr 1946 war es den Gefangenen in der Regel erlaubt, Rot-Kreuz-Karten nach Hause zu schreiben. Oft war das für die Angehörigen das erste Lebenszeichen von den vermissten Soldaten.

Um eine so reiche kulturelle Tätigkeit wie die Gefangenen des Ersten Weltkriegs zu entfalten, waren die Gefangenen des Zweiten Weltkriegs zunächst zu geschwächt. Als sich aber 1947 die Lebensverhältnisse besserten, wurden auch jetzt Sportvereine, Chöre, Orchester und Theatergruppen gegründet. Von vielen ehemaligen Gefangenen wird beklagt, die Gefangenschaft hätte das Ende der Kameradschaft bedeutet und das Lager sei zu einem Ort des Kampfes ums Überleben geworden.

Im August 1941 wurden neue Normen für die Verpflegung der Gefangenen erlassen, die Brotration wurde von 800 auf 400 g am Tag gesenkt. Die zugebilligte Verpflegung war unzureichend und führte zu Dystrophie und Avitaminose. Unter Dystrophie versteht man eine pathologische Störung des Ernährungszustandes durch lang dauernde Fehlernährung (meist als Eiweiß- und Vitaminmangel) sowie evtl. zusätzlich durch gleichzeitige übermäßige körperliche und seelische Belastung verursachte Infektionen. Im Endstadium ist eine tief greifende Depersonalisierung des Kranken festzustellen, apathisches Dahindösen kündigt den Tod an. Diese Krankheit verursachte 80 % aller Todesfälle. Was die Verpflegung der Gefangenen betrifft, so muss betont werden, dass die Gefangenen der Roten Armee nicht schlechter verpflegt wurden als die sie umgebende russische Bevölkerung. Besonders hervorgehoben werden soll: Eine gezielte Vernichtung der Gefangenen durch Hunger, wie sie in Deutschland gegenüber den gefangenen Rotarmisten praktiziert wurde, gab es in der UdSSR nicht. Trotzdem verstarben viele Gefangene an Dystrophie, daneben auch noch an verschiedenen Infektionskrankheiten und Typhus. Der Hunger führte zu einer scharfen Konkurrenz der Gefangenen um die wenigen Nahrungsmittel. Die Verteilung wurde streng überwacht, es wurden verschiedene Essrituale gepflegt wie das Horten von Lebensmitteln. Charakteristisch war der schleppende ›Plenny‹-Schritt (plenny = russ. „Gefangener“), mit dem versucht wurde, Kraft zu sparen.

Am 9.4.1943 wurde eine neue Verpflegungsvorschrift erlassen. Jene Gefangenen, die schwere physische Arbeit verrichteten und die Norm bis zu 50 % erfüllten, sollten 650 g Brot erhalten, jene, die sie ganz erfüllten, 1000 g. Die Norm für Schwerstarbeiter wurde im Vergleich zu dem Rest der Gefangenen bei allen andern Lebensmitteln um 25 % erhöht. Dies betraf auch Genesende.

Im Frühjahr 1943 sank die Sterblichkeit der Gefangenen, blieb aber immer noch auf einem hohen Niveau. Von 291.856 der UPVI des NKVD seit Kriegsbeginn untergeordneten Gefangenen waren bis zum Frühjahr 1943 171.774 Personen oder 59 % gestorben. In der zweiten Aprilhälfte starben weitere 25.174 Gefangene. Mit dem Befehl vom 18.10.1944 wurde die Mindestration an Brot auf 600 g festgesetzt.

Am 19.5.1945 erhöhte das NKVD die Verpflegungsnorm für nicht Arbeitende Gefangene um 524 cal, für solche bei schwerer Arbeit um 775 cal. Kriegsgefangene, die Arbeiten in der Produktion ausführten, erhielten nochmals 583 cal. Oft konnte die vorgesehene Verpflegung aber nicht vollständig ausgegeben werden, weil die Vorräte erschöpft waren. Im Januar und Februar 1946 schickte die Zentrale ihre Vertreter in die Lager, in denen sich Gefangene in schlechtem Zustand befanden, um die Gründe hierfür zu klären. Als Folge dieser Maßnahmen verbesserte sich die Lage der Gefangenen erheblich. Die Sterblichkeit sank, mehr Gefangene gehörten den ersten beiden Gruppen der Arbeitsfähigkeit an.

Ende 1946 begann eine schwere Zeit für die Kriegsgefangenen. Wegen einer Trockenheit und der damit verbundenen Missernte hungerte die Bevölkerung in einer Reihe von Regionen der Sowjetunion. Im Oktober 1946 wurde die Normerhöhung für Kartoffeln und Gemüse sowie für Brot und Graupen rückgängig gemacht. Ebenso wurde die Ausgabe zusätzlicher warmer Mahlzeiten für Gefangene, die die Arbeitsnorm erfüllten, eingestellt. Am 15.11. wurden sowohl den arbeitenden als auch den genesenden Gefangenen alle Arten von zusätzlicher Nahrung entzogen. Die Tagesration der Gefangenen sank von 3200 auf 2386 Kalorien. Viele Kriegsgefangene erhielten nicht einmal diese Verpflegung, so dass ihr Zustand sich bedenklich verschlechterte. Die übergeordneten sowjetischen Stellen versuchten die Missstände abzustellen, den Verantwortlichen in den Lagern wurden strenge Strafen angedroht.

Am 11.12.1947 wurden neue Normen für die Versorgung mit Nahrungsmitteln erlassen, die bis zum Abschluss der Repatriierung der nicht verurteilten Gefangenen im Frühjahr 1950 gültig waren. Die zusätzlichen Rationen wurden abgeschafft, sie konnten nur noch auf Rechnung der außerplanmäßigen Fonds erfolgen. Nur die Arbeiter im Untertagebau und bei der Errichtung von Schächten bei der Kohle- und Schiefergewinnung und im Bergbau erhielten zusätzliche Nahrung. Für Gefangene bei sonstigen schweren Arbeiten waren je nach Normerfüllung noch 100–200 g Brot vorgesehen. Geschwächte Gefangene sollten 25 % mehr Zucker erhalten.

Nach dem deutschen Angriff spielte die Kriegsgefangenenarbeit vorerst keine Rolle. Anfang 1942 erließ das NKVD ein Zirkular „Über die Ausnutzung aller zur Arbeit freier Gefangener zu Arbeiten“. Es wurden neue Arbeitslager errichtet, in denen aber oft die elementarsten Voraussetzungen zum Leben fehlten. Im Lager von Unžersk im Gebiet Gorki starben beispielsweise in drei Monaten 600 Gefangene von 2500, 1500 erkrankten an schwerer Dystrophie. Mitte 1942 wurde angeordnet, jeden Monat die Gefangenen zu untersuchen und sie in vier Gruppen der Arbeitsfähigkeit einzuordnen. Die Gefangenen der ersten Gruppe waren zu schwerer Arbeit verpflichtet, sie sollten 100 % der Norm erfüllen. Die der zweiten Gruppe mussten mittelschwere Arbeit verrichten, von ihnen wurde eine Normerfüllung zu 80 % erwartet.

Jene der dritten Gruppe sollten zu Dienstleistungen in den Lagern und zu leichten Arbeiten herangezogen werden, für sie galt 60% der Norm. Die der vierten Gruppe sollten bei Arbeiten für Invalide beschäftigt werden. In praktisch allen Arbeitslagern waren die Gefangenen nach wenigen Monaten so geschwächt, dass sie ihre Arbeitsfähigkeit verloren. Weniger als 50 % wurden zu Arbeiten eingesetzt und sie erfüllten 15–25 % der Norm. Die Erkrankungsrate und die Sterblichkeit spiegeln katastrophale Zustände wider. Die Gefangenen erhielten oft keine Werkzeuge und mussten lange Märsche vom Lager zu den Arbeitsstätten zurücklegen. Trotz des großen Einströmens von Gefangenen in die Lager Ende 1942 bzw. Anfang 1943 erhöhte sich die Zahl der arbeitenden Gefangenen kaum. Anfang März 1943 befanden sich nur 19.136 Personen oder 10,1 % aller Gefangenen (189.683) in Arbeitslagern.

Ende des Jahres 1944 wurden von insgesamt 680.921 Gefangenen 435.355 zur Arbeit eingesetzt. 85.266 von ihnen arbeiteten im Kohlebergbau. Die Gefangenen waren in Abteilungen, Züge, Kompanien und Bataillone eingeteilt.

Mit der deutschen Kapitulation begann eine neue Phase der Ausnutzung der Arbeitskraft der Gefangenen. Am 29.9.1945 wurde die „Verordnung über die Ausnutzung der Kriegsgefangenen zur Arbeit“ erlassen, sie war das wichtigste Dokument auf diesem Gebiet. Die Arbeitszeit und die Entlohnung wurden erstmals umfassend geregelt, ebenso viele andere Fragen wie die Arbeitsbedingungen und die Beziehungen der Lagerverwaltung zu den Betrieben. Für schwere Arbeiten wurden bis zu 200 Rubel bezahlt, für andere bis zu 150 Rubel, in der Kohlebergbauindustrie gab es keine Begrenzung. Für den Lohn konnten sich die Gefangenen zusätzliche Lebensmittel kaufen.

Im Oktober 1945 waren von 1.666.391 Gefangenen der deutschen Armee 1.506.221 verschiedenen Volkskommissariaten zugeteilt, von ihnen waren immerhin 213.832 nicht arbeitsfähig. 245.376 der Gefangenen waren bei Projekten des NKVD eingesetzt, 174.730 bei solchen des Volkskommissariats der Verteidigung, 163.108 in Kohlebergwerken, 113.862 auf Baustellen des Volkskommissariats für Bauwesen. Ab dem 19.2.1946 wurden auch Offiziere vom Leutnant bis zum Hauptmann zur Arbeit herangezogen, sie bekamen aber weiterhin die Offiziersration.

1946 wurde die Verwendung der Kriegsgefangenen zur Arbeit intensiviert. Am 1.9.1946 arbeiteten 73,8 % der Gefangenen, verglichen mit 68,3 % am 1.6.1946. An den Arbeitsstellen des Ministeriums für Luftfahrtindustrie machten Gefangene 31 % aller Arbeiter aus, bei denen des Ministeriums für den Bau der Brennstoffindustrie 27,7 %. Zum Jahresbeginn 1946 waren 210.380 Gefangene in Besonderen Arbeitsbataillonen beschäftigt, wo die Lebensbedingungen oft schlechter waren als in den Lagern.

Im Herbst 1946 verschlechterte sich die Situation der Gefangenen beträchtlich. Nach der Anordnung des MVD vom 11.10. wurde der 400 Rubel im Monat übersteigende Lohn den Kriegsgefangenen ausbezahlt, früher war die Grenze bei 200 Rubeln. Dies geschah gleichzeitig mit der Senkung der Verpflegungsnormen. Die Gefangenen erarbeiteten 1946 rund 4800 Mio. Rubel, während für ihren Unterhalt etwa 5100 Mio. Rubel aufgewendet wurden.

Durch die schonungslose Ausbeutung ihrer Arbeitskraft wurden viele Gefangene arbeitsunfähig. In der Kohleindustrie verringerte sich die Zahl der beschäftigten Gefangenen vom 1.2.1946 innerhalb eines Jahres von 158.615 auf 128.907 Personen, zum 1.10.1947 auf 95.117. Da man die Kohleindustrie jedoch als besonders wichtig einstufte, wurden ihr gegen Ende des Jahres 1947 aus anderen Industriezweigen 133.784 Gefangene zugeteilt.

Die Zahl der arbeitenden Gefangenen nahm beständig ab. 1949 wurden die Kriegsgefangenen auf allen Arbeitsstellen durch sowjetische Beschäftigte ersetzt. In diesem Jahr überstieg ihr Lohn erstmals die Ausgaben für ihren Unterhalt. Nach dem österreichischen Historiker Karner erarbeiteten die Gefangenen etwa 8 % der Wertschöpfung des Nachkriegs-Fünfjahresplans, eine erstaunlich hohe Zahl, betrachtet man den Anteil der Gefangenen an der gesamten Zahl der Beschäftigten in der Sowjetunion in dieser Zeit. Die 1950 zurückbleibenden verurteilten Gefangenen wurden ebenfalls zur Arbeit eingesetzt. Bei der Arbeit kamen die Gefangenen mit russischen Zivilisten in Kontakt und konnten mit ihnen häufig Tauschgeschäfte machen.

Am 19.10.1946 wurde die Schaffung einer politischen Abteilung bei der GUPVI befohlen. Diese Abteilung sollte die politische Arbeit unter den Kriegsgefangenen beaufsichtigen. Ende 1943 waren schon 6793 Personen im antifaschistischen Aktiv organisiert. Träger der antifaschistischen Arbeit waren Emigranten, das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ und der „Bund deutscher Offiziere“. Die Antifaschisten genossen eine Reihe von Privilegien. Sie stellten in der Regel die Lagerleitung. Weil ihnen die Haare nicht geschoren wurden, hießen diese Funktionäre im Lagerjargon die „Langhaarigen“. Es lässt sich vermuten, dass eine große Zahl von Gefangenen aus Opportunismus an der antifaschistischen Arbeit teilnahm.

1947 arbeiteten drei zentrale antifaschistische Schulen, in denen 1381 Personen lernten, 3300 Personen absolvierten dreimonatige antifaschistische Kurse, es funktionierten in den Lagern 6000 antifaschistische Kreise, in denen 213.602 Menschen tätig waren. Im Januar 1948 wurden in den Lagern 684 antifaschistische Komitees gewählt, denen 4440 Personen angehörten. Die Komitees waren auch für die Gesundheit der Gefangenen und für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin zuständig. Das antifaschistische Engagement konnte sogar zur frühzeitigen Freilassung führen, so im Falle von 3000 Österreichern im Dezember 1946.

Am 10.12.1944 verpflichtete das Staatliche Komitee für Verteidigung den NKVD, alle arbeitsfähigen Deutschen, Männer von 17–45 Jahren und Frauen von 18–30 Jahren in den eroberten Gebieten in Osteuropa zu mobilisieren und zu internieren. Laut einer MVD-Statistik vom 15.7.1950 belief sich die Gesamtzahl der in die UdSSR verbrachten mobilisierten und internierten Volksdeutschen auf 271.672. Von ihnen wurden 202.720 repatriiert, was eine Todesrate von 25,4 % ergibt. Die Internierten waren in Arbeitsbataillonen eingeteilt und mussten Schwerstarbeit – etwa im Bergbau – leisten.

Die Lager für die an den osteuropäischen Kriegsschauplätzen Gefangenen befanden sich fast ausschließlich auf dem Gebiet des europäischen Russland. Nach Sibirien und Zentralasien wurden weitestgehend nur verurteilte Gefangene verschleppt, die in Straflagern Zwangsarbeit leisten mussten.

Bis Ende 1947 fand eine Reihe von Schauprozessen gegen Kriegsgefangene statt. Wegen des großen Aufwands der öffentlichen Verfahren wurden ab dann alle Gerichtsverfahren in geschlossenen Sitzungen abgehalten. 1950 wurden 13.515 deutsche Gefangene in der UdSSR zurückgehalten, 5152 waren 1943–49 verurteilt worden und 6565 im November/Dezember 1949. Oft wurden die Gefangenen zum Tode verurteilt und später begnadigt. Die Regel waren 25 Jahre Besserungsarbeitslager (ITL), die im GULAG verbüßt werden mussten. Die Verurteilten waren nach sowjetischer Lesart Kriegsverbrecher und fielen daher nicht unter die Bestimmungen der auch von der UdSSR unterzeichneten Genfer Konvention von 1949. Mit der Freigabe des Paketversandes an die verurteilten Gefangenen, parallel mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der jungen Bundesrepublik wurden die Gefangenen unabhängig vom Arbeitslohn und konnten sich als Wohlhabende in der kärglichen sowjetischen Umgebung fühlen.

Die Repatriierung der Gefangenen begann schon früh. Eine erste Gruppe von 225.000 gefangenen Mannschaftsdienstgraden, allesamt Kranke und Invalide, wurde laut Befehl des MVD vom 15.6.1945 nach Hause entlassen. Damit blieb aber das Problem der nichtarbeitsfähigen Gefangenen ungelöst, denn wegen der schlechten Lebensbedingungen erkrankten ständig neue Gefangene, v. a. an Dystrophie. Am 13.8.1945 wurde die Heimschickung von weiteren 708.000 nicht arbeitsfähigen Gefangenen beschlossen, davon 412.000 Deutsche, 150.000 Ungarn und 30.000 Österreicher. Die Deutschen wurden in ein Entlassungslager in Frankfurt/Oder transportiert. Am 18.6.1946 beschloss der Ministerrat der UdSSR, 150.000 nicht arbeitsfähige Gefangene zu repatriieren.

Ab 1947 wurde die Heimschickung der Gefangenen von der Verwaltung für die Angelegenheit der Repatriierung beim Ministerrat der UdSSR geregelt. Auch 1947 wurden vor allem kranke Gefangene heimgeschickt, lediglich unter den Nichtdeutschen auch Gesunde. Das wirkte sich stark auf die Moral der Gefangenen aus, die sich sagen mussten, dass sie nur als Kranke repatriiert würden. Diese RepatriierungspPraxis führte zu Fällen von Selbstverstümmelung.

Deshalb wurde am 29.5.1947 beschlossen, auch die Bestarbeiter heimzuschicken, dies betraf von Juli bis September 1000 Personen. Unter den Heimkehrern wurde Propaganda betrieben, so dass sie auch in der Heimat für die Freundschaft mit der Sowjetunion kämpfen sollten.

Von Mai bis April 1947 fand in Moskau die vierte Sitzung des Rates der Außenminister Großbritanniens, der UdSSR, der USA und Frankreichs statt. Der sowjetische Vertreter schlug vor, bis 31.12.1948 die Repatriierung der deutschen Gefangenen abzuschließen. Am 23.4. wurde dieser Vorschlag angenommen. Im Laufe des Jahres 1947 verringerte sich die Zahl der Gefangenen von 1.793.255 auf 1.200.604 Menschen. Die Nichtarbeitsfähigen wurden nach Hause geschickt. Von März bis Oktober 1948 wurden nochmals 338.223 nicht arbeitsfähige Deutsche entlassen. Am 1.1.1949 befanden sich noch 542.576 Personen in der Verwaltung der GUPVI, davon 430.670 ehemalige deutsche Soldaten. Um die Arbeitskraft der Gefangenen zu erhalten, verschob die Sowjetführung die Repatriierung. 1949 wurden die Kriegsgefangenen auf allen Arbeitsstellen durch sowjetische Beschäftigte ersetzt. Von 1945 bis 1950 wurden insgesamt 3.431.399 Personen, davon 213.418 Internierte repatriiert. Von ihnen waren 2.041.610 Deutsche und Österreicher, 574.718 Japaner, 451.139 Ungarn, 127.458 Rumänen, 21.096 Italiener und 1969 Finnen.

Am 6. 2. beschloss der Ministerrat die vollständige Repatriierung der gefangenen Österreicher, am 19.2. die der Deutschen. In der UdSSR sollten 13.532 Deutsche als Kriegsverbrecher in Haft bleiben.

Nach dem Tod Stalins erließ das Präsidium des Obersten Sowjets am 27.3.1953 eine Amnestie, die 2219 verurteilten Ausländern die Heimkehr ermöglichte. Am 15.4.1953 sah die gemischte Kommission von MVD, Außenministerium und Staatsanwaltschaft die Gerichtsakten der Verurteilten durch und empfahl u. a. die Freilassung von 6162 Kriegsgefangenen und Internierten. Die Repatriierung dieser Personen dauerte bis Oktober 1953. Im Frühjahr 1955 nahm die gemischte Kommission ein Projekt zur Freilassung von 300 gefangenen Österreichern an, 92 Österreicher sollten der österreichischen Regierung als Kriegsverbrecher übergeben werden.

Am 4.7.1955 schlug die gemischte Kommission nach dem legendären Besuch Adenauers in Moskau ein Projekt zur Freilassung der restlichen Verurteilten vor. Am 18.1.1956 teilte das MVD die Repatriierung der letzten verurteilten Gefangenen mit.

Böhme K. 1966: Die deutschen Kriegsgefangenen in sowjetischer Hand: eine Bilanz. Bielefeld. Fleischhacker H. 1965: Die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion: der Faktor Hunger. Bielefeld. Hilger A. 2000: Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion 1941-1956. Kriegsgefangenenpolitik, Lageralltag und Erinnerung. Essen. Lehmann A. 1986: Gefangenschaft und Heimkehr. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion. München. Karner S. 1995: Im Archipel GUPVI. Kriegsgefangenschaft und Internierung in der Sowjetunion 1941-1956. Wien.

(Georg Wurzer)

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